Wenn man keine Wohnung, aber einen Hund hat
Mein Hund musste bei mir bleiben, er konnte nichts dafür, dass ich meine Wohnung verloren hatte, erzählt Martina Groiss, die viele Wohnoptionen ihrem Arco zuliebe ausgeschlagen hat. Verwandte hätten sie nur solo aufgenommen. Sie wählte sich den Finger wund, um in Einrichtungen für Wohnungslose unterzukommen, doch als Hundebesitzerin gab es keine Aussicht auf ein Notquartier. P7, das Wiener Service für Wohnungslose, teilte ihr mit, aufgrund des Vierbeiners so gut wie keine Chancen zu haben. Frau Groiss saß folglich in der Wohnung einer Freundin fest. Erst durch einen Fernsehbericht erfuhr sie von einem gewissen neunerHAUS, dessen Tür auch für Tiere offen stehen würde. Sie und Arco fanden somit eine neue Bleibe.
Ernstl Watzinger schlief jahrelang auf der Donauinsel, denn er wusste von keiner Einrichtung, wo Hunde erlaubt gewesen wären. Für ihn gab es keinen Zweifel, lieber in der freien Natur der Donauinsel schlafen als ohne sein Tier in einem Obdachlosenheim. Mittlerweile ist er Mieter einer Gemeindewohnung, und sein Hund ist nach wie vor der zentrale Punkt in seinem Leben: Angenommen, ich gewinne sehr viel Geld, ich würde sofort ein Haus mit Garten kaufen, damit Nero einen Auslauf hat.
Für jene, wie mich, die kein Naheverhältnis zu Tieren haben, mutet es sehr befremdend an, wenn Menschen aufgrund von Hunden widrigere Lebensbedingungen in Kauf nehmen oder gar auf ein Dach über dem Kopf verzichten. Der Augustinverkäufer und Obdachlose Blondi antwortete auf die Frage, ob er nie daran gedacht habe, die Hunde zugunsten einer Schlafstätte abzugeben, mit: Kinder legt man auch nicht weg!
Es geht auch mit Tieren
Alex Simeonidis, Sozialarbeiter im neunerHaus Hagenmüllergasse, spricht vom stabilisierenden Faktor, den Haustiere bieten könnten. In den Wohneinrichtungen des Vereins neunerHAUS dürfen die BewohnerInnen Tiere halten. Der Geschäftsführer Markus Reiter sieht darin die Autonomie in der Lebensführung gewahrt, was für ihn in Zeiten zunehmender staatlicher Repressionen zu einem sehr wichtigen Aspekt geworden ist. Erläuternd fügt er hinzu: Unser Konzept richtet sich nach den Bedürfnissen von Obdachlosen dazu gehören auch Alkohol und Haustiere. Reiter erwähnt auch, dass in den sieben Jahren des Bestehens keine gravierenden Probleme mit Tieren aufgetreten seien: Es musste kein einziges Mal ein Tierverbot ausgesprochen werden. Heikel wird es für den Sozialarbeiter Simeonidis, wenn Leute mehr auf ihre Tiere als auf sich selbst schauen würden. Pointiert formuliert er: Primär geht es darum, eine Person zu stabilisieren, und nicht, ihrer Katze ein supergeiles Leben zu ermöglichen. Er war mit Fällen konfrontiert, wo das letzte Geld für Tierfutter anstelle von Nahrungsmitteln aufgebraucht wurde.
Antonia Schubert, Obfrau des VinziBett, einer Notschlafstelle im neunten Bezirk, unterscheidet. Ein Neuankömmling würde mit Hund aufgenommen werden, bewohnt man aber bereits diese Einrichtung, so dürfe man sich dann kein Tier mehr anschaffen.
Seit 32 Jahren ist Peter Ruzicka, ein Bewohner des neunerHAUS, Hundehalter. Er musste nie auf der Straße leben, war aber wohnungslos. Ein halbes Jahr lang verbrachte er die Nächte in einer Notschlafstelle, wo Hundeverbot herrschte. Abend für Abend führte er seinen Jerry zu seinem Bruder ins Pensionistenheim und holte ihn am nächsten Morgen wieder ab. Es gab für mich keine andere Möglichkeit, kommentiert Peter Ruzicka diese Notaktion und fordert in diesem Zuge, dass sich endlich mehr Einrichtungen den Tierbesitzern öffnen sollten.
Zurzeit kann man die Häuser, wo Tiere hineindürfen, noch beinahe an einer Hand abzählen solche führen etwa der Verein WOBES und die ARGE WIEN. Die Caritas Wien lässt im Haus ST.Josef Hunde zu.
Der Rest ist für den Hund
Ein hundewürdiges Leben führen Nero, Attila und Xena, obwohl ihre Herrchen Blondi und Ernstl bloß Straßenzeitungsverkäufer sind und phasenweise mit ihren vierbeinigen Gefährten auf der Straße leb(t)en. Obdachlosen haftet das Image an, sie könnten kaum für sich selbst sorgen, und wie sollten sie dann auch noch einen Hund halten können?
Wie es funktioniert, zeigen seit Jahren die beiden Augustinverkäufer Ernstl und Blondi. Von StammkundInnen bekommen sie das Hundefutter geschenkt oder gesponsert. Oft genug lassen sich ZeitungskäuferInnen auf einen Fünf-Euro-Schein mit dem Hinweis, der Rest sei für den Hund, nichts herausgeben. Ernstl hat darüber hinaus einen Tierarzt an der Hand, der kostenlos seinen Nero behandelt, lediglich die Medikamente hat er zu bezahlen. Um mit solchen Spenden und Wohltaten bedacht zu werden, sind zwei Voraussetzungen unumstößlich, wie beide unabhängig voneinander erzählen: Der Hund muss gepflegt und ruhig sein.