Nikolaus Dimmel stellt der Sozialarbeit ein schlechtes Zeugnis ausArtistin

Im Bermuda-Dreieck abgetrieben

Das Kompetenzzentrum für Soziale Arbeit veranstaltete am 6. April 2006 einen Nachmittag zum Thema Der Sozialstaat am Ende? Für die Sozialarbeit die Wende?. Für die Rolle des Agent Provocateurs wurde der Salzburger Jurist und Politikwissenschafter Nikolaus Dimmel engagiert. Der zweifache Doktor, Uni-Professor und Nicht-Sozialarbeiter Dimmel wurde den Erwartungen voll gerecht, indem er im Rahmen eines Vortrags der Sozialarbeit attestierte, in einem Bermuda-Dreieck abgetrieben zu sein. Wer verliert, verliert nicht nur sozialen Status, sondern auch bislang sicher gewähnte soziale Rechte, so Dimmel zur Misere, die vor zirka fünfzehn Jahren mit dem Einsetzen der Wiederkehr des autoritären Wohlfahrtsstaates in den USA unter Bill Clinton ihren Ausgang nahm. Prominente Soziotechniker des Dritten Weges wie Tony Blair und Gerhard Schröder importierten die neue Debatte um den Wohlfahrtsstaat nach Europa und arbeiteten fleißig daran, dass es nicht nur bei der Debatte geblieben ist, sondern dass auch gleich der Paradigmenwechsel vollzogen wurde.

Mit kurzer zeitlicher Verzögerung hieß es auch in Österreich soziale Leistung nur mehr gegen Gegenleistung mit anderen Worten der Sozial- und Wohlfahrtsstaat mache die Betroffenen von seinen Leistungen abhängig. Dimmel meinte provokant, die Hilfsbedürftigen würden dadurch zu Sozialleistungs-Junkies degradiert, was beim Auftrag der sozialen Arbeit Spuren hinterlässt. An dieser Stelle wollte Nikolaus Dimmel keinesfalls mit Kritik an SozialarbeiterInnen sparen, denn die soziale Arbeit hat kein politisches Feld besetzt … weder in der Soziotechnik, noch in der Sozialpolitik sind Stimmen der sozialen Arbeit an prominenter Stelle zu hören, und bezeichnend scheint, dass die Krise der sozialen Arbeit von ihr selbst nicht diskursiv erörtert wird.

Naturgemäß stieß diese Meinung Dimmels bei der anschließenden Podiumsdiskussion, wo neben ihm nur SozialarbeiterInnen teilgenommen haben, auf Widerstand. Peter Stanzl, Leiter des Dezernats Sozialarbeit und Sozialhilfe, nannte sich selbst als Beispiel eines Sozialarbeiters, der politischen Einfluss ausüben kann, und meinte beinahe im gleichen Atemzuge ein Vertreter des New Public Managements zu sein. Quo vadis Magistratsabteilung 15?

Den Arbeitslosen den Habitus der Kleingewerbetreibenden einpflanzen

Beschönigend wird das New Public Management als wirkungsorientierte Verwaltung verstanden, so Dimmel und diese Wirkungsorientierung diene der städtischen Müllabfuhr oder für das Betreiben eines Hallenbades, aber keinesfalls für Sozialarbeit, denn dieses Konzept führe zu einer tief greifenden Veränderung ihres Charakters und ihrer Leistungsfähigkeit: Soziale Arbeit wird dadurch unter die Logik der Finanzverwaltung gezwungen! Der andere Teil einer Zange betrifft die Verwandlung der ArbeitnehmerInnen in ArbeitskraftunternehmerInnen: Den Arbeitslosen sollen Habitus und Denkhaltung der Kleingewerbetreibenden eingepflanzt werden. Wer versagt, wird von den mit Testbatterien, TrainerInnen, PsychologInnen und SozialarbeiterInnen bewehrten Einrichtungen dem Kaninchenstall-Programm der Ein-Euro-Jobs zugewiesen. Von sozial- und arbeitsrechtlichen Standards und Mindestlöhnen ist folgerichtig nur mehr in Konferenzansprachen die Rede.

Der nächste verbale Schlag Nikolaus Dimmels richtete sich gegen das Doppelmandat sozialer Arbeit, das Janusköpfige Verwirrung stiftet. Das Rollenverständnis von SozialarbeiterInnen pendelt nämlich zwischen HelferIn und Sozialanwalt/-anwältin der Armen und VerwaltungspolizistIn im Sozialhilfevollzug. In Folge würde Sozialarbeit die öffentliche Machtausübung als Tabu wahrnehmen und für sich nur Aufträge erkennen, aber kein politisches Mandat ansteuern. Die Krux dabei ist, dass die Machtausübung aber sehr wohl stattfindet, und zwar im Habermas’schen Sinne als Kolonisierung der Lebenswelt ihrer KlientInnen.

Komplettiert wird schließlich das Bermuda-Dreieck der sozialen Arbeit durch die Semiprofessionalität der Sozialarbeit (die beiden anderen Ecken wären die Verbetriebswirtschaftlichung und das sozialpolitische Doppelmandat). Die Professionalisierung habe noch nicht stattgefunden, denn einerseits fehle es nach wie vor an professionspolitischen Pfeilern wie Berufsrecht und Kollektivvertrag, andererseits ließe sich soziale Arbeit durch spezialisierte Berufe wie Schuldner-, Miet-, Lebens- und SozialberaterInnen, PsychotherapeutInnen und SozialmanagerInnen verdrängen. Folglich stellt sich in administrativen Aufgabenreformprozessen die Frage, worin denn noch die Kompetenz der Sozialarbeit und worin der spezifische Produktionsunterschied zu anderen Sozialberufen besteht.

Ausweg aus dem Bermuda-Dreieck?

Um einen klaren Kurs einschlagen zu können, empfahl Dimmel der Sozialarbeit, von Karl Marx zu lernen, denn mit ihm könnte ihre reelle Unterordnung in der Standort- und Kapitalverwertungsrationalität erkannt werden. Als Weg aus der Unterordnung schlägt der Politologe und Jurist vor, das neoliberale Verständnis zu rügen und eine an die Bedürfnisse der KlientInnen orientierte Ökonomie zu verfolgen.

Der dem Vortrag zu Grunde liegende Aufsatz von Nikolaus Dimmel kann unter www.sozialearbeit/veranstaltung.php?documentation=true&detail=15 nachgelesen werden.

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