Nicht nur der WerbefuzziArtistin

Michél Komzak ist von Beruf selbstständiger Schauspieler. Da braucht es hierzulande oft ein zweites Standbein. Das hat er höchst erfolgreich in der Werbung gefunden.

TEXT: HANNES GAISBERGER
FOTO: CAROLINA FRANK

Die Komzakgasse in seinem Heimatbezirk Donaustadt ist dennoch nicht ihm zu Ehren so benamst. Der populäre Militärkapellmeister Karl Komzak stand Pate, der beim Versuch, auf einen fahrenden Zug aufzuspringen, ums Leben kam und später gleich zwei Mal beerdigt wurde. Eine wilde Geschichte, fast ein Filmstoff. Der Donaustädter Schauspieler und Filmemacher Michél Komzak stellt aber gleich zu Beginn des Interviewspaziergangs auf der Donauinsel klar, dass er kein Sprössling der gleichnamigen Musikerdynastie ist. Seine Familie kommt nicht aus der Kulturbranche, dennoch wurde er bereits früh gefördert.
Mutter Komzak erkennt den innigen Wunsch des Volksschülers, vor der Kamera zu stehen: «Sie hat mich da irgendwie beim ORF angemeldet, und dann konnte ich bei Confetti TV erstmals Studioluft schnuppern.» Dem Siebenjährigen gefällt es, und so folgen über die Jahre weitere Auftritte in jungen ORF-Formaten wie Kids4Kids und Clubschauge. Nach der Schule und einem Lehrjahr ringt er sich durch, es mit der Kunst zu nehmen, und landet 2006 am Konservatorium Wien. «Da lag der Schwerpunkt auf Theater, ich wollte lieber zu Film und Fernsehen. Ich dachte mir aber, dass die Ausbildung allein deshalb wichtig ist, um das Handwerk von Grund auf zu lernen.» Er will alles lernen und alles ausprobieren. Neben dem Schauspiel, wo er bald erste Rollen in TV- und Filmproduktionen spielt, sind das Drehbuch, Regie, Produktion. Als Low-Budget-Filmemacher versucht er sich in allen Registern. Das ist zwar nicht die zielstrebigste Vorgangsweise, aber eine erfüllende.

Von der Pike auf.

Von Grund auf lernt er zur selben Zeit auch die Werbebranche kennen. Ersten Modeljobs für Modehäuser und Printkampagnen für Einkaufszentren folgen Auftritte in größeren TV-Spots. Das ist keine unübliche Einnahmequelle für Schauspieler_innen. Unüblich ist, wie oft Michél Komzak gebucht wird. Mit Ausnahme der fixen, Testimonials genannten Werbeträger, wie der Möbelhausfamilie, dem Bio-Schwein und einigen Prominenten ist vermutlich niemand so oft in Spots und auf Plakatwänden zu sehen wie Komzak. Es ist ein Drahtseilakt. Drängt er sich zu sehr auf, verbindet man sein Gesicht zu stark mit einer bestimmten Marke, wird es schwer mit Folgeaufträgen. «Sicher spiele ich ein bisschen mit meinem Look. Im Moment ist der Vollbart sehr gefragt. Dann fragen sie schon am Telefon: ‹Sag mal, hast du noch diesen langen Bart?›» Privat ist er kein schriller Verkäufer-Typ. «Man braucht in diesem Beruf zwar schon Netzwerke, die Bussi-Bussi-Gesellschaft brauche ich aber nicht.»
Seine stetigen Engagements fallen ihm nicht in den Schoß. «Ich reiße mir bei den Castings sprichwörtlich den Arsch auf. Gehe auch hin, wenn die Aussichten auf einen Job nicht so gut sind.» Sein Einsatz und seine Professionalität gäben oft den Ausschlag für ihn. Bei Filmrollen ist sein Erfolg im Werbebereich manchmal ein kleiner Nachteil: «Es gibt Caster, die sagen: ‹Oh, das ist dieser Werbefuzzi!› Aber dann gehe ich zum Vorsprechen, und dann sehen wir uns das an.» Seine größte Rolle auf der Kinoleinwand hatte er als Wachmann in dem Kinderfilm Hexe Lilli rettet Weihnachten. «Das war eine ganz neue Erfahrung, eine großartige Zeit am Set mit Schauspielern wie Jürgen Vogel.» Doch die Rollen sind rar gesät, im Jahr kämen ja gerade einmal fünf heimische Kinoproduktionen auf den Markt. «In nächster Zeit habe ich jede Menge Vorsprechen für Kino- und Spielfilme. Aber die hiesige Filmlandschaft ist sehr überschaubar. Dann gibt es noch Serien, Theater und Kabarett oder Werbung. Man versucht eben da zu arbeiten, wo es funktioniert.» Als kreatives Ventil dienen die eigenen Filme.

Blockbuster-Ästhetik für 200 Euro.

Weil Michél Komzak mit Castings und Drehtagen eigentlich Vollzeit arbeitet, bleibt ihm für das eigene Schaffen nur die Freizeit. Die von ihm und die von Freunden, die er in all den Jahren in der Branche gefunden hat. «Dann will man etwas ausprobieren, das man sonst nicht drehen würde. Mein nächster Kurzfilm Fotoalbum, der im Februar rauskommt, hat ein Budget von 200 Euro. Herausgekommen ist ein Psychothriller, in dem ich das Handwerk probieren und auch Schauspieler fördern kann.» Optisch merkt man seinen Filmen das kleine Budget kaum an, die von ihm und seinen Freunden aufgestellte Technik bringt Block­buster-Optik zum Diskontpreis. In Zukunft möchte er aber unbedingt längere Filme machen und als langfristiges Ziel als österreichischer Filmemacher und Schauspieler wahrgenommen werden. Auf eine Rolle – die vor oder die hinter der Kamera – will sich der Donaustädter nicht festlegen, ebenso wenig wie auf ein bestimmtes Genre.
So kam es auch zu einer Handvoll Dokumentarfilme über den pensionierten Lebenskünstler Werner Hujer. «Das war ein Fahrer bei einem Dreh, und weil er so ein prägnantes Äußeres und ein interessantes Leben hatte, hat es sich fast aufgedrängt. Eigentlich kam die Idee gar nicht von mir.» Es war aber nicht die schlechteste: Die Filme, die er lediglich online gestellt hat, erhielten eine ordentliche Medienresonanz. Werner Hujer war in seinem Berufsleben Fernfahrer im Ostblock, Feuer­löscherhändler, Gemüsebauer, Pferdebesitzer und vieles mehr. In den Filmen blickt er mitunter verbittert zurück. «Werner war vom Leben gezeichnet. Das Spannende war, dass man bei ihm dachte, man hat einen Eindruck von ihm, und dann hat er einen wieder überrascht.» Wenn man ihm zuhört, wie er in einem Vorstadt-Tschocherl bei Kaffee und Zigaretten wissenschaftlich unfundierte Theorien zu Speisefetten und -ölen absondert, kriegt man auch im Lockdown ein herrliches Beisl­feeling. «Auch wenn man es ihm nicht angesehen hat, aber er hat keinen Alkohol getrunken. Nur seine 20 Kaffee am Tag und die Tschick dazu. Eigentlich war er ein sehr lieber Kerl, vor ein paar Jahren ist er leider verstorben.» Geblieben sind Bilder von einem Prototypen, der sich in einer Welt bewegt, die vor Jahrzehnten stehen geblieben zu sein scheint.

In der Schwebe.

Für einen «Durchbruch» als Schauspieler würde Kom­zak seine Werbeengagements «definitiv» aufgeben. Denn wenn man sein Gesicht einmal mit seinem Namen verknüpft, wird es schwierig, den anonymen netten Typ von der Grillparty oder den Bobo am Würstelstand in Werbespots darzustellen. Umgekehrt würde er das Angebot, einen großen Testimonial-Job über Jahre zu machen, auch nicht ausschlagen. «Man freut sich, wenn man etwas längerfristig abgesichert ist. Ich würde es aber nur tun, wenn ich von der Geschichte, der Story, dem Charakter überzeugt wäre.» Ein weiteres, nicht ganz unrealistisches Zukunftsszenario: Komzak tritt in die Fußstapfen von Größen wie Robert Altman und führt Regie bei Werbespots. Denn auch hier gibt es viele Möglichkeiten der kreativen Entfaltung: «Je einfacher die Message, desto einfacher geht es am Set zu. Es gibt aber Dreharbeiten, wo man schon von einer anderen Ebene des Handwerks sprechen kann.» Seine Agenten versuchen, ihn von den «schlechten, schlechten, schlechten Spots» fernzuhalten, hin und wieder hat er aber im Nachhinein das Gefühl: «Das war weniger cool.» Zu wählerisch darf er wiederum auch nicht sein, denn es sei nicht so, dass man nach zwei Aufträgen schon für ein ganzes Jahr ausgesorgt hätte.
So bleibt alles in der Schwebe und Komzak offen für das, was kommt. Auf der Straße erkannt werde er derzeit nicht, was aber auch an den Masken liegen kann. 2016, als er fünf große Hauptrollen in Werbungen hatte, war das schon öfter der Fall. Aber die Pro­blematik, sein Gesicht nicht zu verheizen, regelt sich in der ebenfalls überschaubaren hiesigen Werbelandschaft von selbst. «Man merkt dann, dass weniger angefragt wird.» Michél Komzak ist jedenfalls nicht nur der Werbefuzzi, und weil sich Hart­näckigkeit manchmal auszahlt, wird man ihn wohl noch oft zu Gesicht bekommen, in welchem Medium auch immer.