Nicht schlucken und nicht ausspuckenArtistin

Augustin auf Reisen: Die Drogen der BukaresterInnen

Zu Zeiten des rumänischen Staatskommunismus war die kulturelle Produktion recht groß. Heute werden in Bukarest Telenovelas geschaut und Manele gehört. Trotz auffällig kreativen Bettlern und jungen wilden Schriftstellern gibt es noch keine Straßenzeitung.Die Rumänen haben ein irrsinniges Faible für den Weltraum, für Physik, für alles, was mit dem All zu tun hat, erzählt Anca, eine in Wien lebende Technikerin aus Bukarest. Schon zu Ceausescus Zeiten gab es futuristische Fernsehserien für Kinder zum Thema Weltraum und mehrere Comics à la Per Anhalter durch die Galaxis. Seit ein paar Jahren sind lateinamerikanische Telenovelas im rumänischen Fernsehen sehr beliebt. Die Telenovelas spiegeln ein ersehntes Lebensgefühl wider. Ein armes Mädchen kommt durch eine verwurstelte Geschichte zu Liebe und Reichtum. Die Leute schauen das wie in Trance, denn diese Lebensumstände stehen im Widerspruch zu ihrer Realität, mit der sie sich nicht konfrontieren wollen. Früher war die Gefühlsduselei indischer Filme sehr wichtig. Das hängt damit zusammen, dass sich die Rumänen eine Zeit lang sehr zurückhalten und aufpassen mussten und niemandem vertraut haben.

Die Manele, poppige Liebeslieder orientalischen Ursprungs, die Musik der Hinterhöfe und Slums, mit ihren Sängerpersönlichkeiten in roten oder lila Kostümen und Lackschuhen, haben ebenfalls drogenähnliche Wirkung auf die Bevölkerung. Unter den Top 10 der Hitparade rangiert gerade die gemeinsame Produktion eines Manele-Sängers mit dem Senator Bruteanu der rechtsextremen Partei PRM, der den Refrain mitsingt. Momentan sind auch Shows und Quizsendungen sehr gefragt. Die Schlimmste ist die Charles-Darwin-Show, in der Blonde gegen Dunkle, Dicke gegen Dünne, Großbusige gegen Kleinbusige antreten, um in einer Selektion nach biologischen Merkmalen zu beweisen, welche Gruppe schlauer sei …

Heute Abend Lola Blau


Bis 1989 sendete das staatliche Fernsehen nur zwei Stunden offizielles Programm pro Tag. In den 90er Jahren stürzte sich das Publikum dann wie toll auf das Fernsehen. Vorher machten Literatur und Theater die kulturellen Hauptinteressen aus. Sie müssen das aber nicht idealistisch sehen. Alexander Sahighian ist seit zwei Jahren Dramaturg des jüdischen Staatstheaters in Bukarest und auch Redakteur der Lettres international, deren Auflage im Kommunismus um einiges höher war. Beim Abendessen im Bukarester Restaurant Waterloo auf Einladung der österreichischen Literaturwerkstatt Alte Schmiede und der Literaturzeitschrift Wespennest vermisst Sahighian ein Publikum, das Abend für Abend 300 Plätze füllt. Unter den Faschisten gab es für das Theater große Schwierigkeiten und das Verbot, jiddisch zu sprechen. Ceausescu wiederum machte das Theater zum jüdischen STAATStheater.

Ceausescu war Nationalist, kein Philosemit. Das Theater war für ihn ein Vorzeigeschild. Sie können uns nicht schlucken, sie können uns aber auch nicht ausspucken, sagt ein Sprichwort. Die offizielle Ideologie drückte den Antisemitismus nieder, sie war ja auch irgendwo einem Internationalismus verpflichtet, analysiert der zierliche ältere Herr. Im Kommunismus gab es keine Verarbeitung des Nationalsozialismus, keine Debatte in der Öffentlichkeit. Wir waren die antifaschistischen Helden! Es gibt im Rumänischen nicht einmal ein Wort für diese Art der Geschichts-Aufarbeitung.

Von den 300.000 bis 400.000 Juden in Bukarest blieb nur eine kleine Gemeinde übrig. In ganz Rumänien sind es heute zwischen 10.000 und 12.000. Sie müssen sich eine Vorstellung machen: Die meisten sind schon ziemlich alt, die Jungen ausgewandert, beschreibt Sahighian. Das Theater wird von Stadtrat und Kulturminister finanziert. Momentan sind die meisten der 30 Ensemblemitglieder zu einem Abraham-Goldfaden-Festival ins französische Neiges gefahren. In einer One-Woman-Show steht gerade die schöne Maia Morgenstern, die in Mel Gibsons Film über das Leben Jesu die Maria spielt, in Heute Abend Lola Blau auf der Bühne das Stück war ein großer Erfolg auf dem Broadway. Eine jüdische Schauspielerin in Wien emigriert in die USA und kehrt später zurück. Morgenstern singt eine Art von Brecht-Songs.

Das Paradies der wilden Hunde


In einem Seitenflügel des riesigen, auf einem Hügel gelegenen Palast Ceausescus entsteht gerade das erste Museum moderner Kunst in Bukarest. Ein gläserner Lift verläuft an der Außenseite der Fassade, an der Arbeiter an langen Seilen baumelnd Reparaturen durchführen. Der ausgiebige Stuck wurde reduziert, nur in einem Stockwerk hängen schon Bilder. Oben auf der Dachterrasse blickt man über die weite Fläche, die entstand, als der Diktator ein Stadion und ein altes Stadtviertel niederreißen ließ, um Raum für seine Wünsche zu schaffen. Nun tollen wilde Hunde fröhlich herum.

Zwischen den Kriegen gab es schon ein Museum der Moderne, mit Ausstellungen der Avantgarde und starker internationaler Beteiligung, schwärmt Mircea Crtrescu, einer der bedeutendsten Autoren der so genannten Gruppe 80. Der freundliche, jugendlich wirkende Autor mit den langen Haaren wurde bereits in zehn Sprachen übersetzt und für den Literaturnobelpreis nominiert. Momentan gibt es in Rumänien eine starke Generation von um die zwanzig neuen Romanschreibern im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. Die schreiben eine sehr harte, sexualisierte Punk-Literatur. Die Atmosphäre für die Kultur war immer gut, selbst in Ceausescus Zeiten standen Schriftsteller sichtbar in der Öffentlichkeit trotz ausführlicher Zensur und Haftstrafen.

Damals waren Parabeln Mode. Doch jetzt schreibt eine Generation zorniger junger Leute. Bisher marginalisierte Gruppen wie Homosexuelle oder Drogensüchtige melden sich zu Wort. Früher durfte man keine pornografischen Sachen schreiben, jetzt darf man, also schreiben die jungen Leute in diese Richtung, erläutert die Literaturwissenschafterin Ioana Parvulescu, die neben Catarescu sitzt. Ähnlich dem Phänomen, dass man früher nicht in die Kirche durfte und sich jetzt die Leute auf der Straße bekreuzigen. Doch das Ostentative wird nicht lange anhalten.

Die Maskerade, wie wir den Umsturz nennen


In den 80er Jahren publizierte eine starke Generation von Literaten, von modern bis postmodern. Doch von diesen gaben nicht wenige später auf: Nach 1989, nach der Revolution wurde das Leben in finanzieller Hinsicht wirklich hart. Um Geld zu verdienen, wurden Schriftsteller zu Journalisten, berichtet Catarescu, der als Lektor an der Universität unterrichtet. Nun arbeiten Philosophieprofessoren als Taxifahrer. Wir waren ehrlich und glaubten an die Revolution. Aber nachher haben wir erfahren, dass es einen Regisseur gab, der vieles plante. Die Maskerade, wie wir den Umsturz nennen, war gleichzeitig spontaner Volksaufstand und inszenierter Staatsstreich. Catarescu schreibt seit über zwölf Jahren an einem Bildungsroman, zwei Bände sind schon veröffentlicht. Orbitor (Blendwerk) beschäftigt sich in metaphysischer und fantastischer Weise mit dem Thema Erlösung. Als Catarescu zwei Jahre alt war, starb sein Zwillingsbruder an einer Lungenentzündung. Wir waren genau gleich, niemand wusste, welcher wer ist. Der Tote hätte auch ich sein können. Meine stärkste Obsession ist die, dass ich starb und er lebt. Seine Mutter stellte ihm einen länglichen Spiegel in das Bett, sprach aber nie über den Verlust, denn der Kleine wäre ohne Trost geblieben, wie sie später sagte. Erst über seinen eigenen Roman gelang es dem Autor, seine Erinnerungen auf die bewusste Ebene zu verschieben.

Hat ein Autor das Lesepublikum auf seiner Seite, wie es Catarescu momentan hat, so hat er alles, was er braucht, SchriftstellerInnen verhungern nicht so schnell: … und ganz in der Art, wie es schon ein Jahrhundert zuvor der Fall war, kommst du nicht um, solange die Menschen das Sterben verschieben, um ein Buch zu Ende zu lesen. (Iona Parvulescu).

Dunkle Nacht in Bukarest: Ein magerer Obdachloser mit langen schwarzen Haaren und Bart liegt neben der Straße und schläft. Vorsichtig stelle ich eine Packung Kekse ein Stück weiter auf den Boden und drehe mich nicht um. Ein großes Gebrüll mit viel Schimpfa (wie wir in Kärnten sagen) ist die Folge. Dann reißt der wilde Mann die Packung auf und schlingt alles runter. Es gibt keine Verbindung zwischen den Künstlern und den Organisationen, die Obdachlose unterstützen, erklärt Catarescu. Außerdem vertrauen viele Bettler den meist kirchlichen Hilfsorganisationen nicht. Aber ich werde mal schauen, ob ich mit meinen Studenten, die viel Energie haben, ein Projekt starten kann. In Paris z. B. haben rumänische Migranten ihre eigene Straßenzeitung. Sie arbeiten im Sommer auf den Feldern in Rumänien und im Winter stehen sie als Kolporteure vor den Supermärkten der banlieue.

Die Autorin besuchte auf Einladung der Kunstvereins Alte Schmiede und der Literaturzeitschrift Wespennest Bukarest. Anlass der Reise war die Veranstaltung Literatur im Herbst, die Mitte November in Wien stattfand und der rumänischen Literatur gewidmet war.

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