Für mehr Transparenz und Möglichkeitsräume in der Stadt!
Zu übersehen ist es kaum und lässt sich jeden Monat auf dem Kontoauszug ablesen: Die Mietkosten steigen. Es wird immer schwerer leistbaren Wohnraum zu finden, 50 % aller Verträge bei Neuvermietungen sind befristet. Nach einer Studie der Arbeiterkammer sind in Wien die Mieten von 2000 bis 2010 um durchschnittlich 37,4 % gewachsen, während die Inflation und der Medianlohn nur um etwas mehr als 20 % gestiegen sind. Bei vor 1945 errichteten Wohnungen stieg die Miete sogar um über 48 % an.Diese Verschlechterung der Lage zieht sich durch den ganzen Wohnungsmarkt, wirkt sich aber am drastischsten auf Gering- und Nicht-Verdiener_innenhaushalte aus; oder auf Menschen, die aufgrund rassistischer und anderer Diskriminierung kaum Chancen auf einen Mietvertrag haben.
Hohe Mieten machen es auch für Gruppen und Kollektive aus dem kulturellen, sozialen und künstlerischen Bereich schwierig, Raum zu finden, um zu arbeiten und zu wirken. Ein (Kultur-)Schaffen, das nicht kommerziell und auf Gewinn ausgerichtet ist, ist so kaum möglich.
Viele emanzipatorische und subversive Ideen sind schon an der Raumfrage gescheitert, ihre Initiator_innen stoßen bei der Stadtverwaltung oder bei Vermieter_innen regelmäßig auf Beton.
Bei Besetzungen und anderen Aktionen, die sich selbstorganisiert und aktiv Raum aneignen, antwortet die Stadtpolitik seit Jahren nur mit Räumung der Gebäude und Polizeieinsatz, anstatt den offensichtlichen Raumbedarf ernst zu nehmen.
Dreh- und Angelpunkt des Konfliktfeldes ist die Inwertsetzung von einem existenziellen menschlichen Bedarf: dem nach einem verlässlichen Dach über dem Kopf. Gebäude sind Waren und als solche Spekulationsobjekte, der Immobilienmarkt als einer der wenigen wachsenden Märkte lässt auf Profite hoffen. Welche Methoden eingesetzt werden, um ihn zu realisieren, zeigen die Geschichten der Castella Gmbh im 2. oder der Glorit im 22., über die im Augustin z.nT. bereits berichtet wurde.
So ist das Problem weniger, dass zu wenig Raumangebot da wäre, sondern eher, dass er nicht kostengünstig zu erlangen ist und so ungenutzt bleibt. Diese Situation zeigt sich eindrücklich am Phänomen des Leerstands.
Wie viel Leerstand in Wien vorherrscht, ist jedoch unklar. Es gibt keine aktuelle offizielle Erhebung des Leerstandes bei Wohnungen, Geschäftslokalen und anderen Gebäuden, also etwa ehemaligen Fabriken und Industrieorten. Obwohl die Sichtbarmachung und Erfassung von Leerstand zentral für einen öffentlichen Umgang mit diesem Problemfeld ist.
Stadtgestaltung von unten statt «Bürgerbeteiligung»
Der 2. Teil der Studie «Perspektive Leerstand», die von der IG Kultur Wien in Auftrag gegeben und einem Team der TU Wien realisiert wurde, versucht nun Gründe für Leerstand zu ermitteln und Perspektiven aufzuzeigen, um mit diesem Thema umzugehen.
Die Analysen und Ergebnisse der Leerstandsstudie sind vor allem deshalb politisch relevant und aufschlussreich, da die Stadt Wien gerade eine «Zwischennutzungsagentur» plant. Der Verdacht liegt nahe, dass hier ein Steuerungsinstrument entwickelt werden soll, das vor allem dazu dient, stadträumliche Aufwertungsprozesse in Gang zu setzen, anstatt die Bedingungen für kostengünstige Raumnutzungen zu schaffen. Auch ist die verengte Perspektive allein auf Zwischennutzungen problematisch. Sind sie zwar durchaus von einigen gewünscht, so ist doch bei den meisten potenziellen Nutzer_innen die Notwendigkeit und der Wunsch nach einer langfristigen Nutzung vorhanden.
Durch die Untersuchung von Leerstandspolitiken ausgewählter Städte und eine Untersuchung des spezifischen Wiener Kontextes wurden in der Studie Handlungsvorschläge für ein sinnvolles «Leerstandsmanagement» erarbeitet.
Es wird hervorgehoben, dass die verschiedenen Nutzungsarten in ein sinnvolles, gesamtstädtisches und ressortübergreifendes Leerstandsmanagement einbezogen werden müssen und die Bedürfnisse möglicher Nutzer_innen ernster genommen werden sollen anstatt sie als «billige Pioniere der Gentrifizierung» zu nutzen.
Die Forderung nach einer Bedarfsorientierung muss auch Menschen und Personengruppen mitdenken, die ihren Bedarf weniger artikulieren als die oben genannten künstlerisch-kulturellen, sozialen oder politischen Initiativen. Ein solches Leerstandsmanagement muss sich von kontrollierten und voll berechenbaren Top-down-Konzepten verabschieden und die Angst vor Freiräumen und Experimenten verlieren. Es muss Rahmenbedingungen schaffen, die vorhandenes lokales Wissen, Initiativen von Nachbarschaftsnetzwerken und aktive selbstständige Raumnahmen aufnehmen kann.
«Kooperative Planungsverfahren», wie sie bisher in Wien gehandhabt werden, sind viel zu oberflächliche und enggestrickte Bürger_innenbeteiligungsverfahren. Mit der Perspektive einer wirklichen Stadtgestaltung von unten müssen Verfahren entwickelt werden, die Nutzungswünsche auch jenseits ökonomischer Verwertungsinteressen ernst nehmen und tatsächliche Mitwirkungsmöglichkeiten für Akteur_innen schaffen, die keine professionellen Erfahrungen haben.
Der Leerstandsmelder setzt an diesen Problempunkten an und ist ab jetzt auch in einer Wiener Version online und bespielbar. Auf der interaktiven Online-Plattform können leer stehende Objekte eingetragen werden. Sie sind so auf dem Stadtplan sichtbar markiert. Dies ermöglicht einen neuen Blick auf die städtische Realität und schafft es, Informationen von allen für alle zur Verfügung zu stellen und nutzbar zu machen.
Die Kampagne versteht leerstehende Räume als städtische Ressourcen, die zu Möglichkeitsräumen werden und am besten als Gemeingut möglichst vielen Menschen zugänglich sein sollen.
Das hauptsächliche Ziel des Leerstandmelders ist die Sichtbarmachung und Problematisierung davon, dass auf der einen Seite kostengünstiger Raum dringend gesucht und benötigt wird, der vorhandene Raum aber trotzdem leer bleibt und nicht genutzt werden darf.
Dabei geht es ausdrücklich nicht darum, eine direkte Vermittlungsarbeit zu machen zwischen «Angebot» und «Nachfrage» und damit die Rolle eines Immobilienportals zu übernehmen. Die Ansätze von Entwicklungsprojekten für einzelne Stadtteile und Straßenzüge, die diese Vermittlungsaufgaben übernehmen, sind eher kritisch zu sehen. Denn diese Projekte haben eigentlich das Ziel, mit der Leerstandsnutzung eben jene Straßen und Stadtteile aufzuwerten, und weniger, den verschiedenen Nutzer_innen (kostengünstig) Raum zur Verfügung zu stellen.
Entstanden ist das Format des Leerstandsmelders in Hamburg im Kontext einer breiten und sehr aktiven «Recht auf Stadt»-Bewegung, die sich wehrt gegen die Prekarisierung des städtischen Lebens und die alltäglichen Zumutungen, die verbunden sind mit einer neoliberalen Stadtentwicklung. Der Leerstandsmelder will die Diskussion darüber eröffnen, wer Stadt gestaltet und wer gerne Stadt gestalten würde oder für wen es wichtig wäre, sich daran beteiligen zu können.
Gerade aufgrund der bisherigen Intransparenz und der Stadtgestaltung durch wenige ist es notwendig, dass die Bewohner_innen die Entwicklungen im Stadtraum sensibel wahrnehmen, thematisieren und Erfahrungen konkret verorteter Konflikte miteinander teilen, um Widerstand leisten zu können und Alternativen zu schaffen. Der Leerstandsmelder kann ein Transparenz schaffendes Element in diesem Prozess sein.
Info:
www.leerstandsmelder.de
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