«Offenherzige Menschen»vorstadt

Lokalmatadorin

Alice Schmatzberger bemüht sich um mehr Verständnis für das weniger bekannte China.

TEXT: UWE MAUCH
FOTO: MARIO LANG

Es geht ihr um die Nuancen. «Die Welt», erklärt Alice Schmatzberger bei unserem Treffen in Mariahilf, im Park zwischen dem Haus-des-Meeres-Bunker und dem Foltermuseum, «ist auch in China weder schwarz noch weiß.»
Nein, die doppelte Magistra (in Biochemie und Kunstgeschichte) hat keine gute Meinung über den autoritären Kurs der chinesischen Staatsführung. Und ja, diese Meinung hat aufgrund ihrer jahrelangen Recherchen im und über das Reich der Mitte inhaltlich durchaus Gewicht.

Beschrieben.

Für ihr Buch Mehr als Mozart und Mao hat die an der Welt Interessierte 25 Menschen aus Österreich und 25 Menschen aus China interviewt. Interessiert haben sie dabei vor allem «die ganz persönlichen Erfahrungen in der jeweils anderen Kultur».
Das Buch von Alice Schmatzberger gibt ein Gefühl dafür, wie vielschichtig dieses Land mit mehr als einer Milliarde Menschen heute ist. Berichte über die brutale Unterdrückung von Minderheiten und Verhaftungen politisch anders Denkender, den wilden Expansionskurs der chinesischen Wirtschaft und die brandgefährlichen außenpolitischen Gelüste von Präsident Xi Jinping sind deshalb nicht falsch. «Doch werden sie für sich genommen nicht dem ganzen Spektrum Chinas gerecht.»
Der rote Faden im Leben der Wienerin, die rund um den Vorgartenmarkt «im Zweiten» aufgewachsen ist und heute mit ihrem Mann in Mariahilf wohnt, ist ihr ehrliches Interesse an Demokratie, Umwelt, Kunst, Kultur, Geschichte, eben an der Welt. In ihrer Rückblende beschreibt Alice Schmatzberger ihr bisheriges Leben als nicht unbedingt linear.
«Studiert habe ich Biochemie an der Universität Wien», erzählt sie. Früher als andere, zu Beginn der 1990er-Jahre, wollte sie sich mit den Optionen und Gefahren der Gentechnik bei Lebensmitteln und in der Landwirtschaft vertraut machen.
Im Zuge des österreichischen Beitritts zur Europäischen Union konnte sie sich aufgrund ihres Grundlagenwissens als wissenschaftliche Politikberaterin einen Namen machen. Zur Kundschaft ihres Ein-Personen-Unternehmens zählten unter anderem Arbeiterkammer und Konsumentenschutzministerium.

Beeindruckt.

Später, als Vertragsbedienstete in einem Ministerium, habe sie lernen dürfen, und ja, sie verwendet das Wort «dürfen», hat sie also lernen dürfen, wie ein staatliches Gebilde tickt. Daher weiß Alice Schmatzberger heute: «Das Funktionieren von Österreich ist weniger das Verdienst der jeweiligen Regierung, es ist vielmehr dem stabilisierenden Element der Verwaltung zu verdanken.»
Dazu eine Fußnote der Insiderin, die Klischees gerne widerspricht: «Es gibt in jeder Sektion modern arbeitende Leute.» Und nur auf Nachfrage fügt sie hinzu: «Also gut, ein Viertel der Beamtenschaft könnte man auch jederzeit weglassen, ohne dass das groß auffallen würde.»
Nach ihrem Wechsel in ein Fachreferat des Umweltbundesamts wuchs in Alice Schmatzberger der Wunsch, noch mehr von der Welt in Erfahrung zu bringen. Sie begann «vorerst als Hobby» ein Studium der Kunstgeschichte. «Weil mich die italienische Renaissance immer schon fasziniert hat.»
Ihr Interesse an China ist ihr in einer Lehrveranstaltung passiert: «Im Jahr 2006 habe ich dann in Salzburg eine Ausstellung über zeitgenössische Kunst aus China besucht, zwei Jahre später war ich zum ersten Mal in Shanghai. Ich wusste vom ersten Tag an: Das war sicher nicht mein letzter Besuch.»
Die Mischung aus High-Tech-Millionenkonglomerat und jahrtausendealter Kultur, aus Konfuzius und Kommunismus, was sie als Europäerin so nicht kannte, habe sie elektrisiert.
Auf die Frage, was sie denn an den Menschen in China schätzen gelernt hat, meint Alice Schmatzberger: «Ich durfte hinter den stets freundlichen Fassaden viele herzliche, gastfreundliche, unterstützende, unkomplizierte, offenherzige Menschen kennenlernen. Egal ob Hilfskoch oder Managerin, alle wollen sie in ihrem Leben etwas weiterbringen.» Und bei weitem nicht alle wären große Fans des aktuellen chinesischen Politkurses.

Bewältigt.

Seit 2014 hat Alice Schmatzberger mit ihrem ChinaCultureDesk unzählige Infoveranstaltungen in Wien organisiert, ihr ­China-Buch geschrieben und noch dazu ihrem Mann bei der Bewältigung seines Schlag­anfalls geholfen.
Auf allen Ebenen hat sich ihr jahrelanges Engagement bezahlt gemacht: «Mein Mann ist wieder deutlich selbstständiger geworden.» Gleichzeitig wächst auch in Wien das Interesse an einem facettenreicheren Bild von China. Das ist gut, denn Alice Schmatzberger möchte «noch viel mehr über meine Erfahrungen berichten».

Translate »