Öffentlich rechtlicher Wohnraumtun & lassen

Immo Aktuell

Berlin. Am letzten Sonntag im September entschieden die Wähler_innen: 13 Wohnkonzerne sollen enteignet, 240.000 Wohnungen vergesellschaftet werden. Was wird die neue Bürgermeisterin mit dem Willen ihres renitenten Wahlvolks machen?

Text: Henrik Lebuhn & Marieke Prey
ILLUSTRATION: MUCH

Mit einem frechen Volksentscheid haben die Berliner Wähler_innen am vergangenen Sonntag den Parteien die Show gestohlen. Egal, wie die Koalitionsverhandlungen in Berlin verlaufen – die neue Regierung hat einen klaren Auftrag: Die großen gewinnorientierten Wohnungsunternehmen sollen enteignet und 240.000 Wohnungen in eine Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) überführt werden.

Demokratisch verwalteter Wohnraum. Seit über drei Jahren hatten Aktivist_innen der Initiative «Deutsche Wohnen & Co. enteignen» den Volksentscheid vorbereitet, um der Spekulation mit Wohnraum einen Riegel vorzuschieben. Die Mühe hat sich gelohnt. 75 Prozent der Berliner_innen beteiligten sich an der Abstimmung. Entgegen aller Prognosen stimmten 56,4 Prozent der Wähler_innen für die Enteignungen privater Immobilienkonzerne. 39 Prozent der Wähler_innen stimmten dagegen. Nur in zwei der zwölf Berliner Bezirke gab es mehr Nein- als Ja-Stimmen.
Nun ist der neue Berliner Senat gefragt, den per Volksentscheid erteilten Beschluss in ein Gesetz zu überführen. Dieser sieht auf Basis von Artikel 15 des Grundgesetzes vor, die Wohnungsbestände von privaten profit­orientierten Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin in eine AöR zu überführen. Genossenschaften und andere gemeinwirtschaftliche Eigentumsformen sind davon ausgeschlossen. Die betroffenen Unternehmen sollen eine finanzielle Entschädigung unterhalb des Marktwertes erhalten. Zur Verwaltung der enteigneten Bestände wird die Errichtung einer AöR gefordert, in deren Satzung eine erneute Privatisierung verboten wird. Die AöR soll von Mieter_innen, Beschäftigten und Personen aus der Stadtgesellschaft demokratisch verwaltet werden.

Ein Auftrag, kein Gesetz.

In welchem Umfang und wie schnell der Volksentscheid umgesetzt wird, darüber wird nun viel spekuliert. Die Initiator_innen der Kampagne hatten sich frühzeitig dafür entschieden, ihre Forderungen mit einem «Beschlussvolksentscheid»auszudrücken.­
Im Gegensatz zu einem «Gesetzesvolksentscheid» ist das nicht rechtlich bindend, sondern wirkt als politscher Auftrag. Mit der Entscheidung für Ersteren wollte die Kampagne vermeiden, an technischen Fehlern zu scheitern. Diese bittere Erfahrung hatte die Bewegung vor zehn Jahren beim letzten Mietenvolksentscheid gemacht. Durch einen mit EU-Recht in Konflikt stehenden Paragraphen waren damals rechtliche Zweifel am Gesetzesentwurf geäußert worden.
Politischen Druck erzeugt heute aber nicht nur das klare Votum der Abstimmung. Auch die heterogene Zusammensetzung der mehr als 2.000 Aktiven, die die Kampagne in allen Bezirken Berlins getragen haben, trägt zur Schlagkraft der Kampagne bei: Das Zusammenkommen von Menschen ohne Wahlrecht, Mieter_innen aus den Außenbezirken, Jungen wie Alten, juristischen Fachleuten und Social-Media-Profis hat zu einer starken Verankerung in der Stadtgesellschaft beigetragen. Schon vor der Wahl hatte die Initiative eigene Gesetzesentwürfe verfasst und plant nun Konferenzen und Aktionen, um die Umsetzung des Volksentscheids zu begleiten.

Die rote Linie der Sozis.

Ausgerechnet aus dem Berliner Senat droht jedoch Widerstand. Während sich die Grünen und die Linke im Wahlkampf für «Deutsche Wohnen und Co. enteignen» ausgesprochen hatten, grenzte sich die Spitzenkandidatin der Sozialdemokrat_innen (SPD), Franziska Giffey, klar ab. Eine Enteignung privater Unternehmen sei für sie eine «rote Linie», die nicht überschritten werden dürfe. Nach dem Wahlsieg der SPD stellt sich die Frage, ob Giffey auf dieser Position besteht. Damit könnte sie die Koalitionsverhandlungen zur Fortsetzung der rot-rot-grünen Regierungskoalition gefährden oder der Umsetzung des Volksentscheids zumindest Steine in den Weg legen. Denn die bürgerlich-konservative CDU und die wirtschaftsliberale FDP stünden als alternative Koalitionspartnerinnen bereit.
Eine Koalition zwischen SPD, CDU und FDP wäre freilich ein direkter Affront gegen das klare Signal der Wähler_innen. Auch in der eigenen Partei muss Franziska Giffey unterschiedliche Lager befrieden. Sie selbst ist dem konservativen Flügel der SPD zuzurechnen. Bis vor kurzem war sie als Familienministerin für die Bundesregierung tätig, musste diesen Posten aber wegen einer Plagiatsaffäre räumen und kam zurück nach Berlin. Hier jedoch hat die SPD einen starken linken Flügel, der in den letzten Jahren erfolgreich mit Grünen und Linken zusammengearbeitet hat. Seit Giffey versucht, die Berliner SPD auf bürgerliche Positionen zu trimmen, brodelt es in ihrer Partei.
Am Ende könnte die Entscheidung jedoch von anderer Seite herbeigeführt werden: An der Mehrheit der Wähler_innen, die für eine Enteignung gestimmt haben, kommt auch ein bürgerlicher Senat nicht vorbei – zumindest nicht, wenn der Protest auf die Straße getragen wird. Und dass die kampferprobten Aktivist_innen der Enteignungs-Kampagne genau dafür sorgen werden, davon kann man nach den vergangenen Monaten ausgehen.

Henrik Lebuhn ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Stadt- und Regionalsoziologie an der Humboldt Universität Berlin. Marieke Prey ist Bildungsreferentin bei der Stadtbodenstiftung und bei der Kampagne «Deutsche Wohnen und Co. enteignen» von
Anfang an aktiv.

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