Cherchez la Femme
Vermutlich wäre ich letzte Woche nicht freiwillig in den Dokumentationsfilm Robolove im Stadtkino im Künstlerhaus gegangen, wenn nicht mein Partner den Voice-over von Hiroshi Ishiguro gesprochen hätte. Dieser ist nämlich einer der schrägsten japanischen Robotiker und hat von sich eine Kopie angefertigt. Klingt nicht mehr nach Science-Fiction, sondern schmeckt schon deutlich alltäglich durch Prozesssteuerung, Kinematik, Achsensteuerung, Gelenkparameter und Kalibrierung. Was aber dann in der Tat zu sehen war im Film, war nichts anderes als Ishiguros gestaltete Plastik in Form von Silikon mit banalem metallischem Innenleben aus Teilchen, Schrauben, Federn, Gelenken, Kabeln, Leitern. Ich finde diesen Zugang eher tragisch-komisch. Die Erwartungen an Echtheit viel zu überhöht. Bisher ist es nicht gelungen Organe oder Gliedmaßen nachwachsen zu lassen.
Die in Boston geborene Wissenschaftlerin Elly Tanaka untersucht das Regenerationsphänomen beim Axolotl am Max-Planck-Institut in Dresden. Der Schwanzlurch Axolotl, der kann das schon ganz gut mit dem Nachwachsen. Das ist der Traum aller Menschen. Die bionische Prothese existiert bereits. Und sie optimiert zum Beispiel Profisportler so gut, dass eine Hightech-Prothese einer potenten Sprungfeder gleicht und die Sprungkraft des Menschen übersteigt. Der Mensch disqualifiziert sich also selbst! Es sind große Errungenschaften, die unsere Körper noch weiter optimieren, Artificial Intelligence, also künstliche Intelligenz oder kurz AI oder KI genannt und Cyborgs, Androide, Gynoide. Man kann sich durchaus damit anfreunden.
Der technisch perfekte Blowjob
Irgendwann gab es im Film eine Nebenbemerkung. «Die meisten Androiden repräsentieren weibliche junge, schlanke, glatte, makellose Körper und sind für Männer gebaut.» Für das persönliche Life-Style-Lustprinzip. Die nach dem Mund reden in süßlichen Tönen. Die vom Mund ablesen. Die wahrscheinlich auch den technisch perfekten Blowjob performen können. Alles möglich heute. Irgendwie **weird**, irgendwie seltsam, oder nicht? Ob sich Prostitution damit aufhört? Die vielen im Film gezeigten vorbereiteten, kurvenreichen Silikonhüllen ohne Kopf hingen makaber wie geschlachtete Tiere in steriler Umgebung aus Metall an Haken. Interessanter fand ich die humanoiden Roboter, die durch ihr Äußeres gar nicht versuchen, Menschen in Gestalt nachzuahmen, die rein funktional aus Maschinenteilen aufgebaut sind. Ästhetisch. Die Idee des Baus eines künstlichen Menschen ist übrigens sehr alt. Die griechischeMythologie berichtet, dass der Gott des Schmiedens, Hephaistos, menschenähnliche Maschinenwesen gebaut habe. Die künstliche Intelligenz jedoch kann nicht einfach programmiert werden, sondern resultiert aus einem Lernprozess. So wie das Leben meines Partners, der aufgrund von Dysmelie im Uterus mit einem halben Bein zur Welt kam. Sein aktueller Lernprozess besteht daraus, seine rechte (nie vorhanden gewesene) Fußsohle an der Fußsohle seiner Prothese neu zu spüren. Das Hirn formiert neue neuronale Netzwerke durch einen Sensor, ein bionisches Feedbacksystem, das ihm Berührungen der Prothesenfußsohle an eine Stelle an seinem Oberschenkel funkt. Diese kleine Fläche ist sozusagen seine neue Fußsohle. Der Ort, an dem er die Informationen erhält, die in seinem Hirn verarbeitet werden. Das kann ein ziemliches Aha-Erlebnis sein! Auch Personen mit Phantomschmerzen, die zu den schlimmsten Schmerzen überhaupt zählen, profitieren enorm vom Fortschritt der Wissenschaft und Technik. Das ist großes Potenzial.
«An mir ist alles dran, was wichtig ist»
Einer der ersten prägenden Sätze am Telefon, an die ich mich erinnere, als ich meinen Partner kennenlernte, war «An mir ist alles dran, was wichtig ist.» Das waren damals Festnetz-Zeiten, verkabelt, schnurgebunden. Es würde mehr als ein Flirt werden. Wir arbeiteten zu der Zeit am Theater mit Texten von Nancy Friday, Sexuelle Fantasien, in denen es um Selbstbestimmung und die Befreiung von Gefühlen geht, anstelle von restriktiven antifeministischen Ideologien. Wir sprachen viel davon, als das akzeptiert zu werden, was man ist, solange man versucht, offen und empfindsam zu bleiben. Dieses Terrain zwischen mir und meinem neuen Partner sorgte für Tiefe. Wir hatten emotionale Belastungen in unserer Kindheit und Jugend auf den Weg ins Erwachsenwerden mitbekommen. Wir wussten beide, was es sozial und familiär bedeutet, mit dem Stigma «Du bist nicht ok, so wie du bist» abgewertet worden zu sein. Ich hatte in meiner Jugend eine seelische «Behinderung», er eine physische, und der Weg da raus, der gelang Hand in Hand. Auch das ist großes Potenzial.
Sie straften ihn einer «Obszönität»
Die Einstellungen und Ausschnitte der Fotografien von meinem Partner in der Zeit von 1959 bis 1962 als Kleinkind schneiden ihm bewusst die Beine ab. Man sieht ihn nur bis zum Beinansatz. Auf den Bildern gilt er als «gesund», die familiäre Fassade wurde bewahrt. An einem Tag im Mai im Prater, Jahrzehnte später, trug er eine kurze Hose und man konnte seine unkaschierte Beinprothese sehen. Er hatte das Kunststoffmaterial um den Titanstift entfernt. Das sah ästhetisch und roh aus, mir gefiel diese Variante viel besser als die Vortäuschung einer labbrigen grauen Schaumstoffwade. Die entgegenkommenden Menschen jedoch, empörten sich mimisch, straften ihn mit verächtlichen Blicken offenbar einer Obszönität. Vielleicht wünschten sie ihn auch zum Teufel – ein Mann mit Pferdefuß! Ich sprach ihn darauf an, wie sehr mich diese Unmenschlichkeit erfasst hatte. Er sagte, das kenne er schon lange, viele Menschen empfänden es als Zumutung, dass man sie nicht-camoufliert diesem Anblick aussetzt. Als ich ihn dann zum ersten Mal nackt sah und er mich während seiner minutiösen Entkleidung und Abnahme seiner Beinprothese, die damals noch aus Leder war und zahlreiche Schnallen hatte, mich fast stripper-gleich anblickte, mit dem Blick der Unschuld, Entblößung und Scham, dieser Blick bleibt mir unvergessen. Auch der Geruch des Leders. Immer wieder erschien es mir, als ob er nicht nur seine Kleidung und Prothese ausziehe, sondern seine Seele. Die Qualität dieser Momente wiederholte sich einige Zeit lang. Im Laufe unsere Partnerschaft aber wandelte sich dieser Blick. Er wurde irgendwann obsolet. Wir sprechen auch nicht mehr von Behinderung, sondern von Prothetik. Wir sprechen so konkret wie möglich. Wir sprechen von Schmerzen beim Gehen. Wir sprechen von hochentwickelten Prothesen, die sich kaum eine*r leisten kann. Wir fantasieren von Prothesen, die schießen können – «Mein Name ist Bond, James Bond.» Wir wissen um die Vorteile, ein halbes Bein weniger beim Sex handhaben zu müssen. Wir lachen darüber. Wir wissen um das Alter, das seine Probleme beim Gehen verstärken wird. Wir reden darüber, wie wir mal leben, wenn wir gebrechlich sind. Die Ersatzteile unserer Körper sind mannigfaltig und entspringen der Zukunft. Manchmal sind tiefe Traumata an sie angeknüpft, manchmal sind sie lapidar wie mein Titanstift im Unterkiefer. Manche sind hochästhetisch, wie jene des Industriedesigners und Musikers Adam Swiczinsky, der nach dem Film sein neustes Design einer Cyborg-Hand vorführte. Schwarz, weiß glänzend. Blaue Bluetooth-Leuchtdioden. Edel. Sehr edel.
Bedeutsam ist, dass die meisten künstlichen Intelligenzen und Sprachassistenten, mit denen wir im Alltag zu tun haben, weiblich sind: Siri, Alexa, Telefonansage, Ansagen in den Öffis haben zumindest in den Standardeinstellungen weibliche Namen und brav säuselnde weibliche Stimmen in höheren Lagen. In der Techniksoziologie wird das Phänomen vor allem damit erklärt, dass die Abwehr gegenüber der Technologie weniger stark ist, wenn sie mit weiblichen Attributen ausgestattet ist – ein «weiblicher» Roboter wirkt also weniger bedrohlich und werde eher akzeptiert, lese ich im Web. Problematisch wird durch diese Reproduktion stereotyper Weiblichkeit eine Koppelung mit Unterwürfigkeit, die Feminist*innen zu lösen versuchen. Es ist also ratsam, sich mit diesem Zukunftstopos auseinanderzusetzen. Martina Mara, Professorin für Roboterpsychologie an der Joseph Kepler Uni Linz, erklärt: «In den Ethikrichtlinien für vertrauenswürdige KI der EU-Kommission heißt es beispielsweise, dass sich Maschinen nicht als Menschen ausgeben dürfen. Und die nächste Frage ist dann: Wenn ich ohnehin schon weiß, dass der Bot ein Bot ist, macht es dann noch Sinn, dass der Bot so menschlich klingt, oder komme ich mir da nicht ein bisschen veräppelt vor, wenn er zum Beispiel ein traurig klingendes Seufzen ins Gespräch streut?» Übrigens: Fahrt doch mal mit dem 47A Richtung Baumgartner Höhe. Das ist mein täglicher Nachhause-Weg. Mich riss es heute fast vom Sessel, als ich die neue Computer-Ansage-Stimme hörte; weiblich tief sonor und deutlich dominant. Ich konnte sie nicht zuordnen. Ich fantasierte beim Verlassen des Busses, was passieren könnte, wenn Technik vor Moral und Menschenrecht gestellt würde.
Bots sind automatisierte Programme
Robolove – ein Film von Maria Arlamovsky, im Kino