Ein Gespräch über die Stadt für alle
«Öffentlicher Raum – das Wohnzimmer der Stadt», behauptet die Stadt Wien auf ihrer Homepage. Klingt gut, aber wie ist es wirklich? Und was genau ist öffentlicher Raum? Mit der Soziologin Katharina Hammer, die in der Arbeiterkammer Wien zu den Themen soziale Stadt, Bürger_innenbeteiligung und öffentlicher Raum arbeitet, hat Ruth
Weismann bei einem Kaffee am Donaukanal gesprochen.
Foto: Thomas Weismann
Der Sommer und das Draußen Sitzen neigen sich zwar dem Ende zu. Aber öffentlicher Raum wird ja ganzjährig genutzt. Wie kann man den Begriff öffentlicher Raum definieren?
Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Ein soziologisches Kriterium wäre: Öffentlicher Raum ist jener Raum, der für alle frei und gleichermaßen zugänglich ist. Wo man gratis hingehen kann, nichts konsumieren muss, den Ort einfach nutzen – das ist das, was die meisten Stadtbewohner_innen unter öffentlichem Raum verstehen. Es sind, meiner Meinung nach, gute Kriterien, denn sie machen verständlich, worum es geht. Man kann aber bei der Definition auch differenzierter sein, wichtig ist etwa auch, welches Recht in einem Raum Geltung hat. Zum Beispiel das Museumsquartier, das eigentlich nicht der Stadt gehört, da steckt eine Betreiber_innengesellschaft dahinter. Aber das merken die Bürger_innen meist erst dann, wenn es ein Problem gibt und sichtbar wird, dass es ein anderer Raum ist als etwa hier am Donaukanal, der öffentlich ist.
Wie unterscheidet sich das Museumsquartier von öffentlichem Raum?
Es ist kein privater Raum, weil es relativ frei zugänglich ist. Es gibt aber eine Betreiber_innengesellschaft, die das Recht hat, eine Hausordnung zu erstellen, an die sich alle halten müssen. Zum Beispiel können sie sagen, es düfen keine selbst mitgebrachten Getränke mehr konsumiert werden. Sie haben auch einen eigenen Security-Dienst.
Welche Räume betrifft das noch?
Was man auch noch als halböffentliche Räume bezeichnet, sind Shopping-Malls. Dort hat man freien Zugang, zumindest wenn man den privaten Gesellschaften, die dahinterstecken, kein Dorn im Auge ist.
Was ja auch die Tendenz erklärt, in Einkaufszentren keine Bänke mehr aufzustellen, wo man einfach sitzen kann. Allerdings sind auch Parks in der Nacht oft zugesperrt. Gibt es genug Räume in Wien, die für alle frei zugänglich sind?
Einerseits hat Wien tolle Naherholungsgebiete, große Flächen, oder eben den Donaukanal. Aber wenn man sich die dicht verbauten Gründerzeitgebiete ansieht, da gibt es wenige Parks, wenige Freiflächen, aber eine dichte Bevölkerungsstruktur. Da kann es schon eng werden, wenn es um die Frage geht: Wo gehe ich hin, wenn ich einfach mal rausgehen will? Aber auch der Donaukanal ist ein gutes Beispiel dafür, wie kommerzielle und nicht-kommerzielle Nutzungen in Konflikt geraten können. Die einen wünschen sich Flächen, die freigehalten werden, andere wollen immer mehr Restaurants errichten.
Da fehlt es also an konsumfreien Flächen. Gibt es davon tatsächlich immer weniger?
Was es bestimmt gibt, ist eine Zunahme von privaten Nutzungen, also etwa Großveranstaltungen, die Event-Charakter haben und gleich mal irrsinnig viel Platz in Anspruch nehmen. Oder Schanigärten vor Lokalen, die immer größer werden. Diese Entwicklungen konzentrieren sich häufig an bestimmten Orten. Man sieht das im ersten Bezirk, einer touristisch stark frequentierten Zone. Da ist es fürs Gastgewerbe interessant, einen großen Schanigarten zu haben. Das erzeugt Druck. Dadurch, dass es auf einem Fleck dann so viel kommerzielle Nutzung gibt, wird es schwierig, auch für die nicht-kommerzielle Nutzung noch genügend Fläche zu haben. Wie man ja auch hier am Donaukanal sieht.
Was sind aus ihrer Sicht die größten Herausforderungen, damit der öffentliche Raum für alle gut funktioniert?
Ganz wichtig ist, dass es in der Stadt das Bewusstsein gibt, dass öffentlicher Raum auch öffentlich bleiben soll. Die Kriterien der freien und gleichen Zugänglichkeit müssen einen hohen Stellenwert haben. Außerdem, dass man den öffentlichen Raum nicht an Private verkauft, also auf ausgewogene Nutzung achtet, und das auch in der Gesetzgebung festgeschrieben wird. Auch muss man den Spagat schaffen, nicht zu viele gesetzliche Vorschriften zu haben, weil sonst Nutzungen schwierig werden. Genehmigungen für Gassenfeste und Nachbarschaftstreffen zum Beispiel: Wenn die schwierig zu bekommen sind, ist das ungut für die Menschen, die vielleicht einfach mal ein kleines Fest machen wollen oder nur auf der Straße sitzen oder Musik machen wollen. Es müsste schon möglich sein, dass man auch einfach Dinge tun kann, die unterschiedlich sind. So unterschiedlich wie die Leute eben sind.
Sie haben mit einer Kollegin auf dem Blog «Arbeit&Wirtschaft» über das Projekt Grätzloase geschrieben. Worum geht es da?
Die Grätzloase ist ein Programm der Stadt Wien und die Idee ist, öffentliche Räume zu beleben und Leute dabei zu unterstützen, unterschiedliche Initiativen umzusetzen. Das Problem ist, dass oft die Ansprechpersonen, also die Stellen in der Stadt, fehlen und man nicht weiß, wohin man muss, wenn man diese und jene Genehmigung braucht, oder: Welche Genehmigung brauche ich überhaupt, wie kann so etwas laufen? Das Projekt soll die Stadtbewohner_innen im Umgang mit bürokratischen Vorschriften unterstützen und es gibt auch kleine finanzielle Summen, damit Ideen umgesetzt werden können.
Aber wenn die Stadt einerseits sagt, der öffentliche Raum soll belebt werden, andererseits werden doch wieder Bänke abmontiert, wie etwa am Yppenplatz, weil da Obdachlose sitzen oder andere, die nicht ins allgemeine Bild passen – wie geht das zusammen?
Ja, das ist auch ein bisschen unsere Kritik am Projekt Grätzloase. Man muss schon darauf achten, wer sich daran beteiligt und wer nicht. Es ist interessant, dass etwa Obdachlose, die ja am meisten auf den öffentlichen Raum angewiesen sind, weil sie keinen privaten Rückzugsort haben, meines Wissens noch keine Grätzloase beantragt haben, um zum Beispiel ein Dach über einem Platz zu bekommen. Also es ist schon ein Programm für Leute, die Zeit haben, die sich zutrauen eine Idee umzusetzen und die mit bürokratischen Hürden umgehen können. Man könnte das auch ganz anders denken, damit andere Leute auch teilnehmen.
Brauchen wir also mehr und bessere Partizipation in der Stadt?
Es passiert auf jeden Fall in letzter Zeit viel in Richtung Partizipation in der Stadt, das ist positiv. Ob es gut oder schlecht funktioniert, müsste man sich je nach Projekt anschauen. Was man aber sagen kann, ist, dass es breiter angelegt sein könnte. Dass man versucht, Leute mit unterschiedlichen sozioökonomischen Hintergründen miteinzubeziehen. Es gibt die Gefahr, dass die, die sich ohnehin öffentlich gut artikulieren können, die ohnehin leichter zu Wort kommen, auch die sind, die an Partizipationsprojekten teilnehmen. Und dass die, die das nicht so gut können, vergessen werden. Da muss man nachschärfen.
Wie könnte man nachschärfen?
Indem man die Leute aktiv anspricht und Kommunikationsräume schafft, die so strukturiert sind, dass auch Menschen sich sprechen trauen, die das vielleicht nicht so gewohnt sind. Und Themen setzten, die breit gefächert sind. Bei Bauprozessen gibt es viele Beteiligungsprojekte, das ist aber sehr spezifisch. Man könnte auch ganz andere Dinge überlegen, wo Partizipation interessant wäre.
Zum Beispiel?
Wenn man zum Beispiel Arbeitslose aktiv ansprechen würde und danach fragen, wie öffentliche Räume für sie idealerweise aussehen müssten. Daraus könnte man ein Beteiligungsprojekt entwickeln, um herauszufinden, was die Leute wollen und brauchen. Für Jugendliche gibt es immer wieder Beteiligungsprojekte, zum Beispiel bei Parkgestaltung. Denn junge Menschen nutzen den öffentlichen Raum ja auch sehr viel. Aber das hat auch noch Luft nach oben, in der Art, wie sie sich einbringen könnten.
Was hat sich in den letzten 50 Jahren verändert, in Bezug auf den öffentlichen Raum?
Was für europäische Städte einschneidend war, ist der motorisierte Individualverkehr. Autos haben massiv zugenommen. Das ist sehr relevant, weil davor die Flächen anders genutzt wurden. Diese Flächen sind nun besetzt und stehen daher nicht für andere Dinge zur Verfügung. Was man auch merkt, ist, dass es zunehmend soziale Ungleichheitsverhältnisse gibt, die im öffentlichen Raum sichtbar werden. Habe ich eine kleine Wohnung, die ich mit vielen Leuten teilen muss, oder sitze ich in einer großen Dachgeschoßwohnung mit vielen Freiflächen? Das spielt eine Rolle bei der Frage, wie ich den öffentlichen Raum nutze, wie viel ich konsumieren kann oder will, welche Flächen ich nutze. Was auch zugenommen hat, sind kommerzielle Nutzungen im öffentlichen Raum. Weiters gibt es öffentlichen Raum, der privatisiert wird. Diese Entwicklung ist in Wien im Vergleich zu anderen Städten glücklicherweise noch nicht so weit fortgeschritten. Da ist London sicher ein bedrückendes Beispiel, viel öffentlicher Raum wurde verkauft und Private bestimmen jetzt, wer sich hier aufhalten darf und was erlaubt ist. Das ist eine Tendenz, wo sich eine Stadt gut überlegen sollte, ob sie das will. Was sich noch verändert hat: Stadtwachstum. Wenn die Bevölkerungsprognose stimmt, wird Wien bis 2030 die Zwei-Millionen-Marke sprengen. Gleichzeitig wird der öffentliche Raum aber aller Voraussicht nach der gleiche bleiben, also man wird mit dem, was man hat, umgehen müssen. Da wird der Nutzungsdruck sicher stärker werden. Wichtig ist, zu überlegen, wie man bestimmte Flächen für die öffentliche Nutzung aufmachen kann. Schulsporthallen und Sportplätze etwa könnte man nach dem Unterricht öffentlich zugänglich machen und Mikrofreiräume sinnvoll gestalten. Öffnen könnte man noch viele Räume!