Punk ist nicht nur Musik, aber die Musik ist für Punk-Frauen und -Mädchen extrem wichtig. Und auch der Häuserkampf mit in Folge eigenen Strukturen ist existenziell.
«Im Suff sagten wir, wir machen eine Frauenband. Ein Freund gab mir seine Bassgitarre, eigentlich wollte ich aber immer Schlagzeug spielen», erzählt Issy fröhlich, die bei der legendären Frauen-Punkband Pot-Sche-Mu in der besetzten Wiener Ägidigasse spielte. Issy sitzt auf einer Bank vor dem Arena-Beisl in Wien Erdberg. Für ihre Band Pot-Sche-Mu, was «Warum» auf russisch heißt, gab es aber schon zwei Schlagzeugerinnen: Tschiggy, die Tätowiererin und Pawlina, die früher Olga hieß. «Am Anfang hatte ich nur eine Saite auf dem Bass und habe mit meinen Schlagzeugstecken drauf gehauen», lacht Issy. Bei Pot-Sche-Mu spielten alle Musikerinnen sämtliche Instrumente. Als Gegenmodell zu den selbst ernannten männlichen Musiker-Genies und wohl auch dagegen, dass Mädchen zu der Zeit erst spät Instrumente lernen durften. Punk als Freiheit. Mit wenig Wissen um Griffe oder Noten viel Musik machen, sehr lustig. Die Einladung zum Steirischen Herbst überraschte Pot-Sche-Mu dann aber schon, denn «die waren Avantgarde, aber wir haben uns nicht so gesehen. Für die Kunstszene waren wir plötzlich wer.» Gabi, ebenfalls von Pot-Sche-Mu, unterbricht: «Na, wir haben halt eine Vision gehabt!» Zur Buchpräsentation Als der Vorhang fiel. Punk im Wien der 90er im Arena-Beisl treffen alte Bekannte ein, die sich zum Teil jahrzehntelang nicht mehr gesehen haben. Alt-Punks blicken sich forschend gegenseitig ins Gesicht. Viele verhalten sich noch so sprunghaft wie früher, zeigen fröhliche Ausbrüche. «Wir haben in der Ägidigasse oder in der Spalowsky gewohnt, angefangen zu proben und irgendwann hieß es: Ägidifest, auf die Bühne!» Issy wanderte später nach Bali aus, wo sie zwanzig Jahre lang einen Kleiderhandel betrieb, vorher arbeitete sie zehn Jahre im Nachtclub U4: «Die schönste Zeit meines Lebens.» Vor zwei Jahren fing sie wieder mit dem Bass an. Das Ende von Pot-Sche-Mu kam, als Issy von der Gruftie-Band und Männerpartie Instant Karma abgeworben wurde. «Ich wollte mehr lernen», gibt Issy als Grund an, «dort habe ich spielen gelernt.» Gabi hingegen spielte bei der nächsten Frauenband der Ägidigasse Gitarre: den Piranhas!
Energie des Punk
Zur Buchpräsentation sind aber auch ganz junge Punks gekommen, wie Emily, die schon mit fünfzehn Jahren aus Niederösterreich abhaute und zu ihrem großen Bruder nach Wien zog. Sie liebt die Energie des Punk, den sie als «Zustand, den man im Alltäglichen nicht hat» beschreibt. Emily arbeitet in einem großen Musikgeschäft und nach der Arbeit schlich sich die zu der Zeit 17jährige in den Showroom mit seinen vielen tollen Schlagzeugen und brachte sich selber Schlagzeug bei. Endlich eine Gelegenheit und ein Instrument in der Nähe! Inzwischen spielt Emily in der Band Lockjaw, die zwischen Punk und Metal schwankt (zwei Frauen, zwei Männer). Plötzlich hat Emily es eilig in das Punk Lokal Venster in den U6-Gürtelbögen zu kommen, wo der Punk seit 2005 never dead, sondern äußerst lebendig ist.
Melody Punk
Sunita von der Mädchen-Punkband Bloody Mary flüchtete mit sechzehn Jahren aus dem Krieg in Jugoslawien nach Wien. In ihrer Kleinstadt Bugojno im heutigen Bosnien hatte es schon früh eine kleine Punk- und Metalszene gegeben, «die aber nichts miteinander zu tun haben wollten». Die zukünftige Schlagzeugerin Sunita ging schon mit vierzehn in Klubs und es imponierte ihr an Punkbands, dass «sie sich einfach hingestellt und gespielt haben». In ihrer Schulklasse in Wien traf sie auf die Schwestern Vicky und Elisabeth, die Kontakt zu jugoslawischen Punkbands aus dem heutigen Kroatien hatten, und tauf die Österreicherin Daniela. «Melody Punk» nennt Sunita rückblickend das, was Bloody Mary machte. «In der Punkszene gab es auch in der schlimmsten Phase des Krieges Bands, die vernetzt geblieben sind. Kud Idioti zum Beispiel. In unserer Band waren die Kriegsauseinandersetzungen nicht so wichtig, denn wir alle haben religiöse und nationalistische Einstellungen abgelehnt.» Die Band wuchs sehr eng zusammen, blieb lange wie zusammengeschweißt – nur am Ende lebte man sich auseinander «wie in einer Beziehung». Der Krieg und die Flucht beschäftigen Sunita bis heute: «Bei Triggersachen, also emotionalen Auslösern, wie den vielen syrischen Flüchtlingen oder dem Abzug der USA aus Afghanistan sind sofort die alten Emotionen alle wieder da. Bei uns im Ort ging es schnell und früh los mit dem Krieg. Alle Wege waren blockiert und wir sind mit dem letzten, komplett vollen Autobus raus aus der Stadt, mit nur einer Tasche mit dem Nötigsten.» Zu dem Zeitpunkt war die österreichische Grenze noch offen, «später machte man die Grenzen einfach zu!». Der Opa lebte in Wien und nahm seine beiden Töchter mit ihren Kindern auf, sie schliefen zu siebt im Wohnzimmer. Sunita zog ihr Schlagzeug auf dem Einkaufswagen ihrer Mutter quer durch Wien hinter sich her – für die Konzerte. Heute lebt sie in Deutschland spielt bei der Band Gatitas Schlagzeug und covert in einer Art Acoustic Folk Pop überwiegend Frauenbands. Auch ihr Sohn ist ein Schlagzeuger. «Aus heutiger Sicht waren wir damals super mutig mit unserem learning-by-doing-Ansatz. Wir hatten nur vier Nummern und sind gleich auf die Bühne.» Später spielte Bloody Mary live in einem Lilly-Axter-Theaterstück mit. Ein grandioses Ereignis. «In meiner Familie gab es schon alles, also natürlich auch Partisanen. Meine Oma väterlicherseits war die Vorsitzende der antifaschistischen Frauenfront in ihrem Dorf und hat als erste ihr Kopftuch abgelegt», resümiert Sunita lachend über ihren Hang zu antifaschistischen Mädchen-Punkbands.
Gegen Nazis
«Ich wollte nur weg von Kärnten mit seinem gemütlichen, versteckten Faschismus», erzählt Susa, die schon mit sechzehn Jahren von Zuhause abhaute. «Ich war ein armes Arbeiterkind, hatte nie ein eigenes Zimmer. Vorher war ich schon einmal ausgerissen, mit dreizehn.» Sie kam bis Berlin und über Umwege nach Wien in die Ägidigasse. «Punk ist für mich nicht nur Musik, sondern hat vor allem politische Anliegen. Gegen Nazis – aber auch eine eigene Kultur mit eigenen Strukturen aufbauen, bei äußerst wenig Ressourcen. Der Häuserkampf war sehr wichtig. Normalerweise müsste man heute tausend Häuser besetzen, weil sich derzeit niemand mit wenig Kohle das Wohnen leisten kann», lacht sie. Normalerweise! Früher hatte Susa lange blaue, über dem Kopf aufgestellte Haare und nannte sich Susi Sorglos. Ihr Freund hieß Rudi Ratlos. «Vor der Ägidigasse gab es lange keinen Platz für Konzerte, keine Culture Hall für uns. Dann hatten wir ein Beisl und am Ende ein urelegantes Frühstückscafé.» Susa machte nach der Frauenband Piranhas, in der sie Bass spielte, keine Musik mehr – sie war mit dem Aufbau des alten Flex und später des antifaschistischen Zentrums Ernst-Kirchweger-Haus beschäftigt. Sie hatte sogar die Location des Flex gefunden. Susa arbeitete nonstop in den Punk- und Hardcore- Hütten und schenkte letztlich ihren Bass der Tochter einer Freundin. «Meine Oma hatte das Mutterkreuz und glaubte bis zum Schluss an die Nazis», erinnert sie sich. «In Villach durften wir Punks damals nur in ein einziges Lokal an einem kleinen See hinein. Mit fünfzehn machte ich bei der Schülerzeitung mit, hörte Nina Hagen und Patti Smith und trug meinen Tigermantel.» Heute hat Susa ihr eigenes Modelabel, das typischerweise «Madame with a Mission» heißt. Kurz und bündig ist sie immer noch, mit ihrem spröden Kärntner Humor. «Heute bin ich ungeduldig», warnt sie beim Interview, die alte Punk-Energie treibt sie noch immer um. Die «Heebie-Jeebies» haben nennt Steven Lee Beeber in seinem Buch über die jüdischen Wurzeln des Punk dieses Phänomen. Eine starke Antriebs-Energie, die aus dem Holocaust und der Nazi-Zeit käme. «Heute sind die Frauen tougher geworden», resümiert Susa. «Bei der Punkbewegung waren eh viel Toughe dabei.» Nach den Punkies kamen, feministisch geschichtlich gesehen, die Riot Grrrls. Die Punkerin Goldie Zelkowitz, die sich Genya Ravan nannte, war «der härteste Typ unter harten Typen», schreibt Beeber, «man kann sie als die Mutter der Riot Grrrls betrachten». Genyusha Zelkowitz wurde in Lodz geboren, ihre Großeltern, Tanten, Onkel und zwei Brüder wurden in Konzentrationslagern ermordet. Die von Susa geliebte Patti Smith, die Rebellin aus der Arbeiterklasse New Jerseys, trug 1971 ihre Texte auf der Bühne vor, während der jüdische Junge Lenny Kaye dazu Krach veranstaltete.
Ägidi/Spalo(wsky): Autonome Häuser in der Ägidigasse und Spalowskygasse im 6. Bezirk, waren seit 1983 besetzt, bzw. von der Stadt Wien auf Basis eines sogenannten Bittleihvertrages zur Verfügung gestellt worden. Die Häuser wurden von Punks bewohnt, teilweise saniert, dort fanden Konzerte und andere Veranstaltungen statt. 1986 kündigte die Stadt den Vertrag, 1988 wurden die Häuser durch die Polizei geräumt und unmittelbar darauf abgerissen.
(altes) Flex: Bestand seit 1990 in der Arndtstraße im 12. Bezirk, antikommerziell als Treffpunkt und Konzertlocation mit Schwerpunkt Hardcore. 1995 Übersiedlung an den Donaukanal und Neuausrichtung.
(altes) Chelsea: Wurde 1986 in einem Keller in der Piaristengasse in der Josefstadt eröffnet, es gab täglich DJ-Auflegerei und/oder Live-Konzerte v. a. österreichischer Indie-, Punk- und Hardcorebands. 1994 schloss das Chelsea aufgrund eskalierender Probleme mit Anrainer:innen und Behörden. Seit 1995 ist das Chelsea in den Bögen am Lerchenfelder Gürtel zu finden.