Notstand Leerstandtun & lassen

Immo Aktuell

In Innsbruck steht fast jede zehnte Wohnung leer. Trotzdem müssen Geflüchtete in provisorischen Unterkünften am Stadtrand verharren. Aktivist:innen setzten mit einer Hausbesetzung ein politisches Zeichen dagegen.

TEXT: MAXIMILIAN EBERL
ILLUSTRATION: MUCH

Ein vermummter Aktivist zündet ein bengalisches Feuer, ein weiterer lässt ein großes, selbstbemaltes Transparent mit den Worten «Zimmer statt Zelte» aus einem Fenster herab. Eine Szene, die man sonst nur aus St. Pauli oder Berlin Kreuzberg kennt, spielte sich am 12. November im Bergidyll Innsbruck ab: Als Initiative Pradl für alle! besetzten rund 30 Aktivist:innen ein ehemaliges und mittlerweile leerstehendes Hotel im zentrumsnahen namensgebenden Viertel in Innsbruck. Es ist die zweite Hausbesetzung in der Tiroler Hauptstadt innerhalb von zwei Jahren, eine ungewöhnliche Frequenz im konservativen Tourismus-Mekka.

Kleine Wohnung, hoher Preis.

Der ­Vorgänger von Pradl für alle! fand 2020 in der Kapuziner­gasse im pittoresken Stadtteil Hötting statt, ­unter dem Aktionsnamen Kapuze. Schon ­damals Thema: Innsbruck fehlt es an leistbarem Wohnraum. Wer hier Eigentümer:in ­werden möchte, darf heute das Doppelte zahlen wie noch 2006, durchschnittlich etwa 5.500 Euro pro Quadratmeter. Mieter:innen zahlen für einen ­Quadratmeter mit Blick auf die Nordkette oder den Patscherkofel um die 13 Euro. Der ­Kapitalismus zeigt in den ­Alpen besondere Wirkung: Je kleiner die Wohnung, desto höher fällt der Preis pro Quadratmeter aus.
Die neuen Aktivist:innen von Pradl für alle! prangern im Rahmen ihrer Aktion einen weiteren Dauerbrenner im gelobten Land an: «Uns geht es vor allem um den rassistischen Fokus, es muss hier endlich ­akzeptabler Wohnraum für Menschen mit Fluchterfahrung geschaffen werden», fordert einer der Hausbesetzer:innen. Wohnraum wurde nämlich zuletzt entweder gar nicht oder nur unter den widrigsten Bedingungen zur Verfügung gestellt. So brachte das Land Geflüchtete im Oktober in Absam, einem Vorort Innsbrucks, in herkömmlichen Zelten unter – bei Minusgraden und Schnee.
Der Aktivist, der anonym bleiben möchte, sieht politisches Kalkül hinter solchen Notunterbringungen: «Da werden Menschen bewusst in prekäre Verhältnisse gebracht, damit sie möglichst schnell wieder gehen.» Einer dieser Menschen ist Mojahed. «Wir sind es satt, ständig isoliert zu werden. Wir haben Talente hier, wir können arbeiten und wollen die ­Sprache lernen», erzählt er am Telefon. ­Mojahed ­appelliert an die Menschlichkeit der zuständigen Politiker:innen. Viel Vertrauen hat er ­allerdings nicht. «Die sehen uns nur als Problem, dabei könnten wir die Lösung sein.»

Soziale Isolation.

Um ihre Menschlichkeit ­unter Beweis zu stellen, ­besuchte der zuständige Landrat Georg Dornauer (SPÖ) gemeinsam mit Nationalrätin Selma Yildirim (SPÖ) und Innsbrucks Bürgermeister Georg Willi (­Grüne) die Hausbesetzung in Pradl, verhandelte vor Ort mit den Aktivist:innen und ging auf ihre Forderungen ein. Die Aktivist:innen ­verließen am selben Tag und ohne Identitätsfeststellung das besetzte Hotel. Dornauer versprach, in ­Absprache mit dem Hoteleigentümer, zwei Häuser zur Unterbringung zur Verfügung zu stellen. Außerdem sollte es einen runden Tisch mit Vertreter:innen aller Beteiligten geben. Der fand schließlich am 1. Dezember statt. Auch Mojahed nahm teil, er berichtet dem ­Augustin vom Ergebnis: «Dornauer verspricht uns eine feste Unterkunft in Flughafen-Nähe, auch ­Gratis-Sprachkurse soll es geben.» Für ­Mojahed ist das nur ein weiteres Kapitel der sozialen Isolation.
Dass Dornauer die Geflüchteten von ­einem Stadtrand in den nächsten lotst, argumentiert er mit Sicherheitsbedenken. Seine Asylpolitik bezeichnet er selbst als «pragmatisch und restriktiv». Immerhin dürfe «die Solidarität der Tiroler nicht überstrapaziert werden». Die Zelte wurden inzwischen abgebaut. Für 440 Menschen soll bis Anfang 2023 eine ­feste Unterkunft geschaffen und ein «friedvolles Zusammenleben» gewährleistet werden. Um die Aufnahmequote des Bundeslands zu erfüllen, bräuchte es allerdings 2.500 ­weitere Unterbringungen.

Leerstandsabgabe.

Währenddessen gibt Innsbrucks Bürgermeister Georg Willi an, «zu helfen, so gut wir können», gemeinsam werde nach möglichen Quartieren gesucht, auch die Kirche sei mit im Boot. Gleichzeitig möchte sich Willi dem ewigen Stiefkind Leerstand widmen, man arbeite an der Mobilisierung. Ab 1. Jänner erhofft sich Willi eine Besserung durch die landesweite Leerstandsabgabe, also Strafen, die Eigentümer:innen drohen, wenn sie nicht vermieten. Innsbruck wurde zuletzt die einzige Landeshauptstadt, die den Leerstand statistisch erfasst: die Leerstandsquote in Innsbruck liegt bei 8,6 Prozent.
Des Weiteren soll eine Reihe an Workshops helfen, das Problem kollektiv anzupacken. Innsbruck hat im Sommer sogar als erste Gemeinde in Österreich jemals den Wohnungsnotstand ausgerufen und könnte damit vom Bodenbeschaffungsgesetz Gebrauch machen. Das würde sogar Enteignungen ermöglichen, das Land muss den Antrag allerdings genehmigen. Der liegt dort jedenfalls seit Juli auf dem «Zu erledigen»-Stapel. Nicht zu weit unten, ist zu hoffen.