Nur rechtsdrehender Walzer gestattettun & lassen

Ein «Wasgehtmichdasan« geht nicht mehr. Ein neutrales «Wissenwireh: Linke gegen Rechte, das ist Uni-Folklore» ist Wahrnehmungsverweigerung. Wenn in Wien niemand mehr gegen den WKR-Ball demonstrieren würde, hätten die Hassprediger, die Holocaust-Verharmloser und die Straches aller europäischen Rechtsaußenparteien gesiegt, die sich alljährlich in diesem Hofburg(!)-Event versammeln. Halb haben sie schon gesiegt: Die Polizei hat die Demo gegen diesen Rechtswalzer verboten und wer verantwortungsbewusst war und von seinem Versammlungsrecht dennoch Gebrauch machte, wurde angezeigt.Rund 1000 Menschen bestehen am Abend des letzten Freitag im Jänner auf ihr Versammlungsrecht und treffen sich am Westbahnhof. Als die Demonstration losgehen will, zögern die offensichtlich bürgerkriegseinsatzgefügigen Polizisten nicht, brutal gegen die TeilnehmerInnen vorzugehen. Sie sind so unfassbar viele, dass sie leicht einen Kessel bilden können, in dem die Demo wie in einer großen Falle sitzt. Jetzt spielt der hochgerüstete Kessel: Er fordert die in der Falle Sitzenden auf, den Kundgebungsort zu verlassen. Es besteht jedoch keine Möglichkeit mehr, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Das Verlassen des Treffpunkts ist durch Absperrungen und Polizeiblockaden auf allen Seiten verunmöglicht. Zur Stumpergasse hin wird eine Schleuse geöffnet. Die DemonstrantInnen werden einzeln aus dem Kessel gelassen. Das dauert Stunden; jede/r, der/die durch Schleuse kommt, wird angezeigt.

Das geht aber nicht so harmlos ab wie bei den Kontrollen am Flughafen. Denn der Kessel spielt weiter. Immer wieder greifen sich die Beamten Einzelne grundlos heraus, knüppeln sie zu Boden, schleifen sie aus dem Kessel und nehmen sie schließlich in Gewahrsam nahm. Mehr als 20 Menschen müssen später im Krankenhaus ambulant behandelt werden, u. a. wegen gebrochenen Armen, Fingern oder infolge von Pfeffersprayeinsätzen aus unmittelbarer Distanz. Mindestens 14 Menschen werden vorübergehend festgenommen und müssen mehrere Stunden im Polizeigefängnis verbringen. Ihnen drohen nun kostenintensive Gerichtsverfahren.

Bernhard Kern ist einer von ihnen. Und er besitzt ausreichend Mut, um

öffentlich seinen Namen und die Gewissheit, dass das Recht auf seiner Seite ist, in die Waagschale zu legen. In der Augustin-Redaktion erzählt er: «Ich war Zaungast der Demo. Als ich hinkam, gabs da schon den Kessel. Ich stand außerhalb, an der Ecke Mariahilfer Straße und Stumpergasse. Plötzlich kamen von irgendwoher die Ulanen. Eine Einsatzgruppe mit einem U an der Rückseite der Helme. Einer der Polizisten packte mich, zerrte mich durch eine Schilderreihe durch. Bald waren fünf Polizisten über mir, ich auf dem Boden. Ich spürte Tritte. Dann fesselten sie mich mit einem Kabelbinder und führten mich ab, in die Rossauer Lände. Dort erfuhr ich, dass ich vierfacher Krimineller sei. Die Anklagepunkte: Zündung eines Brandkörpers, Sachbeschädigung, Landfriedensbruch und Widerstand gegen die Staatsgewalt.» Auch Bernhard Kern hat Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Ein Teil seiner Verletzungen ist amtsärztlich dokumentiert worden.

Die Medien als Polizeimitteilungsblätter

Schnitt. Was bekommen die TV-SchauerInnen und ZeitungsleserInnen von diesem Polizeiskandal mit? «In Wien ist es bei einer Demo gegen den rechtsgerichteten Korporationsball zu Ausschreitungen gekommen», erzählt die Dame von ORF im Fernsehen. Hinter ihr ist die Einblendung eines Zusammenstoßes von AntifaschistInnen und Polizisten im Standbild zu sehen. «Als die Polizei die Auflösung der nicht genehmigten Demo ankündigte, kam es zu Krawallen.» Schlussbild eines Fernsehbeitrags ist der Zoom auf die Hand eines Demonstranten bzw. einer Demonstrantin, die/der an einem Tretgitter zerrt. Das Vorgehen der Gesetzeshüter ist nicht im Bild.

Es wird auch nicht erwähnt, dass sich in der Wiener Hofburg das Who-is-Who der europäischen extremen Rechten trifft (siehe nebenstehenden Kasten). Die «Tanzveranstaltung» ist demnach von politischer Relevanz, der die Berichterstattung weder qualitativ noch quantitativ gerecht wird.

Die Aufnahmen von der Demonstration, die durch die Medien gehen, sind klassisch: Bilderbuch-Autonome. Schwarz gekleidet. Bis zu den Augen vermummt. Gewalttätig? Spot auf die «Krawallmacher»! Kaum ein/e Journalist/in findet den Weg zur Standdemonstration, deren TeilnehmerInnen sich von Beginn an nur in einem stetig enger werdenden Kreis von Polizisten bewegen können. Die Berichterstattung lehnt sich an die von der Polizei versandten Pressemeldungen an. Selbst «Qualitätsblätter» werden zu Polizeiorganen. Die Berichte sind zahlenfixiert. Wie viele Festnahmen, TeilnehmerInnen, Anzeigen, wie viel Schaden?

Zunächst ist von «rund 100 Anzeigen» zu lesen. Am dritten Tag nach der Demonstration wird von 673 Anzeigen berichtet. Die Durchsicht der Presseaussendung der Bundespolizeidirektion Wien vom 01. 02 .2010 gibt Auskunft: «Insgesamt wurden 673 Identitätsfeststellungen durchgeführt und jene Personen nach dem Versammlungsgesetz angezeigt.» Anwesenheit als Delikt.

Die APA-Sondervereinbarung mit der Polizei

Warum aber wurde diese Zahl erst Tage nach der Aufnahme der Daten veröffentlicht? In derselben Presseaussendung ist statt von einem verletzten Polizisten, wie in den vorangegangenen Meldungen, erstmals von fünfzehn verletzten Beamten zu lesen. Und immer noch von nur einer «leicht verletzten Demonstrantin».

Die Suche nach weiteren Presseaussendungen der Polizei ist erfolglos. Der Originaltext-Service der APA (Austria Presse Agentur) liefert kein Ergebnis. Die angelegte Pressemappe der Bundespolizeidirektion ist leer. Ein Anruf bei APA-OTS bestätigt, dass Pressemeldungen, die einmal verschickt sind, außer durch richterliche Anordnung, nicht mehr gelöscht werden. «Das entspricht auch nicht dem Sinn des Verbreitungstools, das den Charakter einer Datenbank hat, die auf unbegrenzte Zeit recherchierbar bleibt. Auch im Nachhinein, jahrelang», so der Kundendienst von APA-OTS. Und warum dann keine Polizei-Mitteilungen? «Das muss ein technischer Defekt sein.» Kurze Zeit später aber stellt sich heraus, dass Presseaussendungen der Polizei zwar über die Redaktionskanäle von APA-OTS versandt werden, aber prinzipiell nicht öffentlich auf der Homepage zu sehen sind. Dabei handelt es sich um eine «Sondervereinbarung» mit der Polizei. «Die wünschen hier keine Verbreitung der Inhalte.»

Der Grund für diese Sonderwünsche der Polizei ist beim Kundenservice von APA-OTS nicht bekannt. Unter Anbetracht der Tatsache, dass es sich ausschließlich um Meldungen handelt, die ohnehin an Massenmedien zur Veröffentlichung verschickt werden, wirkt das Bestehen auf Nicht-Veröffentlichung der Originaltonmeldungen wie der Versuch, die Medien als Puffer einzusetzen. Privatpersonen ist es so nicht möglich, die Vorlage für die Berichterstattung zurückzuverfolgen. Die Transparenz, die alle anderen Kunden dieses Kommunikationskanals gewähren, gilt nicht für Polizeimeldungen.

PS: Enttäuschend das Wischiwaschi von Heinz Fischer, Bundespräsident. Er ließ Anfragen zur Untersagung der Kundgebung von seiner Justizsprecherin Binder beantworten: «Auch auf solche Entscheidungen der Bundespolizeidirektion hat der Herr Bundespräsident keinen Einfluss. Eine diesbezügliche Beschwerde wäre an den hierfür zuständigen dienstvorgesetzten Bundesminister für Inneres zu richten.»

Richtig, an die Dame mit den Flüchtlingsinternierungsgefängnissen.