Ein Tag des Misstrauens gegen die Mode-Ketten
Am «Fashion Revolution Day», der am 24. April begangen wurde, gedachte man weltweit der vielen Opfer, die der Einsturz des Fabrikgebäudes Rana Plaza in Bangladesch vor zwei Jahren brachte. 1138 Textilarbeiter_innen kamen damals ums Leben, mehr als 2500 wurden schwer verletzt. Einige Mode-Designer_innnen und Shop-Inhaber_innen sind aktive Mitgestalter dieses Tages der «Mode-Revolution». Ein Bericht von Doris Kittler, Autorin der Augustin-Rubrik «Wiener Wäsche».Ob ich nun unverbesserliches Fashion-Victim bin, oder ob ich es hasse, Textilläden zu betreten, um mich neu einzukleiden, eines steht jedenfalls fest: Ein solcher Einkauf ist mehr als bloß ein schnelles Business, das sich zwischen mir und einer Kassa abspielt. Zumeist reihe ich mich in eine lange Kette an komplexen Geschäftsverflechtungen, Transporten, Weiterverarbeitungen, Weitertransporten, Zwischenverkäufen, und nicht zuletzt an Ausbeutung von Mensch, Tier und Umweltressourcen ein. Wer von uns ist sich schon dessen bewusst, wie viele tausende Kilometer die meisten Kleidungsstücke quer über den Erdball zurücklegen, bevor sie uns erreichen? Wer stellt sich in dieser Sekunde die Frage, ob die Hersteller_innen des Kleidungsstückes hungern mussten, ob sie durch die Chemikalien krank wurden oder unter sonstigen schrecklichen Arbeitsbedingungen leiden mussten. Die sechsfache Menge dessen, was wir weltweit in einem Jahr an Textilien kaufen, lagert gerade irgendwo auf der Welt und wird sehr bald, nachdem die Kleidung nicht an die Kundschaft gebracht werden konnte, wieder in die Herstellungsländer geschickt, um dort sogleich wieder vernichtet, meist verbrannt zu werden. Wer begreift diesen menschlichen, ökologischen und schließlich auch ökonomischen Wahnsinn?
Natürlich ist es einfacher, gängigen PR-Kampagnen großer Modeketten zu vertrauen, die in letzter Zeit immer prominenter für «faire» und «umweltbewusste» Spezialkollektionen werben. Oft handelt es sich hierbei jedoch nur um so genannte Greenwashing-Aktionen: Ein Unternehmen baut sich ein verantwortungsbewusstes Bio-Image, ohne nachweislich gewissenhaft und ökologisch zu arbeiten. Leider funktioniert dies, ähnlich dem herkömmlichen Modemarkt, hervorragend: Das Gros der Bevölkerung kauft und kauft und kauft. 14 (!) Kollektionen pro Jahr sind zurzeit durchaus gängig. Will ich also en vogue sein, müsste ich so etwa alle zwei bis drei Wochen shoppen gehen, um eine hipe Fashionista zu sein. «Fast Fashion» wird immer mehr zur täglichen Normalität. Gleichzeitig betrachten jedoch auch immer mehr Menschen genau dieses sich ständig und rasant ändernde Modediktat schlicht als Stress.
Nach Slow Food nun auch Slow Fashion?
Auf «Slow Food» folgt also «Slow Fashion»? Eine Reihe von Aktionen und Vorbildern zeigen in jüngerer Zeit die zarten Blüten eines solchen Trends, der mittelfristig sicher nicht zu stoppen ist. Wenn man bedenkt, wie befremdet, ja, geschockt die Gesellschaft noch vor einigen Jahren auf den Satz: «Ich lebe vegan!» reagierte, hätte man sich kaum vorstellen können, dass Veganismus recht plötzlich zum Massenphänomen wird.
In Zeiten des Turbokapitalismus, wo durch Überforderung, durch Geschwindigkeit in vielen Lebensbereichen Krankheiten wie Burnout immer schneller um sich greifen, ist die Übersättigung und Müdigkeit der Leute logische Folge. «Es betrifft alle Lebensbereiche, es betrifft Normen, Wertvorstellungen, Einstellungen: Die ändern sich nicht so schnell, von heute auf morgen. Das braucht Zeit», so Nicole Kornherr, Aktivistin und Initiatorin der Internet-Plattform »Die Sicherheitsnadel», einem Guide für Wiener Fairtrade- und Biomode-Initiativen bzw. -geschäfte. «Eine Welt ohne Kapitalismus zu denken ist sehr schwer, weil man sich einfach nicht vorstellen kann, nicht ständig zu shoppen. Die Leute brauchen Vorbilder. Das heißt, einige wenige Leute müssen anfangen.» Eine davon ist Nunu Kaller, die mit ihrem «ichkaufnix»-Modeblog im letzten Jahr für ziemlichen medialen Wirbel gesorgt hat und so viel Erfolg mit ihrem bewussten Kaufstopp hatte, dass sie sogar ein Buch darüber publizierte: «Ich kauf nix! – Wie ich durch Shopping-Diät glücklich wurde».
Als sie mit ihren 34 Röcken den Überblick verliert, beschließt sie, ein Jahr lang keine Kleidung mehr zu kaufen. Sie beschreibt ihre Beobachtungen an sich selbst, sie sieht sich nach Alternativen um, wie sie an neues Gewand kommen kann, etwa durch selber Nähen oder bei Tauschpartys. Die Effekte sind vielschichtig: Man lebt fair zu Mensch, Tier und Natur UND man wird kreativ, tendiert naturgemäß zu einem individuelleren Style. «Ich finds urtraurig, alle schauen gleich aus! Habt ihr keine eigene Meinung mehr? Es ist ein befreiendes Element, dass ich sag: Ich muss mich dem jetzt nicht mehr hingeben. Aber es ist schwierig, das zu machen, denn du bist quasi die Aussätzige. Dieses Gruppenzugehörigkeitsgefühl, besonders unter Jugendlichen … Die sagen dann womöglich: Du bist die Ökotussi und gehörst nicht zu uns. Es ist nicht immer leicht, aber es geht. Und es werden immer mehr! Es ist der Appell: Bitte empowert euch, emanzipiert euch und lasst euch nicht von Modekonzernen vordiktieren, was ihr zu tragen habt und wie schnell ihr das alles wechseln müsst», so Kornherr.
Transparenz bis ins letzte Detail!
Auch in Wien kam es am «Fashion Revolution Day» zu diversen Veranstaltungen, um den Fair-Fashion-Kauf einfacher und be-greifbarer zu machen. Der US-Dokumentarfilm «Traceable» (zurückverfolgbar) etwa untersucht das Gewissen der Modebranche während des Produktionsprozesses aus der Perspektive einer Modedesignerin. Eine Kanadierin geht nach Indien und arbeitet direkt mit den Erzeuger_innen, die drucken, färben und nähen. Dabei schafft sie es, aus alten indischen Traditionen ihren Stil zu entwickeln und dabei die Handwerker_innen, ihre Talente und ihr Wissen einzubeziehen. «Ist das wirklich Luxus, wenn die Leute, die das produzieren, nichts zu essen und zu trinken haben?» ist eine Frage, die der Film stellt. Er fordert Transparenz bis ins letzte Detail. Dabei ist eine wesentliche Idee, an jedes Kleidungsstück einen Barcode anzubringen, anhand dessen man jeden einzelnen Produktionsschritt rückvollziehen kann, was mit Hilfe neuer Technologien, nicht zuletzt auch von Handys, die mittlerweile überall auf der Welt mittels Solarzellen betrieben werden, theoretisch leicht möglich wäre.
Ulrike Plichta bringt mit «b.dressed» Ware von fair produzierenden Designer_innen, die bis dato nicht verkauft wurde, vergünstigt an die Kundschaft; einerseits, um die Textilien nicht in Lagern verkümmern zu lassen, andererseits, um das Image der Ökofair-Mode vom Hippielook zur anerkannten Avantgarde zu holen. Es soll einfach cool und hip sein, nachhaltig einzukaufen! Aus der Entwicklungszusammenarbeit kommend, ist es ihr außerdem ein großes Anliegen, Frauen durch direkte Bezahlung zu stärken, um sie so durch außerhäusliche Arbeit unabhängig zu machen. Plichta plant künftig vierteljährlich Pop-Up-Läden in verschiedenen Teilen Wiens.
Es gibt viele Arten, wie wir kritisches Bewusstsein in unseren Kleiderkauf-Alltag praktisch umsetzen können: Informieren Sie sich im Internet (Die Sicherheitsnadel) über Geschäfte in Wien, schauen Sie sich die Seite der Initiative «Clean Clothes» an, prüfen Sie Kleidungsstücke nach dem GOTS- (Global Organic Textile Standard) bzw. dem «Fear Wear Foundation»-Zertifikat. Andere Bezeichnungen wie etwa «Textiles Vertrauen» von Hofer oder «Conscious» von H&M sagen leider wenig bis gar nichts Verbindliches über die Herkunft und Produktionsweise der Kleidung aus. Fragen Sie Verkäufer_innen und Filialleiter_innen bei Ihren Käufen nach der Herkunft der Kleidungsstücke, schreiben Sie Mails an Geschäfte und Konzerne, engagieren Sie sich! Es ist nicht schwierig, dauert einige Minuten und tut gut.
www.die-sicherheitsnadel.at
www.bdressed.at
www.cleanclothes.at
www.fashionrevolution.org/austria