Transfers im Wiener Fußballunterhaus
Wie sieht der Transfermarkt einer Liga aus, in der kaum jemand einen Marktwert hat? Nüchterne Betrachtungen eines glamourösen Sektors von Hannes Gaisberger.
Foto: Mario Lang
Sommer 2017. Auch wenn die Ligen pausieren und kein großes Turnier ausgetragen wird, die Fans bleiben an der medialen Leine von König Fußball. Denn die Rekorde purzeln: teuerster Österreicher aus der heimischen Bundesliga (Maximilian Wöber, kolportierte 7,5 Mio Euro), teuerster Österreicher (Marko Arnautović, kolportierte 22,3 Mio Euro), teuerster Spieler aller Zeiten (Neymar Jr., in bar hinterlegte 222 Mio Euro). Dieses Spiel mit Fantastillionen, der wochenlang inszenierte Vertragspoker, das Auftreten windiger Winkeladvokaten und schmieriger Spielervertreter – all das macht den Transfermarkt so beliebt.
Transfermarkt lautet auch der Name einer Homepage, die sich über die Jahre von einem zweifelhaft beleumundeten Tratschforum zu einem wichtigen Informationsmedium für Fußballfans gemausert hat. Hier kann man sich an den scheinbar irrwitzigen Summen ergötzen, die manche Vereine für ihren Kader aufwenden. Und sich wundern, wie bereits in der Regionalliga Ost die Spieler unter die Wahrnehmungsschwelle dieser Bewertung rutschen. Lediglich Nachwuchsspieler der Großklubs, die in den Amateurteams der Vereine auflaufen, haben demnach einen Wert, und zwar zwischen 300.000 und 25.000 Euro.
Das teure Einhorn.
Besonders dünn wird die Informationslage ab den 4. Ligen, im hiesigen Fall der Wienerliga, beziehungsweise Wr. Stadtliga, wie es offiziell heißt. Hier scheint lediglich ein einziger Spieler von nennenswertem Wert zu sein, nur neben seinem Namen stehen die magischen Zahlen: Amil Dilberović vom SV Wienerberg. Der 22-jährige Niederländer hat schon in Italien, Schweden, Bosnien und Kroatien am Profifußball geschnuppert und scheint mit einem aktuellen Marktwert von 150.000 Euro auf. Tendenz fallend. Dennoch eine beträchtliche Summe und zum Vergleich: Der Mittelstürmer Marin Jakolis vom Bundesligisten Admira Wacker wird ebenfalls mit 150.000 Euro bewertet. Vielleicht steckt doch mehr Geld in der Wienerliga als gedacht.
Hat der SV Wienerberg tatsächlich so viele Mittel zur Verfügung, um sich einen erfahrenen und dennoch jungen Legionär um eine schöne Stange Geld zu holen? Und wie hoch ist die Ablöse für so einen Sensationstransfer? Da es leider keinerlei Pressemeldungen zu diesem für die Wienerliga so herausragendem Ereignis gibt, probiere ich mein Glück mit einem Anruf bei dem sportlichen Leiter von Wienerberg, Wolfgang Kamper. Während in meinem Kopf wilde Vermutungen spuken, wie man den Spieler an den Wienerberg gelockt haben mag – mit einem Job als Geschäftsführer eines Wettbüros inklusive Wohnung und Dienstwagen? –, liegt der wahre Grund im familiären Bereich. «Seine Tante wohnt in Wien. Ihr Sohn spielt bei uns im Nachwuchs. Er ist jetzt auch nach Wien gezogen und wollte mit seinem Neffen im selben Verein kicken», so Kamper nüchtern. Ablöse? «Nichts. Er war verletzt und hat länger nicht gespielt.» Dass das Talent Dilberović noch diesen enormen Marktwert mit sich herumschleppt, während der restliche Kader unter die Schwelle des Bewertbaren fällt, wundert Herrn Kamper.
Lockmittel Rasenplatz.
Es sei nicht das Geld, womit man die zukünftigen Rasenarbeiter für sich gewinne, so Kamper: «Wir haben hier eine der schönsten Anlagen Wiens, einen neuen Kunstrasenplatz, zwei Rasentrainingsplätze. Das wissen viele Spieler zu schätzen.» Der SV Wienerberg versucht, den eigenen Nachwuchs zu fördern und in die Kampfmannschaft zu bringen. Bei fälligen Transfers zahle man aber nie Ablöse, höchstens dann und wann eine Leihgebühr, das wären etwa 1000 Euro für ein Jahr. Mit großen Summen kann hier nicht gedient werden, und auch die Spielerberater fehlen. Obwohl man glauben könnte, dass es für sie in diesen Dimensionen kaum etwas zu verdienen gibt, melden sich zur Transferzeit vermehrt ihre Schützlinge anpreisenden Vermittler bei Kamper. «Aber auf so was lassen wir uns gar nicht ein.» Wenngleich es nicht bei allen Wienerliga-Klubs so franziskanisch zugehen mag wie bei Wienerberg, eines scheint klar: Das große Geld ist hier nicht zu holen. Zumindest nicht legal.
Vom Gesetz her sind viele Summen klar geregelt: Ein Amateurspieler darf maximal 540 Euro im Monat verdienen, um steuerfrei bleiben zu können. Und für Transfers gibt es eine Tabelle vom Verband, in der standardisierte Entschädigungszahlungen für Wechsel innerhalb und zwischen den Ligen angeführt sind. Auf dem Papier werden diese Zahlen bei allen Vereinen stimmen, über Schwarz- und Handgeld wird im Amateurfußball genauso viel gemutmaßt wie in den oberen Ligen. Falls ein Spieler das Interesse aus einer höheren Liga weckt, haben die Klubs in der Regel keinerlei Handhabe, das Objekt der Begierde zu halten.
Vienna Faxing?
Wenn es bei millionenschweren Transfers im internationalen Geschäft schon so chaotisch zugeht – in der letzten Minute werden falsche oder nicht unterschriebene Dokumente gefaxt –, wie muss es da erst im Unterhaus zugehen? Sitzen die Mitarbeiter_innen der Geschäftsstelle bei Transferschluss mit Getränken und Knabberei bis 0.01 Uhr vor dem Fax? Andre Raisinger vom WFV entzaubert auch diesen Mythos: «Nein, das entspricht aktuell nicht mehr der Realität, da die Vereine die Möglichkeit haben, ihre Transfers online durchzuführen. Am Schluss muss man nur zur Geschäftsstelle kommen, um den Spielerpass abzuholen. Der Großteil der Vereine nimmt diese Möglichkeit wahr. Allerdings besteht nach wie vor die Möglichkeit, die Transfers per Post oder via Postkasten beim WFV vor Mitternacht zu tätigen.» Diese romantische Art der Geschäftsabwicklung werde aber immer weniger wahrgenommen. Dafür scheint das System effizient zu arbeiten. In der für alle Amateurligen geltenden Transferzeit von lediglich zehn Tagen werden «1.500 bis 2.000 Meldebewegungen durchgeführt. Wobei der Großteil der Anmeldungen in den letzten zwei Tagen erfolgt», wie Raisinger anmerkt. Dass in der Wienerliga zumindest vereinzelt Ablösen gezahlt werden, ist für Herrn Raisinger, der im WFV für das Meldewesen und den Spielbetrieb zuständig ist, eine Tatsache. «Allerdings wird der Verband davon nicht in Kenntnis gesetzt. Für den Verband reicht es, wenn die Freigabe des Stammvereines vorliegt. Die Höhe der Ablösesummen, falls welche bezahlt werden, obliegt einzig und allein den Vereinen.»
Nach all den Dingen, die es im Transfermarkt des Unterhauses nicht gibt, kommen wir noch zu etwas, dass man dafür aus der Bundesliga nicht kennt: Reamateurisierung. Wie geht das, Herr Raisinger, und wieso macht man das? «Das bedeutet, dass ein Profispieler (Bundesliga) zum Amateur (für Bewerbe des Landesverbandes) gemacht wird. Erwirbt ein Verein aus der Regionalliga oder aus der Stadtliga einen Spieler aus den Bundesligen, sprich einen Profi, und dieser würde seinen Status beibehalten, müsste der Amateurverein diesem Spieler einen Vertag geben, bei Finanzamt und Krankenkassa anmelden. Dies liegt jedoch meist nicht im Budget dieser Klubs. Deshalb suchen die Vereine in so einem Fall um Reamateurisierung an. Dazu sind dann keine Verträge notwendig.» Und das Fax darf weiter schweigen.