Aggressive Steuertricks von Privilegierten unterlaufen die gerechte Finanzierung des Sozialstaats. Dominik Bernhofer, Leiter der Abteilung Steuerrecht in der AK Wien, über österreichische und internationale Steuerlücken und wie diese geschlossen werden können. (Augustin Reportagestipendium 2023, Teil 2)
Herr Bernhofer, was antworten Sie als Steuerexperte auf die vom «Augustin» gestellte Frage: «Wo is das ganze Knedl hin?»
Dominik Bernhofer: Auf meinen Bereich bezogen, schätzen wir aufgrund wissenschaftlicher Studien für das letzte Jahr eine aggregierte Steuerlücke für Österreich zwischen 12 und 15 Milliarden Euro. Das sind immerhin 6,5 bis 8,5 Prozent aller Steuern und Abgaben.
Ein Batzen Geld, der zur Finanzierung des Sozialstaats fehlt. Wie kommt es zu solchen Steuerlücken, dass da so viel durchrutschen kann?
Eine Steuerlücke wird entweder in Form von illegalen Aktivitäten, wie Steuerhinterziehung, Abgabenverkürzung oder anderen finanzstrafrechtlichrelevanten Tatbeständen aufgemacht. Das ist die eine Möglichkeit. Eine andere sind Steuergestaltungen, die an sich legal, aber aus Gründen der Steuergerechtigkeit unerwünscht sind. Zum Beispiel aggressive Steuerplanungsmodelle von multinationalen Konzernen oder superreichen Individuen, die Möglichkeiten suchen, sich ihren steuerlichen Verpflichtungen zu entziehen oder diese zu minimieren.
Da fallen einem in Österreich schnell einige Beispiele ein. Der allgemeine Eindruck ist, dass viel zu lasch gegen diese Steueroptimierer vorgegangen wird.
Grundsätzlich ist ein gewisses Level an Steuerplanung okay. Das machen fast alle Steuerpflichtigen. Wir beraten auch Kunden bei Fragen zum Lohnsteuerausgleich. Man versucht natürlich nicht, seinen Steuerbeitrag zu maximieren. Das ist legitim, solange es nicht gewisse soziale akzeptierte Spielräume überschreitet und in den aggressiven Bereich hineingeht.
Wo ziehen Sie die Grenze?
Grundsätzlich ist es die Verantwortung der Politik, Maßnahmen gegen unerwünschte Modelle zu setzen. Da spielt auch das Herrschaftswissen von hochspezialisierten Berater:innen eine wichtige Rolle. Konzerne und Superreiche haben Zugang zu diesem Know-how. Bei denen geht es um Summen, wo sich teure Beratung rentiert. Je größer die Vermögen sind, desto wahrscheinlicher ist, dass aggressive Steuerplanungsmodelle funktionieren. Da muss die Politik handeln.
Macht sie das in Österreich ausreichend?
Es ist nicht so, dass in der Bekämpfung von Steuerbetrug und aggressiven Steuertricks nicht schon einiges erreicht wurde. Drei Stellschrauben gehören jedoch weitergedreht: Um die politische Diskussion zu stärken, braucht es erstens mehr Transparenz, insbesondere durch eine laufende amtliche Erhebung der Steuerlücke. Zweitens fordern wir mehr Personal für die Finanzverwaltung vor allem in den Einheiten zur Betrugsbekämpfung. Zum Vergleich: Die Steuerfahndung in München ist doppelt so groß wie jene in Österreich, und Bayern hat noch eine zweite Steuerfahndung. Bei uns stagniert die Personalausstattung der Finanzverwaltung seit Jahren. Drittens muss das vorhandene Wissen über alle möglichen Hebel im Finanzstrafrecht in einem Maßnahmenpaket gebündelt werden. In den letzten 20 Jahren war da aus dem Finanzministerium wenig Tatendrang zu spüren.
Wo steht Österreich im internationalen Vergleich?
Bis in die frühen 2000er-Jahre hat Österreich im internationalen Steuerwettbewerb, wo man mit begünstigenden Regelungen versucht, ausländisches Kapital anzulocken, Stichwort Bankgeheimnis, eine problematische Rolle gespielt. Da haben wir Fortschritte gemacht, sind aber noch weit davon entfernt, das wirklich abgestellt zu haben. Österreich ist kein Musterschüler, aber seit der Finanzkrise hat sich bei uns und international doch einiges getan.
Krise als Gerechtigkeitschance?
Nachdem die Regierungen in kapitalistischen Zentren massiv in Bankenrettungen und Rettungspakete für die Realwirtschaft investiert haben, stellte sich die Frage: Wer zahlt die Krise? Die einfachste Antwort für die Politik war, illegale Steuergestaltungsmöglichkeiten abzustellen, die null moralische Legitimation haben. Auf der Basis gab es G7- und G20-Beschlüsse und die OECD arbeitete Vorschläge aus, wie man Steuertricks der Konzerne auf globaler Ebene einschränken kann. Auch den öffentlichen Druck von Steuergerechtigkeits-Kampagnen sollten wir nicht unterschätzen. Die Einführung des automatischen Informationsaustauschs über Finanzkonten und die globale Mindeststeuer sind auch Erfolge der Zivilgesellschaft. Bis zu einem gewissen Grad ist die globale Mindeststeuer ein echter «Gamechanger», auch wenn wir sagen, 15 Prozent sind wenig. Aber 15 Prozent sind besser als null Prozent.
Was ist der spielverändernde Vorteil? Dass über 135 Länder mitmachen, die für 90 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung stehen und rund 8.000 Konzerne betroffen sind?
Diese Mindeststeuer durchbricht die bisherige Logik, es gäbe guten und schlechten Steuerwettbewerb. Wenn zum Beispiel die Tochter eines österreichischen Unternehmens in Jersey Gewinne macht, die dort mit null Prozent besteuert werden, wird Österreich vom Mutterkonzern die 15 Prozent Steuer nachverlangen. Das gilt auch für alle anderen Staaten. Außerdem ist damit das Thema jetzt da: Öffentlich zugängliche Verwaltungsprozesse und -register werden geschaffen, mehr Forschung betrieben. Da hat eine Bewegung in die richtige Richtung eingesetzt, die nicht mehr aufzuhalten ist.