Nur aus hundertfünfzig Meterntun & lassen

Darf man Augenzeug_in einer polizeilichen Amtshandlung sein?

Neben den Menschen, die betteln, sind der Polizei in Wien auch jene couragierten Zeitgenoss_innen suspekt, die sich mit Menschenrechten auskennen und die Beamt_innen bei ihren Amtshandlungen gegen Bettelnde genau beobachten. Bisher musste sie akzeptieren, dass in einer Demokratie das Recht, Augenzeugin zu sein, nicht anzutasten ist. Neuerdings wird dieses Recht ausgehebelt, wie ein Vorfall am Gürtel beweist. Die Beamten beriefen sich auf einen verordneten 150-Meter-Abstand. Wer näher dran sei, störe die Amtshandlung und müsse bestraft werden.Warum betteln die Bettler_innen? Wenn man die vorhandenen aktuellen Studien zusammenfasst, aus folgenden Gründen: Mangel an Geld und Gütern, Arbeitslosigkeit, fehlende oder zu geringe Einkommen aus Transferleistungen und fehlende Perspektiven in den meist osteuropäischen Herkunftsregionen. Die Polizeidirektion Wien widerspricht diesen Erkenntnissen. Menschen betteln in Wien, weil sie von der «Bettelmafia» dazu gezwungen werden, ist ihre Version. Wenn das so wäre, läge im verschärften Vorgehen der Polizei gegen das Betteln in den Wochen vor Weihnachten keine Logik. Denn diese verschärfte Gangart (eine weitere Verschärfung befürchtet die BettelLobby Wien für das neue Jahr) müsste sich dann ja gegen die «Mafia» und nicht gegen ihre Opfer richten. Dass sie das nicht tut, zeigen die Berichte, die BettelLobby und auch der Augustin von besorgten Bürger_innen kriegen. Die Wiener Polizei führt, gedopt mit dem Applaus der Revolverblätter und mit Rückhalt des Innenministeriums, Krieg gegen die Allerschwächsten. Hier der jüngste der Augenzeugenberichte.

Am Dienstag, dem 25. November, fuhr ich kurz nach 20 Uhr über den Gürtelradweg zur Hauptbücherei. Wo die Linie 18 die Schleife dreht, standen Radfahrer_innen und beobachteten, wie zwei junge Polizisten mit einem Mann rangen, der am Boden lag. Nicht weit weg lag eine Krücke. An der Wand zur Stadtbahnstation lehnte ein Mann, der mit schäbigem Gewand bekleidet war. Der Mann am Boden kehrte mir den Rücken zu; er wehrte sich gegen die Polizisten, die versuchten, ihm die Arme auf den Rücken zu drehen. Manchmal brüllte er laut in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Mir erschienen die beiden Polizisten unverhältnismäßig aggressiv. Ich wartete ab, um die Amtshandlung nicht zu stören.

Großeinsatz gegen einen Behinderten

Schließlich wurden dem am Boden liegenden Mann die Arme mit der Handschelle am Rücken fixiert. Ein Polizist kniete auf ihm. Der andere war mit einem Handy-Telefonat beschäftigt. Ich ging zu dem stehenden Polizisten und fragte, was der Grund für die Festnahme sei. Die für mich überraschende Antwort: «Der Mann hat dreimal mit der Krücke auf den Kollegen eingeschlagen.» Das könne ja nicht der Grund dafür sein, den Mann derartig brutal niederzukämpfen. Er sei ja noch ganz jung. Der aggressive Stil sei unangemessen, das müsse doch auch ganz anders zu machen sein.

Das gehe mich nichts an, schnauzte der Beamte und forderte mich auf, mich sofort zu entfernen. Während wir sprachen, waren weitere Polizeiautos eingetroffen. Wir wurden von der Polizei umringt. Ein großer blonder Polizist mit Bart und kurzen Haaren baute sich vor mir auf. Er fragte, was ich hier mache. Ich sagte ihm, dass ich es nicht in Ordnung finde, wenn ein Mann so niedergerungen werde, weil er einen auf einen jungen Polizisten mit der Krücke losgegangen sei.

Der Polizeibeamte brüllte mich an, ich solle jetzt sofort gehen. Wenn ich bliebe, behinderte ich die Amtshandlung. Ich sagte dem Polizisten, es gebe keinen Grund, mit mir zu brüllen; und ich würde hier bleiben, weil das mein Recht sei, hier zu sein. Außerdem hätte ich mit den beiden Kollegen schon alles geklärt. Er brüllte mir direkt ins Gesicht, ich solle verschwinden, sonst müsse er mich festnehmen. Ich verlangte seine Dienstnummer. Brüllend drohte er mir eine Festnahme an. Ich ging ein paar Schritte zur Seite, um mir das Kennzeichen eines der Polizeiautos zu notieren. Sofort kam eine junge Polizistin zu mir und wiederholte die Drohung: Sofort gehen oder Festnahme. Ich fragte sie nach ihrer Dienstnummer. Sie sagte die Nummer so schnell, dass ich mir nur den Anfang der Zahlenkombination merken konnte. Ich bat sie, die Nummer zu wiederholen, weil ich sie mir notieren wolle. Freche Antwort: Sie müsse mir die Nummer nicht nochmals sagen und ich müsse mich jetzt sofort 150 Meter entfernen, weil ich hier «die Amtshandlung störe». Ich fragte sie natürlich, auf welcher gesetzlichen Grundlage die 150-Meter-Grenze beruhe. Sie antwortete, das habe der Einsatzleiter so angeordnet. Sie, die Polizistin, müsse mir über gesetzliche Grundlagen keine Auskunft geben; nun sei es höchste Zeit für mich, zu gehen. Ich verschwand um das Eck der U-Bahn-Station und notierte mir von dort aus ein Kennzeichen: BP90208. Dann kam ich wieder näher, um mir mich noch ein Kennzeichen zu notieren: BP90580. Sofort stürzten fünf Polizisten auf mich und umringten mich. Sie würde mich jetzt aber wirklich festnehmen, wenn ich nicht auf mein Fahrrad stiege und nicht sofort den 150 Meter-Abstand einhalten würde, herrschten sie mich an. Die Polizisten warteten meinen Abgang ab.

Autor des Augenzeugenprotokolls ist Sepp Neustifter. Der Augustin ersucht seine Leser_innen, auch ihre Erfahrungen mit Amtshandlungen gegen Bettelnde zu mailen: redaktion@augustin.or.at