Ob Vogelgesang oder BaumaschineArtistin

Klangkunstfestival für Frauen als Kommunikations-Plattform

Beim Musikfestival Phonofemme geben Frauen den Ton an. Warum Frauenfestivals nötig sind, wie der Mond zum Mitspieler wird und was es mit Deep Listening auf sich hat: Jenny Legenstein im Gespräch mit der Mitbegründerin des Festivals Mia Zabelka.

 

Foto: Petra Cvelba 

Eine nur ganz kurze und oberflächliche Recherche zum Thema elektronische Musik bringt zwei Erkenntnisse – das Genre hat sich in den rund 70 Jahren, seit es besteht, enorm verzweigt, und es scheint sich um eine fast reine Männerdomäne zu handeln. Wer sich aber beispielsweise die Mühe macht, den relativ umfangreichen Wikipedia-Eintrag zu durchforsten, stößt immerhin auf drei, vier Frauennamen. Dass der Anteil weiblicher Protagonistinnen in der elektronischen Musik gering ist bzw. sie in der öffentlichen Wahrnehmung völlig unterrepräsentiert sind, überrascht nicht. Denn wieso sollte es sich hier anders verhalten als in anderen Musiksparten. Und so gilt auch da die Parole «Frauen, bildet Banden!», also der Aufruf, sich zu vernetzen und aktiv zu sein, um sichtbar, hörbar, wahrnehmbar zu werden.

Eine Plattform der Begegnung, der Kommunikation, des Austausches ist Phonofemme – International Festival for Women in Sound Art and Experimental Music, das heuer zum fünften Mal stattfindet. Das Festival soll «nicht einfach fertige Produkte präsentieren, sondern es geht auch darum, Frauen zusammenzubringen und daraus etwas entstehen zu lassen», erzählt Mia Zabelka, die Phonofemme gemeinsam mit Zahra Mani und Karin Schramm gründete. Der Hauptbeweggrund, ein eigenes Festival für Frauen im Bereich experimentelle und innovative Musik ins Leben zu rufen, war die Unausgewogenheit bei bestehenden Festivals. «Frauen werden nach wie vor im Musikbereich äußerst diskriminiert, und auch die Festivalveranstalter sind hauptsächlich Männer. Da fehlt völlig die weibliche Perspektive. Es geht uns in erster Linie darum, eine weibliche Ästhetik zu vermitteln», erläutert Mia Zabelka. Dabei ist Phonofemme keine Women-only-Veranstaltung, internationale und österreichische Künstler_innen wie Lydia Lunch, Matija Schellander, Maja Osojnik, Franz Hautzinger, Irene Suchy und Alexei Borisov waren schon zu Gast.

Echo des Mondes.

Das diesjährige Festival ist der Pionierin elektronischer Musik und Akkordeonistin Pauline Oliveros (1932–2016) gewidmet. Die Musikerin, Komponistin und Theoretikerin nahm, gemeinsam mit ihrer Ehefrau, der Schriftstellerin und Spoken-Word-Performerin Ione, am ersten Phonofemme Festival 2009 teil. Sie und Mia Zabelka verband eine lange Freundschaft und mehrere Zusammenarbeiten. «Wir haben uns während meiner Studienzeit kennengelernt», erinnert sich Zabelka. Oliveros trat damals im Rahmen der «Töne – Gegentöne» (dem Avantgarde-Musik-Festival der Wiener Festwochen in den Jahren 1983 bis 1991) gemeinsam mit Sonic Youth auf. «Das fand ich schon einmal spannend, weil das so völlig verschiedenen Welten sind, die aber an dem Abend unglaublich gut miteinander funktioniert haben. Sie saß da auf der Bühne mit ihrem Akkordeon und hat ganz ruhige, meditative Musik gespielt.» Mia Zabelka war fasziniert und schickte der US-amerikanischen Künstlerin eine Kassette mit ihrer eigenen Musik. Damit gerechnet, dass Oliveros darauf antworten würde, hat sie nicht. Doch sie erhält eine positive Rückmeldung, die Musik der Violinistin gefiel Oliveros sehr, und sie äußerte den Wunsch, in Kontakt zu bleiben und irgendwann etwas gemeinsam zu machen. «Wir haben sie zum Projekt ‹Mondecho› bei den Salzburger Festspielen 1997 und im Klangturm St. Pölten 1999 eingeladen», erzählt Zabelka. «Mondecho» (erstmals 1996 in Kalifornien durchgeführt) beruht auf einer Idee und dem Konzept von Pauline Oliveros: Klänge von der Erde, die mit Hilfe von Amateurfunker_innen in elektronische Signale verwandelt wurden, werden Richtung Mond gesendet und von dessen Oberfläche reflektiert, und dieses Echo wird mit mehreren Sekunden Verzögerung wieder auf der Erde empfangen, wo Musiker_innen wiederum zu diesem Sound improvisieren. Für Mia Zabelka ist «Mondecho» auch beispielhaft für Oliveros’ Neugier, ihren Innovationsgeist und ihre Experimentierfreudigkeit, und für sie «ist es Deep Listening par excellence – die Unendlichkeit hören.» Deep Listening?

Deep Listening.

Pauline Oliveros, die das Deep Listening Institute gründete, schrieb: «In meinen Auftritten auf der ganzen Welt versuche ich, an die Zuhörer weiterzugeben, wie ich Klänge erfahre, wenn ich sie höre und wenn ich sie in einem Stil spiele, den ich Deep Listening nenne. Deep Listening bedeutet, auf jede mögliche Weise auf alles Hörbare zu hören, egal, womit man beschäftigt ist. Solch intensives Zuhören umfasst die Geräusche des Alltags, der Natur, der eigenen Gedanken genauso wie musikalische Klänge. Deep Listening ist die Art, in der ich mein Leben führe.» Deep Listening gehe über das Hören hinaus, erläutert Mia Zabelka, es sei stark vom Zen-Buddhismus beeinflusst, es gehe um Wahrnehmen, Im-Moment-Sein und darum, nicht zu werten. «Für Pauline waren alle Klänge schön, egal ob es Vogelgesang oder eine Maschine auf einer Baustelle war.» Äußerst wichtig sei in diesem Zusammenhang auch der Raum, in dem etwas stattfindet und in den hineingelauscht wird.

In einem besonderen Raum performen am 21. Oktober um 20 Uhr alle Künstler_innen des Phonofemme Festivals 2017 Pauline Oliveros Komposition «Sonic Meditations». Nämlich in der Tonspur Passage im Museumsquartier – das ist dieser Durchgang zum Haupthof, der monatlich mit unterschiedlichen Soundschleifen verschiedener Artists bespielt wird. Am Tag danach, dem Sonntag, dem 22., spielen die Phonofemme-Künstler_innen (allesamt Schüler_innen und Freund_innen Oliveros’) im Café Korb Hommagen an Pauline Oliveros, und auf Radio Ö1 ist die sonntäglich Ausgabe des «Kunstradios» dem Festival gewidmet. Dabei sein werden unter anderem Oliveros’ Witwe Ione, die aus Peru stammende DJane und Sound-Künstlerin Maria Chavez, die finnische Violinistin Meriheini Luoto, die traditionelle Folkmusik Finnlands und Avantgarde verbindet, Zahra Mani, eine in Österreich und Kroatien lebende Klangkünstlerin, Performerin und Komponistin mit pakistanischen Wurzeln, DJ Spooky aus New York und natürlich Mia Zabelka.

Warum Phonofemme nur alle zwei Jahre stattfindet? Aus budgetären und organisatorischen Gründen: Es gibt nur ein sehr kleines Budget, «außerdem bin ich sehr viel unterwegs und habe auch das Klanghaus Untergreith zu organisieren». Es sei aber auch gut, ein Jahr Pause zu haben, um sich ein neues Phonofemme-Programm zu überlegen.

Out of the comfort zone.

Das genannte Klanghaus Untergreith, ein Zentrum für Klangkunst in der Südsteiermark, in dem u. a. Konzerte und Workshops stattfinden (Reportage in Augustin Nr. 381), ist nur eines der vielen Projekte Mia Zabelkas. Eben ist ihr neues Soloalbum «Cellular Resonance» erschienen. Medusa’s Bed (mit Lydia Lunch und Zahra Mani), das Duo mit dem Gitarristen Nicola Hein und das Trio Blurb sind nur einige der musikalischen Kollaborationen Zabelkas, auch mit DJ Spooky ist eine Zusammenarbeit im Entstehen. Für Mia Zabelka bedeuten die unterschiedlichen Projekte auch immer wieder einen Sprung ins kalte Wasser – «das ist genau, was ich beabsichtige, out of the comfort zone». Raus aus der Komfortzone umreißt ihre Zugangsweise in der Musikarbeit eigentlich perfekt. Von Anfang an, schon während ihres Klassikstudiums ist das Überschreiten von (Genre-)Grenzen wichtig. Sie spielt nebenher etwa in Punkbands und Jazz-Rock-Gruppen, beginnt Komposition und elektroakustische Musik zu studieren, geht immer weiter in den experimentellen Bereich. «Von Anfang an war immer die Neugierde da, Klänge zu entdecken, neue Sachen auszuprobieren.» In ihrer frühen Performance Somateme fängt sie mit Mikrofonen Körpergeräusche ein, bearbeitet sie elektroakustisch und improvisiert mit der Violine dazu. «Diese Physikalität, aus der körperlichen Gestik Klänge entstehen zu lassen, ist für Frauen problematischer als für Männer», meint Zabelka «Bei Männern würde man sagen: Ah, diese Musikalität! Toll!» Bei Frauen werde das anders wahrgenommen, nämlich in einem weitaus sexualisierteren Kontext, auch wenn dieser gar nicht beabsichtigt sei.

Der Titel der Phonofemme 2017 «Can you hear a forest listening?» ist einem Titel Meriheini Luotos entnommen und dem Eindruck geschuldet, der Wald lauschte, wenn frau_man in ihm unterwegs ist. Mia Zabelka: «Pauline hat mich gelehrt: Beginne ein Projekt immer mit Fragenstellen. Die Antworten sind nicht wichtig. Das Fragenstellen impliziert ja auch gleichzeitig das Zuhören. Wer alle Antworten weiß, der hört ja gar nicht zu.»

 

Phonofemme

Hommage an Pauline Oliveros

«Can you hear a forest

listening?»

20.–22. Oktober

Eintritt frei

www.miazabelka.com

www.facebook.com/phonofemme