Augustin wirft Augen auf die Justiz
Der Angeklagte ist jung, sympathisch, fesch, kräftig und schwarz. Drei Polizisten bringen ihn in den Gerichtssaal, nehmen ihm die Handschellen ab und verteilen sich im Raum. Gäbe es einen Theatervorhang, so würde er jetzt aufgehen und man wäre von der Klischeehaftigkeit der Inszenierung erschlagen.So einen väterlich grantelnden „Herrn Rat“, so eine viktorianisch strenge Englisch-Dolmetscherin, so einen knabenhaft jungen Staatsanwaltsanwärter, flankiert von einer fast mädchenhaft jung wirkenden Privatvertreterin, kann man beim Casting doch nicht auswählen. Und dazu noch einen Verteidiger, der seinem Alter nach wieder der Vater des Staatsanwaltslehrlings sein könnte! Im Verlauf der Gerichtsverhandlung verblasst aber die Suggestivkraft der vom Zufall gewählten Requisiten. Die Klägerin ist nicht im Raum. Gesonderte Vernehmung nach § 250 StPO. Das deutet schon auf eine besondere Tragik. Der Angeklagte hat sie schwer misshandelt. Sie will ihn nicht mehr sehen. Was wird ihm vorgeworfen? Nun, zuerst einmal sein Sündenregister, wie das der Prozessordnung entspricht. Gut die Hälfte der sechs Jahre, die er in diesem Land lebt, hat er im Gefängnis verbracht. Immer unschuldig, wie er heftig versichert. Das Mobiliar einer Wachstube soll er kurz und klein geschlagen haben. Ja, -weil man ihm gegen seinen Willen eine Spritze verpasst habe. „Ja, ja, derzählen Sie mir nix“, grantelt der Richter. Er kann ja im Akt lesen, dass es nicht so war, nicht wahr? Der Afrikaner hingegen klagt, er sei seit der Zwangsbehandlung im Jahr 2000 nicht mehr er selbst. Der Richter, der nicht über vergangene Verfahren zu entscheiden hat, gibt dem Vorwurf kein Gehör. Er will zur Sache kommen, und die besteht in der Anklage auf Körperverletzung und gefährliche Drohung.
Groschenromanhaft entwickelt sich die „Story“:
Attraktiver junger Schwarzer lernt ebenso attraktive junge Wienerin kennen. Große Leidenschaft auf beiden Seiten. Schon nach einigen Tagen der Bekanntschaft nimmt sie ihn in die Lebens- und Wohngemeinschaft auf und beide sind glücklich wie in einer Kitschromanze. Aber sie entwickelt sich rasch zu einem Fassbinder-Drama. Es kommt zu Eifersuchtshandlungen, erst nur zu verbalen Auseinandersetzungen, dann verprügelt Othello die von ihm so heftig Geliebte. Am Gipfel der Unerträglichkeit läuft sie ihm davon, hält ihre neue Wohnadresse geheim und versucht so, sich vor ihm zu schützen.
Gefährliche Drohung oder Nötigung?
Er sieht nicht ein, dass eine Frau, die man liebt, nichts mehr von einem wissen will. Es gelingt ihm, die neue Adresse ausfindig zu machen. Spät abends lauert er ihr im Stiegenhaus auf, zwingt sie, mit ihm ihre Wohnung zu betreten, wozu er die Türe aufbricht. Er entreißt ihr das Handy, schlägt, würgt und bedroht sie. Schließlich bedroht er sie mit seinem eigenen Selbstmord, um die Fortsetzung der Lebensgemeinschaft zu erzwingen. So jedenfalls entspricht es sinngemäß ihrer Aussage. Zeugen gibt es für den nächtlichen Privatkrieg naturgemäß nicht. Aber es gibt sichtbare Körperverletzungen und viele Hinweise, die dafür sprechen, dass die Frau die Wahrheit sagt. Nicht zuletzt hat er schon einmal eine Beziehung unter ganz ähnlichen Umständen in ganz ähnlicher Weise beendet. Auch mit Verletzungen und Nötigung. Auch mit eingeschlagener Tür und Drohungen.
Es wäre „crazy“, einer Frau, die man liebt, etwas Böses anzutun, widerspricht der Schwarze dem Richter. Die Dolmetscherin kürzt ab und übersetzt: „Es ist Wahnsinn, wenn man eine Frau liebt.“ So oder so. Der Richter will nicht belehrt werden. Er belehrt seinerseits den jungen Noch-nicht-Staatsanwalt. Die „gefährliche Drohung“ der Anklageschrift treffe nicht zu, es handle sich den Protokollen gemäß um eine Nötigung. „Dann muss ich die Anklageschrift ändern.“ -„Dürfen S’denn das?““ „“Ich glaub schon.““ „“Na Sie müssen das wissen, mein Gschäft ist das nicht.““ Wieder klingt es väterlich, und die Vaterrolle erreicht ihren Gipfel, als man den Angeklagten in Handschellen hinaus und die Klägerin hereinführt. Da wächst der Herr Rat über den Tisch in den Raum der Misshandelten zu. Wie sie denn jemanden nach so kurzer Zeit schon bei sich habe wohnen lassen können? Und ob sie hoffentlich etwas aus dem Unglück gelernt habe? Ja,- es wäre ihr erster und ihr letzter Afrikaner gewesen. Ob sie jetzt im Saal bleiben wolle, während der Angeklagte weiter vernommen wird? Nein, sie wolle ihn nie wieder sehen.
Herr K. wird hereingeführt, die Handschellen werden ihm abgenommen. Mit den Aussagen seiner Exgefährtin konfrontiert, bestreitet er alles. Sie sei eifersüchtig gewesen, nicht er, und sei es noch immer. Er sage die Wahrheit und das werde sich erweisen.
Was wird die Haftstrafe bewirken?
Der Richter hat den Angeklagten während der Verhandlung immer wieder schroff und missmutig zurechtgewiesen, seinem Unmut über immer gleiche Ausreden der Schwarzafrikaner unverhohlen Ausdruck verliehen. Als der Angeklagte behauptet hat, die Adresse seines Bruders, bei dem er ständig wohne, nicht zu wissen, nicht einmal die Straße, hat er sogar die Fassung verloren, und ihn angebrüllt. Jetzt fällt er ein mildes Urteil. Fünf Monate Haft. Mit den drei Monaten noch offener bedingter Freiheitsstrafe bedeutet das wieder fast dreiviertel Jahre hinter Gittern. Er sehe nicht ein, warum er sein Leben im Gefängnis vergeuden müsse -wegen einer Frau. Dann klirren wieder die Armbänder und die drei Bewaffneten mit den steinernen Mienen führen ihn fort.
Dem Gesetz ist Genüge getan. Was wird die Haftstrafe bewirken? Wenn K. nach 8 Monaten Gefängnis frei kommt, hat er wieder keine Wohnung, nur einen überbelegten Schlafplatz bei Landsleuten, den er aus Angst vor rassistischen Übergriffen geheim zu halten versuchen muss. Er hat nicht nur wieder keine Arbeit, sondern dazu noch eine hohe Geldforderung aus der gleichzeitig eingebrachten Privatklage auf dem Hals. Bewährungshilfe wird ihm nicht mehr angeboten werden, weil er schon drei Bewährungshelfern die Kooperation verweigert hat. (Wie viele schwarzafrikanische Mitarbeiter sind eigentlich bei Neustart tätig?) Bald wird ihm die nächste junge Frau über den Weg laufen. Sie wird den mittellosen, vom Leben Misshandelten, Unverstandenen in ihm sehen, dem sie endlich ein Paradies bieten kann. Er wird dieses Paradies dankbar annehmen und sich bald wieder fürchten, es zu verlieren, wieder eifersüchtig werden auf imaginäre oder mögliche Konkurrenten. Und diese Furcht verwandelt sich allzu leicht in Brutalität. Vielleicht, -hoffentlich -trifft diese Prognose nicht zu. Dann ist das aber ganz bestimmt kein Verdienst der Gefängnisstrafe.