Mit dem Obdachlosen-Sprecher im «sozial gereinigten» Stadtpark
Am 1. April ist im Wiener Stadtpark die «Ordnung» wiederhergestellt worden. Die siebenköpfige Kolonie der Stadtpark-Obdachlosen – Gestrandete aus der Slowakei, Tschechien und Ungarn – mussten ihre improvisierten Zelte räumen. Ein leichter Sieg der Stadtverwaltung, denn die Sichtbarkeit der Armut abzuschaffen ist tausendmal simpler als die Armut selbst zu überwinden. Robert Sommer (Text) und Lisa Bolyos (Fotos) sprachen mit Roman, dem Sprecher der betroffenen Obdachlosengruppe.Am Tag danach. Roman kommt pünktlich zum vereinbarten Treffen an der Haltestelle Stubentor, am Ende des Stadtparks. Die überdachte Haltestelle liegt nur hundert Meter neben den ehemaligen Schlafplätzen. Bei Regenwetter war sie deshalb der Aufenthaltsraum der Parkmenschen. Roman kommt mit einem Sackerl voller Schokoladeosterhasen und anderer Naschereien, für seine Kumpel. «Grüße vom Kardinal Schönborn», sagt er. Vor einer Stunde hat er mit dem Kardinal diniert. Nicht er allein. Anlässlich der Osterfeiertage hat das Oberhaupt der österreichischen Katholik_innen eine Gruppe von Obdachlosen eingeladen. Auch wenn Roman als Ungläubiger die Gebete und das Zeremoniell rund um das karitative Mittagsmahl fremd anmuteten, ist er angetan von der Geste des Kardinals.
Christlich gesprochen: Roman büßt im Stadtpark seine «Sünden» ab. Besser: Er büßte sie ab, denn mit der Vertreibung der letzten Mohikaner scheint seine Aufgabe hier beendet zu sein. Roman besitzt die tschechische Staatsbürgerschaft, aber er wuchs in Deutschland auf. Sein gutes Deutsch hat die Obdachlosenkolonie zwei Jahre lang in die Lage versetzt, mit Behörden und Flanierenden zu kommunizieren.
Romans Initial-«Sünde» war, dass er das Know-how seines Chemiestudiums nicht, wie geplant, in die Pharma-Firma Bayer einbrachte, sondern in sein eigenes illegales Projekt, die Produktion von Drogen. Als er mit 1000 Ecstasy-Tabletten und sonstiger synthetischer Schmuggelware an der deutsch-tschechischen Grenze verhaftet wurde, war ihm klar, dass es so kommen musste. Acht Jahre verbrachte er deswegen in einem deutschen Gefängnis.
Als er herauskam, wollte er nach Spanien, über die Zwischenstation Wien. Weil man ohne Mittel bekanntlich maximal bis Scheibbs kommt, blieb Roman im Stadtpark hängen, wo er Outlaws seiner Muttersprache kennenlernte. Zwei Jahre lang übernachtete er an einer überdachten Stelle beim Wienfluss, der den Park durchfließt. Eine Schlafstelle, die traurige Berühmtheit erlangte, als einer seiner acht Kolleg_innen starb. Er war erst 36 Jahre alt, aber der Alkohol und das Straßenleben hatten seinen Körper ruiniert. Von diesen beiden tödlichen Faktoren ist auch Roman gezeichnet. Wenn er am Morgen aus dem Schlafsack kroch, habe er so gezittert, dass er unmöglich die Schale mit dem Kaffee halten konnte. Das Zittern konnte er nur mit Schnaps bekämpfen.
Die morgendliche Melange war eine Spende einer anonymen Ärztin, die eine Zeitlang täglich je eine Thermosflasche Kaffee und Kakao in den Park brachte. Auch von einer weiteren Unterstützerin erzählt Roman. Sie sorgte dafür, dass manchmal Lebensmittel, in Sackerl gefüllt, abholbereit an einem Eingangstor hingen.
Inzwischen will Roman Vernunft walten lassen, was seine Gesundheit betrifft. Es genügt nicht, dass er zu trinken aufhörte, er braucht auch die Hilfe der Medizin. Diese ist ohne Krankenversicherung aber schwer zu haben. Eine Therapie in einem Wiener Krankenhaus war ihm als leistbar empfohlen worden. Als er entlassen wurde, überreichte man ihm die Rechnung für die Pflegeleistung: 8000 Euro! Der Direktor zog davon 5000 ab, als er begriff, in welcher Lage sich der Patient befand. Die restlichen 3000 Euro könne er mit monatlichen 30-Euro-Raten begleichen. Was für Lohn- oder Gehaltsempfänger_innen als kulant erscheinen muss, kann für einen wie Roman zum Problem werden. Noch ist sein Körper zu sehr Wrack, als dass er an irgendeine Tätigkeit im Pfusch denken könnte. Bei einem nochmaligen Termin in der Spitalsverwaltung werden ihm auch die 3000 Euro erlassen.
Finale mit fünf nicht unhöflichen Polizisten
Haltestelle Stubentor. Beim vereinbarten Treffpunkt stoßen wir auf einen Teil der Kolonie. Obwohl gestern die Parkschläfer_innen auf verschiedene Notquartiere der Stadt aufgeteilt wurden, scheint das Stationshütterl Ort der gemeinsamen Zusammenkünfte zu bleiben. Sie scheinen guter Dinge zu sein, obwohl sie aus ihrem «Wohnzimmer» vertrieben worden sind. «Die fünf Polizisten, die das Lager aufgelöst haben, waren nicht unhöflich zu uns», erzählt Roman. «Sie erklärten uns, dass sich jemand über Lärm- und Unrats-Belästigung durch die ‹Sandler› beschwert habe. Ich kann das nicht nachvollziehen. Ich glaube den Beamten, wenn sie sagen, sie handeln auf Befehl von oben.» Der Polizeieinsatz zur Beendigung der Obdachlosenpräsenz sei mit den Caritas-Streetworker_innen koordiniert worden, meint Roman. Jeder und jedem Betroffenen habe man ein Notbett anbieten können. Der 80-km/h-Sturm, der zu Beginn dieses Monats durch den Stadtpark fegte, hat zusammen mit dem unangenehmen Schneeregen den Abschied vom Stadtpark – auch für jenen Kumpel, dessen Parkaufenthalt schon ins sechste Jahr geht – wohl leicht gemacht.
Sechs Jahre im Stadtpark ist nicht die längste Aufenthaltsdauer, von der Roman weiß. Jaro, der ehemalige slowakische Richter, den der Alkoholismus aus der Karriere katapultiert hatte, hat neun Jahre im Park gelebt. Jaro starb Ende des vergangenen Jahres, weil eine längst fällige Beinamputation aus Geldmangel unterblieb.
Die bemüht zivilisierte Art und Weise der Auflösung des Obdachlosenlagers sei nur vor dem Hintergrund der brutalen Stadtparkrazzia des Jahre 2013 zu verstehen, meint Roman. Die negativen Schlagzeilen selbst in den Revolverblättern, die die Polizei durch diese Operation erfuhr, erwiesen sich als lehrreich. Damals befahl eine nicht zur Diskussion aufgelegte Polizeieinheit 20 Obdachlosen die sofortige Räumung der Grünanlage. Sie hätten gegen die Wiener Kampierverordnung verstoßen, wonach der Gebrauch von Schlafsäcken ausschließlich auf Campingplätzen legal sei. Damals entsorgte die MA 48 die Habseligkeiten der Betroffenen, was diese als Raub interpretierten. Einer der Wohnungslosen wollte den Park nicht verlassen und wurde mit einer 100-stündigen Polizeigefängnisstrafe sanktioniert. Eine vom Augustin initiierte Solidaritätsdemonstration im Stadtpark trug zur Skandalisierung dieser «sozialen Säuberung» im öffentlichen Raum bei.
Wie so oft: In der Erinnerung sind die positiven Erlebnisse dominant. Romans schönstes Erlebnis war das selbstorganisierte Hochzeitsfest im Stadtpark. Eine Frau und ein Mann aus der Slowakei waren, vor den Augen der Obdachlosenkolonie, zum Liebespärchen geworden und heirateten sozusagen imaginär, aber voller Lebenslust. Sekt floss in Strömen – weder gestohlener noch erbettelter Sekt, sondern von solidarischen Wiener_innen herbeigeschaffter. Für eine Dekoration des Schauplatzes mit Blumensträußen sorgte – ebenfalls ohne Geld zu verlangen – der Blumenkiosk am Ende des Parks. Es war ein Fest, bei dem man das Aufblitzen einer Möglichkeit bemerken konnte: dass die soziale Kälte dieser Stadt doch nicht endgültig etabliert ist.
Wenn Sie diese Zeilen lesen, ist Roman vielleicht wieder in Deutschland. Das Einreiseverbot wegen der Drogensache ist abgelaufen. In Deutschland wartet eine Wohnung auf ihn. Die Geschichte sollte hier enden. Denn die Happy-End-Quote der Augustin-Journalistik ist ohnehin minimal. Es gibt viele andere Orte in Wien, die weniger im Scheinwerfer der medialen Aufmerksamkeit stehen und wo die Methoden der «sozialen Säuberung» hässlichere Erscheinungsformen aufweisen.