Augustinverkäuferin Susi über Frauen der Straße und deren Extra-Probleme
Im cremefarbenen Pullover und dunklen Rock steht die 45-jährige Kärntnerin auf ihrem Stammplatz vor dem Supermarkt. Eine schwarze Tasche daneben auf dem Fußboden, rundum ein gepflegter Auftritt. Sie braucht nichts anzupreisen, denn ihre StammkundInnen kaufen regelmäßig bei ihr ein, bei Susi, der Augustinverkäuferin. Die an.schläge, eine der Wiener feministischen Zeitungen, nahmen den 10. Geburtstag des Augustin zum Anlass, um sich mit einer der Verkäuferinnen über Obdachlosigkeit, die Arbeit und das Leben zu unterhalten. Das Interview erschien in an.schläge 10/2005 unter dem Titel „sonst hat sie keine Chance““.Seit wann sind Sie denn schon Augustinverkäuferin?
Seit acht Jahren.
Und wie sind Sie eine geworden?
Ich war zuerst auf der Straße, bevor ich in die Gänsbachergasse (1) gekommen bin. Und dort habe ich wen gekannt, der auch Augustin verkauft hat. So bin ich dazugekommen.
Wie ist denn der Job für Sie?
Die Leut sind alle freundlich, kann ich gar nichts sagen. Und reden tun wir auch immer. Manche Leut fragen mich, wie’s mir so geht. Wie es noch Schillinge gegeben hat, ist es besser gegangen. Seit’s den Euro gibt, merkt man’s schon. Füher haben die Leut‘ mehr hergeben, aber ich hab genug Stammleute, die geben mir immer ein bisserl mehr.
Lesen Sie den Augustin eigentlich auch?
Ab und zu, wenn ich drinnen steh. Im Februar, als mein Freund gestorben ist, da war ein Artikel drinnen.
Woran ist er denn gestorben?
Gehirntumor. Gesoffen hat er ein paar Jahre nichts mehr.
Wie finden Sie eigentlich selber den Augustin?
Wohl, mir gefällt der Augustin recht gut. Aber lieber würde ich arbeiten gehen. Aber ich war auch schon ein paar Mal am Arbeitsamt, aber es gibt keine Arbeit. Früher hast eine Probezeit machen können. Heutzutage geben’s dir diese Chance nicht mehr.
Als was würden Sie denn gerne arbeiten?
Als Reinigungskraft, da brauch ich aber einen ganzen Tag, zwei drei Stunden helfen mir auch nichts. Weil jetzt bin ich alleine, seit mein Freund gestorben ist.
Unter Heimkindern und Klosterschwestern
Wie ist das denn, wenn Sie beim AMS sind?
Er (der Berater) schaut im Computer nach, so wie damals vor einem Monat – da hätte er zwei Arbeitsstellen gehabt. Bei der einen hätte ich einen Führerschein haben müssen. Und beim zweiten hätte ich ziemlich viel Praxis in einer Reinigung haben müssen. Wenn ich da hingeh und sie mich fragen, seit wann ich zuhause bin, sag ich: seit dem 97er-Jahr, das bringt ja auch nichts. Und deshalb bin ich jetzt in zwei Wochen bestellt. Weil sie sagen, es gibt so Projekte, wo ich ein Jahr hingehen kann. Das geht vom Arbeitsamt aus. Und vielleicht finde ich nachher was. Und deshalb möchte ich schauen, dass ich das für ein Jahr mache. (Anmerkung der Augustin-Redaktion: Mittlerweile hat Susi tatsächlich in einem so genannten Sozialökonomischen Betrieb einen Platz gefunden. Den Augustin verkauft sie weiterhin, allerdings nicht mehr so intensiv wie zum Zeitpunkt des Interviews).
Und haben Sie einen Beruf gelernt?
Nein, gar nichts, ich bin in einem Heim aufgewachsen. Ab zehn war ich in einem Heim, neuneinhalb Jahre. Zuerst in der Steiermark, nachher in Salzburg. Mir hat keiner beim Lernen geholfen. In der Steiermark war ich auch in der Schule, bei den Klosterschwestern. Die waren recht nett. Da waren wir mit Burschen gemischt, da war’s wirklich super. Aber nachher in Salzburg, da hat’s mir nicht so richtig gefallen.
Waren das schwierige Verhältnisse zuhause?
Mit meiner Mutter schon, mit meinem Vater nicht. Mit meinem Vater habe ich mich am besten verstanden. Aber nachher haben sie die Scheidung gehabt, als ich zwanzig war, aber ich hab noch immer einen ziemlich guten Kontakt.
Zu beiden Elternteilen?
Das ist schwierig, weil meine Mutter geschaut hat, dass ich in ein Heim komme. Zu meiner Mutter habe ich jetzt wieder, die letzten paar Jahre, einen guten Kontakt. Ich muss immer noch nachdenken. Meine Kindheit kommt zeitweise rauf.
Wie haben Sie Ihren Mann kennen gelernt?
Auch in Kärnten. Er war immer schon auf der Straße, weil er mit fünfzehn Jahren rausgeschmissen worden ist. Und nachher habe ich ihn kennen gelernt, da war ich 28. Vorher habe ich einen Freund gehabt, hat aber nicht hingehauen. Da hab ich eine Tochter bekommen. Sie ist aber bei ihrer Oma aufgewachsen. Sie hat mit 17 geheiratet, aber leider hat das auch nicht geklappt. War sie halt fünf Jahre verheiratet.
Und wie ist das jetzt, sehen Sie Ihre Tochter regelmäßig?
Ja, Kontakt haben wir, telefonieren tun wir regelmäßig und ich fahr nach Kärnten. Oma bin ich ja auch schon.
Da darf ich aber gratulieren.
(lächelt) Jetzt im November wird sie drei Jahre. Ja, herzig, die Kleine.
Erinnerung an die Nächte am Silbersee
Wie sind Sie auf die Straße gekommen?
Mein Freund war von Haus aus auf der Straße, der hat nie bei mir gelebt. Das hat mit der Arbeit nicht hing’haut – und gar nichts eigentlich. Ja, wie soll ich sagen, ich hab’s halt geschafft, alleine hätte ich’s vielleicht nicht geschafft, aber ich habe ja einen Freund gehabt, der ist immer zu mir gestanden. Ja, und ich auch zu ihm. Wir sind immer durch dick und dünn gegangen. Er hat auf mich aufgepasst und ich auf ihn. Hat gar nichts geben.
Wo haben Sie da übernachtet?
Wie ich auf der Straßen war, im Wald im Dehnepark, beim Silbersee oben (im 14. Wiener Gemeindebezirk), weil da ist es am ruhigsten.
Und wie muss ich mir das im Winter vorstellen? Hatten Sie da einen dicken Schlafsack?
Ja, aber wir haben auch ein paar Mal in einem Hotel oder so übernachtet, wenn wirklich der gröbste Winter war.
Und wie ist das so, wenn man auf der Straße lebt? Ist das nicht gefährlich?
Zu zweit geht’s, wenn man einen Freund hat. Aber alleine? Heutzutage tät ich’s ja gar nicht mehr derpacken auf der Straße. Weil es viel zu gefährlich ist, für eine Frau überhaupt. Meiner Ansicht nach ist es für Frauen schwerer, weil Männer können sich wehren. Eine Frau, die kann sich nicht so wehren.
Sind Sie mal überfallen worden?
Ja, ich bin mit fünfzehn Jahren vergewaltigt worden. Auf der Straße, da bin ich in Kärnten gewesen. Da bin ich heimgegangen und zwei Leute haben mich überfallen. Die wollten mich umbringen. Gott sei Dank habe ich’s überlebt.
War Alkohol jemals für Sie ein Thema?
Dass ich selber trunken hab? Nein, nie! Wie mein Freund gestorben ist im Februar, hab ich auch nicht zugegriffen, weil das eh nichts bringt. Ich hasse Alkohol. Wenn ich einen kennen lerne, da schau ich schon vorher, der darf keinen Alkohol trinken. Der muss wirklich so in der Art sein wie mein Freund. Trinken darf er nicht …
Sie sind also auf der Suche?
Ja, und ehrlich muss er sein, ein Auto muss er haben. (lacht) Dunkle Haar muss er haben, ein fescher Mann halt, fünf Jahr jünger vielleicht … (lacht)
Und wie sind Sie eigentlich zu Ihrer Wohnung kommen?
Vorher war ich in der Kastanienallee (2). Aber da hat’s mir nicht gefallen, weil da waren wir sechs, sieben in einem Zimmer. Nur Frauen, aber da haben sie gestohlen und so. Und nachher, hab ich mir gedacht, ruf ich mal in der Gänsbachergasse an und hab ihnen meine Lage geschildert. Und 14 Tage später hab ich das Zimmer gehabt. Die anderen warten wochenlang, aber ich bin gleich reingekommen. Und dort waren alle nett. Ich hab auch einen lieben Betreuer gehabt. Der hat viel für mich getan. Der Herr Neumayer, der heut alles über hat. Mit dem habe ich eigentlich über alles reden können, auch über meine Probleme und so, was ich mit einer Frau nicht so kann, wie mit einem Mann. Mit dem habe ich wirklich über alles reden können.
Auch über die Beziehung und so?
Ja, der hat sich’s angehört und Ratschläge gegeben. Und nachher, wie er hoch raufkommen ist, hat er vorher noch geschaut, dass er für mich eine Wohnung bekommen hat.
Was würden Sie anderen Frauen auf der Straße raten?
Ich denk mir immer, die Frau muss einen eigenen Willen haben, sonst hat sie keine Chance. Die muss selber draufkommen. Ich hab auch einen starken Willen gehabt, wenn ich heutzutage sage, ich nehme mir das vor, dann tu ich das auch. Wenn aber Alkohol mit dabei ist, wird’s schwer, aus der Situation rauszukommen. Und dazu würde ich noch raten: Wenn sie einen Freund hat, der Alkohol trinkt, soll sie ihn fallen lassen. Weil da kommt nichts Gescheites raus. Da gibt’s welche, die saufen lieber, als sich ein eigenes Zimmer zu zahlen. Oder eine Wohnung.
Und welche Pläne haben Sie jetzt die nächsten Jahre?
Heuer habe ich mich für einen Kuraufenthalt angemeldet, zum Abnehmen. Luft ablassen sozusagen, (lacht) und im Winter turnen gehen. Nächstes Jahr will ich reiten gehen. Sportlich sein. Und nachher arbeiten gehen, das will ich alles schon nächstes Jahr machen. Und wenn sich’s ausgeht – einen Freund suchen.
www.anschlaege.at
(1) Das „Haus Gänsbachergasse“ (3., Gänsbachergasse 7, Tel.: 798 15 65) bietet 270 Unterkunftsplätze für wohnungslose Frauen, Männer und Paare. Außerdem stehen 13 Betten für eine regelmäßige Nächtigung für Frauen und weitere drei für eine einmalige Nachtaufnahme von Frauen zur Verfügung.
(2) Die Kastanienallee 2 im 12. Wiener Gemeindebezirk (Tel.: 604 13 31) bietet zurzeit noch 84 Zimmer für wohnungslose Familien.