Normal sein wollen ist ein komischer WunschArtistin

In ihrem literarischen Debüt erklärt Denice Bourbon, wieso ein straightes Leben ein fades Leben ist

Feminismus geht doch eigentlich alle an – darum sollte, findet Denice Bourbon, Häupl öfter mal feministische Veranstaltungen eröffnen. Und weil Wien (und Österreich erst!) allgemein ein bisserl Emanzipationsnachhilfe braucht, ist es gut, dass Miss Bourbon hierher migriert ist. Einige ihrer nur unterhaltsamen – und einige ihrer sehr politischen (aber durchaus ebenso unterhaltsamen) Weisheiten hat sie in ihrem Debüt-Buch beim Wiener Zaglossus-Verlag veröffentlicht: Cheers!

In der «Romanischen Halle» (Anfang 13. Jh.) steht vor einem hohen Bücherstapel eine Domina, die droht, wenn jemand sich dem Frischgedruckten nähert. Nebenan, in der «Gothischen Halle» (Mitte 13. Jh.) gibt es überteuertes Bier in kleinen Flaschen, einmal die Stiegen runter geht es in den «Barockkeller» (17. Jh.), der voll ist mit wartenden Fans. Denice Bourbon lässt sich nicht lumpen: Die Präsentation ihres Erstlingswerks findet im «Elysium» statt – den zu Clubräumen ausgebauten Kellereien des Klosters Heiligenkreuz in der Wiener Innenstadt.

 

Im Interview werde ich erfahren, dass es «nicht ein verdammtes Mal» gibt, bei dem Denice Bourbon vor ihrem Auftritt nicht nervös ist. Dass sie sich immer schwört, das sei das letzte Mal (und ihren Schwur dann wieder bricht, angesichts der fröhlichen, zustimmenden, sich über sie freuenden Fans). Von all der Nervosität ist hier nichts zu merken. Miss Bourbon tritt auf, die Menge johlt, sie hält eine kurze Rede, bevor ein Abend mit Performances, Liedern und Lesungen beginnt, und schließt mit den ins Mikro geraunten Worten: «If you grab those asses, grab them with consent – cause consent is sexy!» – «Wenn ihr euch gegenseitig auf den Hintern greift, macht das mit Einverständnis – denn Einverständnis ist sexy!» Was Denice Bourbons Idee vom Leben ziemlich nahe kommt: die Kombination aus größtem Respekt und größtem Spaß. «Für mich kann Politik gern auch lustig sein. Mit Humor lassen sich Sachen manchmal viel besser erklären» – das darf gleichsam als Zusammenfassung ihres Buches gelten.

Queer heißt: Fragen stellen


«Cheers!» heißt der Wälzer, der das Leben einer «Fabulous Queer Femme in Action» auf knackigen 364 Seiten unterbringt – auf Englisch, was nicht ihre Muttersprache und darum, verspricht Miss Bourbon, leicht lesbar ist.

 

Was wie eine Autobiographie daherkommt (am Cover Denice Bourbon inmitten kitschig gerahmter Fotos ihrer selbst, mit einem dekorativen Schoßhund und einem unvermeidlichen Glas Bourbon-Whiskey in der Hand), entpuppt sich von Seite zu Seite zunehmend als politischer Kommentar auf die Welt – und die Welt ist zu straight. «Queer», das möchte Miss Bourbon feststellen, «hat nicht ausschließlich mit Sexualität zu tun. Queer ist am einfachsten erklärt als das Gegenteil von straight. Und «straight» bedeutet, Regeln zu folgen, konform zu sein, nicht zu fragen, warum man etwas macht, einfach hinnehmen, dass es so ist. Alle sollen gleich sein, niemand soll abweichen. In dieser Utopie arbeiten alle beim Billa oder bei der Bank und gehen am Abend brav nach Hause.» Was definitiv kein Leben wär‘ für Denice Bourbon. Zitat aus dem Kapitel «I Definitely Get No Credit In The Straight World»: «I will never understand why people want to be normal. Normal in its true sense: to belong to the norm. I will never understand why one would want to be just like everybody else. (…) To go through this one life that we have and leave no individual mark whatsoever.»

 

Individuelle Eindrücke hinterlässt Denice Bourbon eine Menge. Zum Beispiel ihre Art, sehr schön zu sein: «Auf welche Weise bin ich schön? Ich bin übergewichtig, und meine Inszenierung ist mehr die einer Drag Queen: Das ist nicht die Art von Schönheit, die erwartet wird. Ich finde Farben und Glitzer und Federn schön, und ich dachte als Feministin lange, ich darf das nicht, weil es eine sexistische Idee von Frau reproduziert. Aber es ist ein Spiel damit, ich übertreibe alles, um die Absurdität in dieser Erwartung zu zeigen.» Sich in Szene zu setzen, hat biographische Tradition: «Ich habe nie was anderes gemacht. Schon als Kind war ich so – du kannst die Fotos im Buch sehen.» Die zeigen etwa «Baby Denice» mit zu großen Stöckelschuhen und Netzstrumpfhose. Mit Mikro, mit Perlenkette und – ja! – mit David-Bowie-Poster im Kinderzimmer.

Dreißig Jahre später tritt Denice Bourbon im Brut auf, schreibt Kolumnen in den «an.schlägen», macht Burlesque-Shows, hat eine Band namens «ME and JANE DOE», arbeitet als DJane. Und es fällt ihr (bis auf die lampenfiebrige Übelkeit davor) nach wie vor leicht: «Dass ich meinen Körper zeige, dass ich sehr persönlich bin in den Texten und sehr viel von mir hergebe und sehr wenig Grenzen setze für mich selbst – das habe ich so gewählt, und ich bin dankbar, dass das jemanden interessiert.»

Vom Plattenbau in die Kaiserstadt


Bourbons bürgerlicher(er) Name ist Fredriksson. Aufgewachsen ist sie mit vier Geschwistern und einer alleinerziehenden Mutter am Rand einer kleinen schwedischen Industriestadt, «im Plattenbau», umgeben von einer Community gleich ihrer Mutter finnischer Arbeitsmigrant_innen, die, «als es Finnland noch nicht so gut gegangen ist mit Nokia und so weiter», einen Status ähnlich dem der Gastarbajteri in Österreich hatten: «Sie waren willkommen zum Arbeiten.» Ob Finnland ein mögliches Lebensland für sie wäre? «Niemals. In der finnischen Community, in der ich aufgewachsen bin, war es wie in einem Kaurismäki-Film: Alle stehen nur da und sind schwermütig, und dann saufen sie sich voll und werden entweder unglaublich aggressiv oder fangen an zu heulen. Man hat nie Spaß.» Das Spaßhaben hat sie allerdings auch nicht nach Österreich geführt, sondern eine «Liebes-Punk-Geschichte», die in Geldnot geriet und sich von Wien die Finanzierbarkeit eines gemeinsamen Leben versprach – nur ein Jahr lang, um Geld zur Seite zu legen und dann weiterzureisen nach Barcelona oder irgendwohin, wo es schön ist. «Und das ist jetzt elf Jahre her.» Auch wenn es zuerst nicht sehr vielversprechend aussah, wurde aus Wien ein Zuhause. Nicht wegen des Geldes, sondern wegen der guten Freund_innen. Weil die künstlerische Arbeit, die Denice Bourbon macht, ihr hier auch mal ein Honorar und vor allem viel Wertschätzung einbringt. Weil in der Do-it-yourself-Kunstszene für ihr Empfinden sehr viel Solidarität ist und sehr wenig Gemeinheit.

 

Die finanziellen Probleme bleiben, aber über die muss man sich auch nicht den Kopf knotig denken: «Reich bin ich nicht, ein Monat geht super, der nächste nicht. Aber mein Glas ist immer halb voll. Und statt zu denken, ich weiß nicht, wie ich die Miete nächsten Monat zahlen soll, denke ich lieber, wie spannend es ist, dass ich nicht weiß, wie mein Leben in einem Monat ausschaut. Vielleicht werde ich super erfolgreich sein? Einen Monat später bin ich’s dann doch nicht und denke: Ok, dann halt nächsten Monat.» So denken zu können, habe sie ihren «middle class»-Freund_innen definitiv biographisch voraus. «Tatsächlich finde ich, dass es ein Vorteil ist, als Arbeiterklassenkind aufgewachsen zu sein. Mir tun die ein bisschen leid, die diese Erfahrung nicht gemacht haben. Das macht mein Leben jetzt viel einfacher: Ich hab nicht so viele Probleme – vielleicht weil ich weiß, was ein echtes Problem ist.» Und sie wundert sich manchmal, wie sich diese ach so kritischen Kulturarbeiter_innen in ihrem Umfeld plötzlich ganz normiert und konformistisch verhalten, wenn’s drum geht, sich Sorgen um die Pension zu machen. «Das ist in Österreich tatsächlich komisch: dieser Respekt vor dem Staatsapparat. Ich kenne hier Leute, die Steuererklärungen machen, die komplett sinnlos sind! Die registrieren sich, auch wenn sie nicht müssen – freiwillig! Weil ihre Eltern das so machen.» Dabei habe sich Österreich – im Vergleich zum kontrollwütigen Schweden – einen Hauch von Anarchie bewahrt: «Die Leute sagen hier so gerne: «Es ist eigentlich verboten, aber …» Diese Kultur gibt es in Schweden nicht. Dort ist etwas verboten, Punkt. Nicht eigentlich und aber. Und ich verstehe nicht, wieso die Leute hier diese gewisse Autonomie nicht viel mehr nützen.» Nach einer kurzen Nachdenkpause, nachsichtig lächelnd: «Wahrscheinlich hat das mit dem Kaiser zu tun.»

Denice Bourbon: Cheers! Stories of a Fabulous Queer Femme in Action

Zaglossus 2013, 19,95 Euro