«Nur weil wir eine Gebärmutter haben, heißt das gar nichts»Artistin

Kosmos Theater Wien: neue Leitung, neue Stücke

Das Kosmos Theater ist aus der ­feministischen Geschichte Wiens nicht wegzudenken. Mit Veronika ­Steinböck gibt es nun erstmals eine neue Intendantin. Veronika Krenn (Text) über die Neuausrichtung des Hauses und das erste Stück: Mütter.

Foto: Franzi Kreis

Das Kosmos Theater – Wiens ­«Theater mit dem Gender» – hat nach 18 Jahren unter Barbara Klein eine neue künstlerische Leiterin: Veronika Steinböck. Die Geschichte des Hauses beginnt 1998, Künstler_innen (unter anderem Barbara Klein) forderten damals unter dem Motto «Frauen brauchen Raum» ein Zentrum, das künstlerisch und politisch sei und sich ausschließlich Künstlerinnen widme. Nach Petitionen, Kämpfen, und Raumbesetzungen wurde schließlich im 7. Bezirk, im ehemaligen Kosmos-Kino, der Kosmos Frauenraum gegründet. Jetzt hat sich das Theaterhaus neu aufgestellt, nicht nur personell, auch das Image hat ein Update erfahren: Feministisches und genderthematikbasierte Produktionen sind immer noch der Fokus, der Name ist nun aber schlicht Kosmos Theater (ohne Frauenraum), und die Corporate Identity bekam ein zeitgenössisches Design. Frischer Wind weht.

Nach einem zweitägigen Eröffnungsfest im Oktober startet das Haus, das sich Begehren als Leitmotiv für die erste Spielzeit an die Fahnen heftet, mit der Stückentwicklung ­Mütter. Eine Produktion, die von Steinböcks Tochter Milena Michalek inszeniert wird. Michalek ist Teil des Theater-Kollektivs YZMA, das seit 2014 vor allem in der freien Szene Wiens unterwegs ist und schon mit einigen Produktionen für Aufsehen sorgte. 2016 hat sie zum ersten Mal im Kosmos Theater inszeniert (Anatomie des Faultiers).

Öffnung nach außen.

Veronika Steinböck und Milena Michalek sitzen an einem langgestreckten Tisch im Kosmos, rundherum herrscht fröhlicher Trubel. Als das Interview stattfindet, ist es kurz vor der großen, zweitägigen Eröffnung am 19. und 20. Oktober. Alles sieht noch nach Baustelle aus. «Das Haus steht Kopf», sagt die Intendantin lachend, «wir sind gerade am Proben.» Viele Akteur_innen der Wiener Theater-Szene sind bei der Eröffnung inhaltlich vertreten: Im Treppenhaus probt man einen Text von Miroslava Svolikova. In einer kleinen Koje am anderen Ende des Raumes arbeitet das Saftkollektiv. Es gibt sogar Platz für einen Safe Space für Männer, und auf der großen Bühne werden Beiträge von Produktionen gezeigt, die in der ersten Spielzeit am Haus laufen. Das Leitmotiv der Saison, Begehren, fragt nach dem Verhältnis von Macht, Herrschaft und Gewalt. Es fragt nach Besitzenwollen sowie auch nach Formen des Begehrens, die sich von traditionellen gesellschaftlichen Normen unterscheiden.

Der Konferenztisch, an dem wir beim Gespräch sitzen, ist Steinböcks «ruhige Insel», die für Gespräche vor und nach den Veranstaltungen einlädt. Einen solchen Austausch will sie gezielt am Haus fördern. Was ihre Vorgängerin betrifft, «die das Haus 18 Jahre lang erhalten hat und gekämpft hat wie eine Löwin dafür», musste sie sich erst einmal «von der Ehrfurcht befreien». Steinböck ist nun wichtig, dass das Haus sich mehr nach außen öffnet. Ein deutlicherer Fokus auf Sprechtheater ist zu bemerken, während unter Barbara Klein etwa auch die Sparte Tanz mehr Raum hatte, die aber in Wien auch an anderen Off-Theaterhäusern gut repräsentiert ist.

Als ihre Mutter die Zusage für die Intendanz des Kosmos Theaters bekommen habe, erzählt Milena Michalek, die neben ihrer Arbeit als Regisseurin Philosophie studiert, sei viel über Feminismus geredet worden. Ein Austausch, der aber auch als Mutter und Tochter geführt worden sei und als Frauen, die unterschiedlichen Generationen angehören. Diskurs, Theorie, Politik, die Frage nach dem Backlash durch die derzeitige Regierung und was denn dadurch konkret bedroht sei, waren dabei wichtig. Daneben ging es auch um eine ganz persönliche Selbstbefragung: «Wo man selbst, als Frau in der heutigen Gesellschaft, einen Schmerzpunkt hat.»

Mütter am Theater.

Wenn ein feministisches Theaterhaus mit einer Produktion neu eröffnet, die Mütter heißt, und die Tochter der Intendantin inszeniert, irritiert das manche vielleicht im ersten Augenblick. Allerdings lässt sich diese Setzung durchaus als starke, diskursive Interpretation von «Das Politische ist privat» sehen.

Michalek hat für die Entwicklung des Stücks wichtige Inspirationen aus dem Buch Die Argonauten von Maggie Nelson gezogen, das Mutterschaft aus queer-feministischer Perspektive zeigt. Es erzählt von der Schwangerschaft der Autorin, aber auch von ihrer sich transformierenden Partnerschaft zu Harry, einer Frau, die im Laufe des Buches, unter anderem mittels Hormontherapie, zum Mann wird. Die Autorin schreibe dabei, so Michalek, «intensiv und skrupellos über Schwangerschaft, über die hormonellen Veränderungen, die Organe, die sich umsortieren, die Ängste die kommen». Schlussendlich reifte der Entschluss, Mütter als Eröffnungspremiere am Kosmos Theater herauszubringen. Einerseits, weil damit möglich sei, theoretische Positionen und feministisch-politische Anliegen zu diskutieren, wie etwa Abtreibung, Instrumentalisierung von Mutterschaft durch konservative Parteien und einiges mehr. Andererseits lasse das Thema emotional nicht unberührt.

Am Theater wurde das Thema Mutterschaft in den letzten Jahren ohnehin nicht oft thematisiert: Das Werk X Petersplatz zeigte in der vergangenen Spielzeit Mutterseele. Dieses Leben wollt ich nicht, über Mütter als Superheldinnen erzählte vor einigen Jahren eine Produktion des Grazer Theaters im Bahnhof. Auch beim Grazer Frauen-Kollektiv Die Rabtaldirndln fließt das Thema Mutterschaft – als eine mögliche Komponente eines weiblichen Lebens – immer wieder ein. Michalek hat mit ihrem Team in den Proben auch über Henrik Ibsens Klassiker Nora oder ein Puppenheim reflektiert, das vor rund 140 Jahren entstand und von einer Frau erzählt, die aus Ehe und Mutterrolle ausbricht. Ohne breiten Research zum Thema Mutterschaft am Theater durchgeführt zu haben, wie Michalek erzählt, habe sie aber bemerkt, dass in der klassischen dramatischen Literatur die Frauen oft zu Nebenfiguren degradiert seien. Beim Proben sei außerdem aufgefallen, dass den an der Produktion Beteiligten ad hoc viele Beispiele von männlichen Midlife-Crisis-Büchern in der Weltliteratur in den Sinn gekommen sind, das weibliche Pendant dazu aber vergleichsweise marginal ausgeprägt sei.

Neuerfindung der Natur.

Gemeinsam mit dem Kollektiv YZMA hat Michalek schon einige Stückentwicklungen verwirklicht – etwa für das Theater Drachengasse und das Landestheater Niederösterreich – und dabei eine eigene Methode entwickelt. Am Anfang stünden lange Konzeptionsgespräche, dann Improvisationen zu dramatischen Situationen. Das Gesprochene wird aufgezeichnet, Teile davon fließen später in das Stück ein. Im Fall von Mütter seien aber auch viele Fremdtexte dazugekommen. Da im jungen Produktionsteam, das in der Altersgruppe zwischen 25 und 35 Jahren angesiedelt ist, nur eine Mutter tätig sei, war zuerst über die Biografien der eigenen Mütter gearbeitet worden. Das, um herauszufinden, was denn Patriarchat sei, sagt Michalek, und die unsichtbaren Strukturen aufzudecken, die auf Frauen determinierend wirken könnten.

«Was wünschen wir Kinder uns als Lebensmodell, im Gegensatz zu unseren Müttern?», fragt die Regisseurin. Irgendwann seien sie bei der Beschäftigung mit diesem großen Thema dann regelmäßig in der Sackgasse gelandet, was allerdings auch im Stück gezeigt werden soll. Eine wichtige Erkenntnis der Gruppe: Man könne zwar «wahnsinnig theoretisch» darüber reden, dass es eine «Neuerfindung der Natur» bräuchte, dass wir Biologismen ablehnen und unser Leben selber in die Hand nehmen wollen. Dass wir selber bestimmen wollen, wie wir leben und Kinder gebären wollen. «Wir haben dann aber selber bemerkt: Uns holt die Natur zurück. In letzter Instanz ist man dann doch nicht so radikal, dass man Kinder in einem Tank heranzüchtet», meint Michalek. Dann habe man aber ein Problem, weil man ursprünglich gemeint habe: «Aber wir sind doch frei. Nur weil wir eine Gebärmutter haben, heißt das gar nichts.» Den Weg alles «Natürlichen», so konstruiert es auch sei, zu verlassen, sei doch nicht so einfach.

«Mutterschaft», ist Michalek überzeugt, «ist die letzte Bastion, wo der Feminismus beginnt, sich zu streiten.» Das erste Jahr eines Neugeborenen bedeute eine radikale Abhängigkeit von der Mutter. Das Stück reflektiere darüber, ob und wie Fürsorge, bedingungslose Liebe und Sich-Kümmern – das vermeintlich «mütterliche» Prinzip – zu einem geschlechtslosen Grundprinzip werden kann und damit das Patriarchat quasi aushebelt.

Ein bisschen utopisch kann es dabei schon werden. Denn bei Mütter gehe es weniger darum, eine Lösung zu präsentieren als eine ehrliche Auseinandersetzung mit der ganzen Bandbreite von Problemen spürbar zu machen. Und das hieße auch, seine eigene Abhängigkeit und Bedürftigkeit zu erkennen, etwas das im klassischen Patriarchat häufig verdrängt würde, meint Michalek. Immerhin ist jede Person von einem gemeinsamen Schicksal betroffen: vom Geborenwerden als Beginn des Lebens.

 

Mütter

Eine ekstatisch-matriarchale Kosmologie

Regie: Milena Michalek

Text: Milena Michalek und Ensemble

Premiere: 30. Oktober, 20 Uhr

www.kosmostheater.at