557 Gemeinschaftsräume gibt es in den Wiener Gemeindebauten
Wien hat eine lange Tradition der Gemeinschaftseinrichtungen – und der unentschlossenen Haltung dazu. Gregor Stadlober hat sich Geschichte und Gegenwart der kollektiv genutzten Räume in Wiener Wohnbauten genauer angesehen.
Foto: Zara Pfeifer
Gemeinschaftsräume sind ein Versprechen, das nicht immer eingelöst wird. Sie können Nachbarschaft stiften, weil sie Interaktion brauchen, aber auch das Wohnklima vergiften, wenn Nutzungskonflikte nicht gelöst werden. Wer sich die Arbeit antut, die unterschiedlichen Interessen daran auszugleichen, gewinnt aber nicht nur Wohnqualität, sondern durchläuft auch eine Art lokalpolitischer Demokratieschule.
In ambitionierten Wohnprojekten sind Gemeinschaftsräume mit höheren Erwartungen aufgeladen als in herkömmlichen Genossenschaftsbauten. «In der Planung haben wir den Raum idealisiert: als ein erweitertes Wohnzimmer, den zentralen sozialen Ort», erzählt Josh, Mitglied eines Hausprojekts mit 12 Wohnungen. «Aber in der Einzugsphase sind dann alle damit beschäftigt gewesen, dass sie in der eigenen Wohnung ankommen.» Statt zum integralen Bestandteil des Soziallebens habe sich der Gemeinschaftsraum eher zu einer Mehrzweckhalle entwickelt, die von den einzelnen für Yoga, Theaterproben, Partys etc. genützt wird. «Es hat eine Weile gedauert, bis wir uns eingestanden haben, dass der Raum – und damit die Hausgemeinschaft – nicht das ist, was wir uns vorgestellt haben.» Überspitzt gesagt, kommt die Hausgemeinschaft jetzt im Gemeinschaftsraum hauptsächlich deshalb zusammen, um zu besprechen, wie es damit weitergehen soll.
Aneignung.
«Wenn ein Raum leer ist, dann kann ein Mensch nicht viel damit anfangen», fasst eine Hausverwalterin ihre Erfahrungen zusammen, «gut funktionieren die, wo sich Mieter und Mieterinnen eingesetzt haben und die Räume ‹lieblich› eingerichtet haben.» Sie spricht damit ein Grundproblem von Gemeinschaftsräumen an. Um vielseitig verwendbar zu sein, sind sie oft nur unzureichend ausgestattet. Die Bewohner_innen haben in der Planung noch nichts mitzureden, und die Räume werden dort gebaut, wo Platz übrig ist. Also eher abgelegen als zentral und an das alltägliche Hausgeschehen angedockt. Sie funktionieren dann gut als Turn- und Spielräume, sind jedoch darüber hinaus nicht sehr einladend. Wenn sich aber einzelne oder Gruppen finden, die den Raum ‹lieblich› machen, dann bedeutet das eben auch, dass sie sich ihn bis zu einem gewissen Grad aneignen. Und wo jemand einen Kühlschrank und eine Eckbank stehen hat, wird es privat. Die anderen sind dann nicht mehr Mitbenützer_innen, sondern mehr oder weniger willkommene Besucher_innen.
Radikal ist das Problem in den Wohntürmen von Alt Erlaa gelöst worden: Nachdem anfangs die Freizeitgeräte in den Hobbyräumen serienweise kaputt gegangen waren, ging die Hausverwaltung dazu über, die Gemeinschafträume fix an Vereine zu vermieten. Deswegen geht es in Alt Erlaa heute zu wie in einer Kleinstadt, in der man vom Handarbeits- bis zum Tischtennisverein so ziemlich allem außer der Freiwilligen Feuerwehr begegnen kann.
Begrenzte Mittel.
Den idealen Gemeinschaftsraum beschreiben Studien als von den Bewohner_innen selbst verwalteten Ort, der viel ermöglicht, aber nichts erzwingt. In der Anfangsphase sollte die Hausverwaltung aktiv auf Nutzungs- und Gestaltungsmöglichkeiten aufmerksam machen, organisatorische Strukturen entwickeln helfen und ein Budget für die Ausstattung zur Verfügung stellen. Im Rahmen klarer Regeln ist dann der Zugang für eigene Aktivitäten offen, gleichzeitig bieten niederschwellige Angebote wie etwa Vorträge neuen Nutzer_innen die Möglichkeit, ungezwungen mit den aktiven Gruppen in Kontakt zu kommen. Und wenn es zu Nutzungskonflikten kommt, sollte professionelle Beratung zur Verfügung stehen.
Die dafür bereitgestellten Mittel sind allerdings meist sehr begrenzt – und schon gar nichts steht für die weitere Begleitung bereit, die müsste von den Bewohner_innen in einer Art Sozialbetriebskostensystem dann schon selbst bezahlt werden.
Unbetreut sind die Gemeinschaftsräume für Hausverwaltungen aber eher eine zusätzliche Belastung. Wenn es zu Konflikten oder Vandalismus kommt, wird deshalb gern die einfachste Lösung gewählt: zusperren.
Dabei würden sich gut funktionierende Gemeinschaftseinrichtungen für die Hausverwaltungen lohnen. Sie führen zu einer höheren Identifikation mit der Wohnanlage und fördern das Verantwortungsgefühl. Die Folgen sind weniger Vandalismus, eine geringere Fluktuation und insgesamt ein Imagegewinn für die Hausverwaltung.
Wild und genossenschaftlich.
Wien hat eine lange Tradition der Gemeinschaftseinrichtungen – und der unentschlossenen Haltung dazu. Um 1920 begann, anfangs wild, später genossenschaftlich organisiert, eine Siedler_innenbewegung in Eigenregie Wohnraum zu schaffen. «Sie hatte ein komplettes Programm, das ‹von unten herauf› gedacht war. Männer und Frauen waren gleichgestellt, die Kinder versorgt. Das war sehr emanzipativ», erklärte der Architekturforscher Otto Kapfinger kürzlich im Falter. Die anfängliche Unterstützung durch die Stadt sei allerdings bald wieder geschwunden. Die Sozialdemokrat_innen fürchteten eine Verbürgerlichung der Arbeiter_innen, wenn die ihr eigenes Heim samt Nutzgarten hätten. Stattdessen setzte die Gemeinde ab Mitte der 20er-Jahre exklusiv auf mehrgeschossige Bauten. Mit der Architektur der Volkswohnpaläste wurde allerdings – bei all ihren sonstigen Verdiensten – erst recht die Verkleinbürgerung der Arbeiter_innenschaft befördert: Kleine Wohneinheiten für die Kernfamilie und nichts, das die angestammten Geschlechterrollen aufweichen hätte können. Es wurden keine Wohngemeinschaften oder andere kollektive Wohnformen ausprobiert und die Partizipationsmöglichkeiten erschöpften sich in der Behübschung der eigenen vier Wände. In seinem Buch über das Rote Wien vermutet Helmut Weihsmann «eine psychotische Angst vor zu viel ‹Freiheit› innerhalb der ansonsten autoritär-hierarchischen Parteiorganisation» als Ursache für diesen Konservativismus.
In der Zeit des Faschismus wurde das, was an Gemeinschaftseinrichtungen da war, zerstört oder umfunktioniert, und nach dem 2. Weltkrieg ist viel unambitioniertes Einerlei mit Geschäften statt Versammlungssälen und individuellen Badezimmern statt gemeinschaftlichen Brausebädern gebaut worden. Erst mit dem gesellschaftlichen Umbruch ab Ende der 60er-Jahre sind Partizipationsideen und Gemeinschaftseinrichtungen wieder in die Diskussion und langsam auch wieder in den Wohnbau zurückgekehrt.
In den Gemeindebauten gibt es heute 557 Gemeinschaftsräume. Wie viele es in Wien insgesamt sind, ist unbekannt. Seitdem 2009 «soziale Nachhaltigkeit» als Kriterium in Bauträgerwettbewerben definiert wurde, dürften alle neuen Genossenschaftsbauten einen haben. «Immer mehr Leute wünschen sich gemeinschaftliche Wohnformen», konstatiert der Architekt Ernst Gruber, «da mag ein wenig Wunschdenken dabei sein, aber einige Indikatoren weisen in diese Richtung.» Bei seiner Tätigkeit als Begleiter von gemeinschaftlichen Wohnformen sieht Gruber jedenfalls eine steigende Nachfrage. Dort, wo Gemeinschaftseinrichtungen gut umgesetzt sind, gebe es eine hohe Wohnzufriedenheit, und grundsätzlich wachse mit dem Trend zum Nutzen statt Besitzen auch die Bereitschaft zur kollektiven Aneignung von Ressourcen. Konkrete Zahlen zu den Wünschen der Bevölkerung sind allerdings spärlich. Eine Erhebung, die Ernst Gruber und seine Kollegin Freya Brandl 2014 von Gallup im Rahmen einer Studie haben machen lassen, ergab, dass 39 Prozent der Befragten bereit wären, in ein gemeinschaftliches Wohnprojekt zu ziehen.
Bei den politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen registriert Gruber zwar eine steigende Sensibilität für die Sinnhaftigkeit von Gemeinschaftsräumen, aber oft gelte: «Sind die Herstellungskosten hoch, so bleibt für Gemeinschaftsräume weniger übrig.» Und der Kostendruck, unter dem die gemeinnützigen Wohnbauträger stehen, sei tatsächlich enorm – während im frei finanzierten Bereich die Qualitätsstandards niedriger und die Erträge höher wären. Gleichzeitig wird seitens der Bauwirtschaft behauptet, die Gemeinnützigen würden zu teuer bauen und Gemeinschaftsräume wären im weniger stark geförderten Bereich besser aufgehoben. Ein Vertreter der Wirtschaftskammer hat es auf den Punkt gebracht: «Schwimmbäder am Dach, das ist was für den frei finanzierten Wohnbau, aber nicht für den sozialen.» Wenn es also nach der Privatwirtschaft geht, können diejenigen, die keinen Familienbonus bekommen, bald wieder in verschimmelten Wohnungen mit Plastikfenstern hausen.
Es heißt also wachsam sein, sonst droht verloren zu gehen, was der Wohnbauentwickler Robert Korab in einer Würdigung des «Erfinders» der Dachschwimmbäder gesagt hat: «Harry Glück macht sozialen Wohnbau und trotzdem muss man sich darin nicht wie ein Hilfsbedürftiger vorkommen, sondern kann sich vom Selbstwertgefühl her jenseits der Klassenzugehörigkeit bewegen. Das hat eine emanzipatorische Kraft. Seine Anlagen sind darin wie die des Roten Wien: hier ist der soziale Wohnbau ein Ort des Aufstiegs und nicht des Abstiegs.»