Nie wieder zum Müll zurücktun & lassen

«Wenn ihr nach Wien kommt, hilft euch der Augustin»

«Leber mit Zirrhose-Morphologie. Im Segment VII des rechten Leberteils erscheint eine streng abgegrenzte Bildung mit unhomogener Struktur, mit arterieller Kontrastaufnahme und portalem und parenchimatischem wash-out.» Das ist nur der Anfang eines Befundes, den uns Petru Boti, 52 Jahre alt, zeigt. In ein einfaches Deutsch übersetzt: «Lass dich operieren, und zwar schleunigst!» Das kann er sich wegen fehlender Krankenversicherung weder in seiner Auswanderungs- noch in seiner Einwanderungsstadt leisten. Wenigstens das haben Timioara und Wien, neben ihren k. u. k. Prägungen, gemeinsam.Den «Kommunismus» assoziieren sie mit sicheren Arbeitsplätzen, regulierten Preisen für Grundnahrungsmittel, Strom und Wasser in den Wohnungen. Das postkommunistische Korruptionssystem hat nichts von alldem, aber folgende Alternativen für sie parat: Krepiert, oder tut, was «man» von euch erwartet stehlt und betrügt. Der reife Kapitalismus in Mittel- und Westeuropa ist deshalb zum Schauplatz ihres Überlebenskampfes geworden, der von der Mehrheitsbevölkerung als «organisierte Kriminalität» bekämpft wird. Die Rede ist von den Roma aus Rumänien, die in Wien betteln oder Zeitungen verkaufen. Mit Letzterem konnten sich Juliana und Petru Boti, seit acht Jahren beim Augustin, vom Leben auf den Müllplätzen von Timioara retten.

25 Cent gab es für ein Kilo Eisen, das aus der Müllhalde quasi im «Tagbau abgebaut» wurde. Wenn nicht auch andere im Mist stierln würden, käme man vielleicht auf zehn Euro pro Tag. «Aber es war ja nicht nur das Eisen verwertbar. Auch für Papier und Flaschen bekamen wir Geld», sagt Petru im Augustin-Gespräch. «Wenn du zwei Euro am Tag verdienst, kannst du dir dafür nicht einmal ein Kilo Paprika kaufen. Die kosten nämlich 3,25 Euro. Ein Kilo Tomaten kostet 4,50 Euro. Ein Kilo Champignons acht Euro (Angaben ohne Gewähr).» Über Letzteres regen sich Habenichtse in der Peripherie der siebenbürgischen Stadt am wenigsten auf Champignons sind ohnehin kein Haushaltsthema.

So lächerlich aus österreichischer Perspektive die «Einnahmen» aus der Müllverwertung waren: Eine andere Möglichkeit des Zuverdienstes zur Invaliditätsrente die Petru Boti seit 1994, als er nicht mehr in der Fabrik arbeiten konnte, vom rumänischen Staat bekommt gab es nicht. Die Rente macht 103 Euro pro Monat aus, davon muss aber auch seine Frau leben, die nichts vom Staat kriegt. Auch die Keusche in der Armensiedlung am Rande Timioaras siehe die Bilder auf dieser Seite war bei Weitem nicht kostenlos. Die Grundsteuer und die Abfallgebühren waren zu zahlen paradoxerweise auch das Wasser, obwohl Familie Boti ein paar hundert Meter weit in eine Reihenhaussiedlung mit etwas höherem Standard gehen musste, um sich vom dortigen Gemeinschaftsbrunnen Wasser zu holen. «Wir zahlten fürs Wasser, weil es ja in der Mitte der Straße floss. Damit es aber in unser Haus fließt, hätten wir 2000 Euro für den Kanalanschluss zahlen müssen.»

Rindfleisch ist in Wien billiger

Dolmetscherin Tina, die das Gespräch mit den beiden Botis übersetzt, komplettiert das trübe Bild, indem sie ihre eigene Praxis schildert: «Meine Verwandten in Rumänien müssen für das, was sie brauchen, in vielen Fällen mit einem höheren Preis rechnen, als er in Österreich üblich ist, obwohl sie im Schnitt nur ein Zehntel der österreichischen Löhne kriegen. Ich zum Beispiel kaufe Fleisch in Wien beim Metro ein und schicke es nach Rumänien. Besonders Rindfleisch ist für viele Rumänen inzwischen unleistbar geworden.» Die Österreicher_innen sollten das bedenken, bevor sie sich über die «Betterflut» aufregen, wie es ihnen die Krone, «Österreich» oder «Heute» vormachen. Sie würden es genauso machen, wenn das Armutsgefälle plötzlich umgedreht wäre. Für die Österreicher_innen mit ihrem Bildungsniveau müsse es doch leicht sein, sich ein objektives Bild über die Lage in der Herkunftsregionen der Bettler_innen und Zeitungsverkäufer_innen zu machen.

Wer immer eine Zahl nennt, wenn er oder sie nach dem Anteil der Roma an der Gesamtbevölkerung Rumäniens gefragt wird, nennt vermutlich die falsche. Die falscheste ist zweifelsfrei die, die die Regierung nennt: 535.000 Roma oder zwei Prozent der Bevölkerung. Da in Staaten, in denen Minderheiten als Sündenböcke oder als flexibelst disponierbare Billigstarbeitskräfte missbraucht werden, die Angehörigen dieser meist ethnisch definierten Minoritäten bei Volkszählungen zum vermeintlichen Selbstschutz schummeln, ist das Resultat für den Hugo. Die Betroffenen kreuzen bei «Rumänisch» an, wenn nach der Volksgruppenzugehörigkeit oder Muttersprache gefragt wird. Wer in Rumänien einigermaßen realistisch ist, wird eine Zahl zwischen eineinhalb und zweieinhalb Millionen Roma nennen.

Schon in Rumänien vom Augustin gehört

Es ist ihnen nicht schwer gefallen, sagt Juliana, ihre Straße in Timioara endgültig zu verlassen und in den Bus zu steigen, der damals am Südbahnhof die neuen Einwander_innen in einen neuen Lebensabschnitt kippte zusammen mit den schon Wienerprobten, die den Neuen während der Busfahrt Ezzes zum Überleben geben konnten. «Die Roma halten zusammen», sagt Petru, dadurch hätten er und seine Frau nie auf einer Parkbank schlafen müssen. «Habt ihr im Bus nach Wien schon erfahren, dass man sich dort beim Augustin melden kann?», fragen wir die beiden, die zu den erfolgreicheren Vertreiber_innen des Blattes zählen (sie verkaufen seit acht Jahren, wohlgelitten unter Kundschaft und Belegschaft, vor einem Supermarkt). «Aber nein», antwortet Petru. «Dieser Tipp hat schon in Timioara unter uns Zigeunern die Runde gemacht.»

Er zeigt uns Fotos, die unsere Leser_innen informieren sollen, wie er damals gewohnt hat. Unter all den Armutsbildern sticht eine Aufnahme des «Palastes» eines reichen Roms hervor mit all den dekorativen Exzessen der Morgenlandimitation, das in diesen Kreisen am ganzen Balkan so beliebt ist. Wir bitten Petru, auch dieses Foto für den Augustin zur Verfügung zu stellen um ohne großen Kommentar sichtbar machen zu können, dass die Spaltung der Welt auch durch die Minderheitsgesellschaft geht.

Petru zögert dann gibt er das Foto nicht frei. Er habe Angst, der Besitzer der Villa erfahre etwas von diesem Foto und dann auch davon, wer dieses Foto in Absicht der Denunziation zur Zeitung gebracht habe. Begründet oder nicht: Auch hinter dieser Angst stecken reale Machtverhältnisse, vor denen offenbar keine Formation der Gesellschaft verschont bleibt. Rumänienbezogene Texte mit Happy Ends zu versehen, ist derzeit schwer. Eben wurde die Nachricht verbreitet, dass die letzten Wanderhirten Europas, die rumänischen Schafhüter_innen, aufgeben müssen, weil neue EU-Verordnungen zur Verarbeitung von Schafmilch die jahrhunderte alte Lebensform der Transhumanz (Fernweidewirtschaft) zerstören. Aber das ist obwohl es am Ende auch um das Auswandern geht eine andere Geschichte