Sachbuch: Antisemitismus in Wien
Die Sprachsoziologin Ruth Wodak versammelt als Herausgeberin vorliegender Anthologie Beiträge von Jüd:innen aus drei Generationen, die «literarisch und fiktiv» als «Schlüsselgeschichten» lesbar sind. Das kann einem nur in Wien passieren, die Vorgänger-Ausgabe des Buches, ist vor 23 Jahren erschienen. Es hat sich einiges geändert, auch verbessert. Der unterirdische, schmutzige Strom der «jüdischen Weltverschwörungstheorie», der Antisemitismus, sei aber noch da. Grund genug, um den Band zu aktualisieren.
In Das kann immer noch in Wien passieren. Alltagsgeschichten gewährt der Physiker Peter Weinberger Einblicke in seine Rolle als Zeitzeuge an Schulen. Weinberger schilderte Schüler:innen leere Wohnungswände ohne Fotos, da Familienangehörige im Nationalsozialismus in Konzentrationslagern ermordet wurden. In seiner Geschichte um die Einweihung einer Gedenkstätte in Oberösterreich illustriert der Historiker Doron Rabinovici mit der an ihn gerichteten Frage «Können Sie eh Deutsch?» die Begrenztheit nationalen Denkens.
Ein roter Faden zieht sich durch alle Erzählungen: Sie sind grundiert von Vorurteilen und Hassliebe, die über Jahre hinweg transportiert, ebenso ihren Ausdruck in der Gegenwart finden, etwa in jüdischer Weltverschwörung, die «während der Covid-Pandemie […] auf Demonstrationen mancher Impfgegner zu beobachten […] waren», bemerkt Wodak. Indirekt fordern alle Erzählungen ein dialogisches Miteinander statt Ausgrenzungen.
Ruth Wodak (Hg.): Das kann immer noch in Wien passieren. Alltagsgeschichten
Czernin 2024
250 Seiten, 24 Euro