Ohne Risiko schwarzfahrentun & lassen

Skandinavien ein sehr praktisches Modell für Gratis-Öffis

In Stockholm, Göteburg, Ostergotland und Helsinki übernahmen Fahrgäste die Initiative zur Attraktivierung des öffentlichen Verkehrs. Das Mittel dazu ist die selbstorganisierte Schwarzfahrer_innen-Versicherung korrekterer Ausdruck: Freifahrer_innen-Versicherung namens «P-Kassan». Der öffentliche Verkehr sollte wie die Gehsteige sein, von allen bezahlt, von allen kostenlos zu benutzen. «Niemandem würde es einfallen, für die Benutzung der Gehsteige Geld zu verlangen warum dann für den öffentlichen Verkehr?», heißt es in einem Statement der Nulltarif-Pendler_innen.Viele Menschen sind, trotz des Triumphs des Autohandels in ihren Städten auf Busse, Straßenbahnen, Pendler-Züge und U-Bahnen angewiesen, um sich in dieser Gesellschaft bewegen zu können. Sie haben nicht die Wahl, einfach fünf Kilometer zu Fuß zu gehen, wenn sie den Fahrpreis nicht bezahlen können oder wollen.

«P-Kassan» versteht sich als ein Zusammenschluss von Menschen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden. «Du bezahlst einen kleinen Betrag in die Kasse ein. Wenn du beim Freifahren erwischt wirst, wird aus dieser Kasse deine Rechnung bezahlt», erfahren die Neueinsteiger_innen. Die Idee einer solchen «Versicherung» ist nicht neu, vor allem StudentInnen in Uni-Städten auch in Wien, haben ähnliche Modelle einige Zeit erfolgreich durchgeführt, wenn auch in kleinerem Umfang. «Der Unterschied ist, dass unsere Ziele weiterreichen, als uns nur gegenseitig beim Freifahren zu unterstützen. Wir wollen einen freien, kostenlosen öffentlichen Verkehr, der unser aller Eigentum ist und der von den ArbeiterInnen in den Verkehrsbetrieben kontrolliert wird», betonen die Initiator_innen von «P-Kassan»

In Stockholm würden alle, die weniger als 40.000 Kronen (etwa 4500 Euro) im Monat verdienen, davon profitieren, wenn eine geringfügige Steuererhöhung für die, die mehr verdienen, dafür herangezogen würde, den öffentlichen Verkehr zu finanzieren. «Es ist höchste Zeit für diese Art der Umverteilung in unseren von sozialen Trennlinien und Grenzen durchzogenen Städten. Eine Menge Geld geht in die Kontroll-Systeme, die nichts erzeugen außer schlechter Stimmung im öffentlichen Raum» dieses Argument der skandinavischen Nicht-Zahler_innen kann man auch in Wien gut nachvollziehen. Die Kontroll-Systeme sind freilich nur ein kleiner Teil der gesellschaftlichen Kosten, die die Verfolgung der Nicht-Zahler_innen verursacht. Im Augustin ist wiederholt auf den Wahnsinn des Verwaltungsstrafen-Ersatzarrestes und auf die Folgen der Schwarzfahr-Schuldenberge hingewiesen worden.

Wie funktioniert das Modell konkret? Wer bereits Migtglied des «P-Kassan»-Modells ist, schickt alles, was sie oder er von den Kontrollorganen erhalten hat und zusätzlich einen Selbstbehalt von 100 Schwedische Kronen (ist etwa elf Euro) an die Adresse der «Versicherung». Die braucht dieses, um die Strafe der oder des Betroffenen bezahlen zu können. Weil die Stockholmer Verkehrsbetriebe extrem flink beim Verschicken von Zahlungserinnerungen sind, bekommen die Schwarzfahrer_innen in der Regel eine solche zugesandt. «Das ist kein Grund, sich Sorgen zu machen, wir können leider aus Zeitgründen keine Bestätigung verschicken, wenn deine Rechnung bezahlt ist, aber um sicher zu gehen, kannst du deinerseits bei der Tarifstelle der Stockholmer Verkehrsbetriebe anrufen», rät die Initiative.

Austricksen sollte man, wenn übehaupt, die staatliche oder kommunale Bürokratie, nicht aber die selbstorganisierte Freifahrt-Versicherung. Deshalb informieren die «P-Kassan»-Organisator_innen: «Bitte erspar dir und uns, Strafen zu schicken, die du in einer Zeit erhalten hast, als du noch kein Mitglied warst!» Die Ausrede «Ich werde später Mitglied» kann natürlich nicht akzeptiert werden.

Als gelernter Österreicher bin ich geneigt, die Wiener Linien im Grunde «eh nicht so schlimm» zu empfinden, den Preis für die Jahreskarte, die ich mir leisten muss, noch irgendwie okay zu finden. Was auch dem Umstand geschuldet ist, dass ich den öffentlichen Verkehr in Linz kenne der ist, mit Verlaub, ein totales Desaster und ein konsequenter Affront wider seine Kund_innen/Opfer. Als solchen Affront erlebe ich in Wien etwa «Intensivkontrollen» (Wortwahl des Kundendienstes der Wiener Linien) wie unlängst im U6/U3-Knotenpunkt Westbahnhof, eine Machtdemonstration polizeigestützter LeuchtjackenträgerInnen mit zweifelhafter Kompetenz und Ausbildung («Kundenkontakt»?). Was zum Teufel und Wiener Linien-Vorstand soll das? Wegen der paar Nedsch von ein paar erwischten Freifahrer_innen so ein Aufstand? Ah ja, da ist ja noch das: «Aufgrund der verstärkten Anwesenheit von Randgruppen in unseren Betriebsanlagen und Belästigungen durch Angehörige dieser Gruppen waren unsere Fahrgäste zunehmend verunsichert und haben daher mehr Kontrollen gefordert» (aus der Antwort des Kundendienstes der Wiener Linien auf meine Beschwerde). Ich als ausgewiesener Fahrgast der Wiener Linien habe keinerlei Kontrollen gefordert.

Doch weitergedacht und den skandinavischen Freifahr-Faden wieder aufgegriffen: Es ist wirklich höchste Zeit, den öffentlichen Verkehr als die absolut vorrangige verkehrstechnische Nutzung des öffentlichen Raumes zu begreifen, die kostenfrei zur Verfügung stehen muss. Die autofreie Stadt Wien! (Frau Vassilakou, was war da mit billigeren Öffi-Tickets? Den Mund wahlgerecht zu voll genommen?)

Infos zur weltweiten Bewegung für einen freien öffentlichen Verkehr: http://freepublictransports.com