Otto Alphatier trifft Otto AlphatierArtistin

Terese Schulmeisters Filmkunstwerk über die beiden Väter ihres Lebens

Noch ein Film über die Muehlkommune, und zugleich ein Film über ihr Gegenteil, die heilige bürgerliche Kleinfamilie. Ein Film über eine real existierende Terese, die zwischen zwei real existierenden Ottos stand. Terese Schulmeister, Malerin, Filmemacherin, noch immer im Friedrichshof daheim, erzählt ihr Leben. Robert Sommer über ihren neuen Film «Ungehorsam».

Foto: Mehmet Emir

Beide Ottos waren Tyrannen, beide leben nicht mehr, beide hatten das Bewusstsein, Alphatier zu sein, beide hatten Kompetenzen und Eigenschaften, die sie zu faszinierenden Persönlichkeiten machten. Beide gehörten der Kategorie der gebildeten Väter an, der eine mehr, der andere weniger. Beide leiteten da­raus die Verpflichtung ab, pädagogisch auf die Seinen einzuwirken. Beide verstießen gegen das Gesetz der ehelichen Treue, der eine offen und aus Prinzip, der andere geheim und aus Prinzip, nämlich aus dem des Patriarchats, in dem Männer, die nicht fremd gehen, als halbmännlich bemitleidet werden.

Die beiden Ottos, der Herr Chefredakteur Schulmeister und der Herr Analytiker Muehl, trafen einander in der Kommune Friedrichshof. Herr Muehl hatte gerade geheiratet, für die übrigen Kommunemitglieder eine rätselhafte Geste, zählte doch die freie Sexualität zum absoluten Grundkonsens. Otto Schulmeister, der die erste Nachricht von der Flucht seiner Tochter in die Kommune mit Panik aufgenommen hatte, weil die Verbreitung einer solchen peinlichen Nachricht die Reputation eines hochintellektuellen und hochanständigen Patriarchen irreversibel zerstören würde, darf sich mittlerweile auch offiziell mit ­Muehl sehen lassen. Denn paradoxerweise, so sehr die Kommune sich als Modell einer angewandten Negation des Staates (Österreich) präsentiert, so emsig fliegen Spitzenpolitikermotten in das Licht des becircenden nordburgenländischen Lämpchens. Männer von Rang geben sich am Friedrichshof die Klinke in die Hand, der rosarote Landeskaiser Kery ist einer der ersten Spitzenpolitiker_innen, die Muehl zur Realisierung eines urkommunistischen Traums gratulieren (während die «Eisenstädter Erklärung» seinen burgenländischen Jungsozialisten mit der Drohung des Parteiausschlusses verbietet, ihrerseits von urkommunistischen Sehnsüchten eingenommen zu werden und sich mit den Jungkommunist_innen zusammenzutun, um das Warten auf das Paradies auf Erden abzukürzen).

Für den Otto aus der Bourgeoisie ist die überraschende Nachricht über die Heirat des Otto aus der Boheme ein gefundenes Fressen. Das ist wohl das Ende der Revolution, ätzt der Zampagno der «Presse». Muehl fühlt sich so was von nicht «ertappt». Er ruht in sich. Aus dem Primus inter pares der Anfangszeiten der Kommune ist ein Monarch geworden. Gegen diese Charakterisierung hat der Monarch nichts einzuwenden, spricht er doch selber Monarchensprache, wenn er ankündigt, dass wohl niemand als sein Sohn «Thronfolger» werden könne.

 

«FrauenForderung» brauchen wir nicht, sagte Muehl

Terese, die Tochter des Presse-Chefredakteurs, ist nicht happy, als sie von Gurus Heirat erfährt. Denn diese Ehe war aus der Perspektive der Gründungszeit alles andere als politisch korrekt; sie ließ einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel befürchten. Gegenseitiger Besitz in der Ehe und freie Sexualität sind nicht kompatibel, schon aus der Mathematik innewohnenden Gründen. «Als Liebesheirat getarnt, ging es bei dieser Ehe eher um ein Machtbündnis, aus dem die anderen Frauen ausgeschlossen werden sollten, meint Terese im Rückblick. Kritik daran sei als persönliche Eifersucht disqualifiziert worden; dass sie als ehemalige Lieblingsfrau Otto Muehls tatsächlich sehr damit infiziert war, konnte nicht ausbleiben. «Wir Frauen versuchten, unsere Eifersucht nicht zu zeigen. Das heißt nicht, dass sie kein Thema war in der Kommune. Aber nur als Killerargument gegen andere», erinnert sich die Filmemacherin

Im stark autobiografisch geprägten Film «Ungehorsam» – Sarah Born spielt die Terese, Rainer Doppler spielt Otto Muehl (optisch extrem nahe am Original) und Thomas Kamper spielt den «Presse»-Chefredakteur – initiiert Terese eine friedrichshofinterne Frauenpowergruppe. So geschah es auch im Realen. Die Frauen geben das Frauenblatt FF («FrauenForderung») heraus, aber der Guru findet, dass es neben der «offiziellen» Kommunezeitung kein weiteres Medium geben sollte. Auch die Gegengründung MM (Männer Mut) erweist sich deshalb als Eintagsfliege, aber MM war ohnehin eher als Spielerei gedacht, während FF, hätte sie sich bewähren können, eines Tages den Machtanspruch des immer autoritärer werdenden Führers in Frage gestellt hätte. «Muehl witterte kommende Ereignisse wie ein Tier», lacht Terese. Er witterte, dass sich hinter FF etwas zusammenbrauen könnte, was für ihn nicht angenehm sein würde.

Doch lange Zeit schien der Guru frei von Opposition zu sein. Das Überlegenheitsgefühl der Kommunard_innen, das sich aus dem Faktum speiste, dass das Modell Friedrichshof das konsequenteste, radikalste, größte unter all den europäischen Experimenten des Ausstiegs aus der «Wichtelwelt» war, übertünchte das Leiden an der Klassengesellschaft innerhalb der Kommune. Die sexuellen Übergriffe gegen die Mädchen der Kommune, so Terese Schulmeister im Augustin-Gespräch, versuchte Muehl einerseits als radikale künstlerische Haltung zu legitimieren; andrerseits berief er sich auf sein anthropologisches Pseudowissen. Er imitiere sozusagen die sexualisierten Rituale indigener Stämme. Kritiker_innen dieser Praxis galten schnell als kleinkarierte Wichtel ohne Humor.

Muehls Kokainsucht wurde gegenüber den Friedrichshofbewohner_innnen verheimlicht, erfährt man im Film. Erstens wäre es zu teuer gewesen, hunderte Mitglieder zu versorgen, zweitens musste man doch auch vorsichtig sein, denn immer waren Besucher_innen von außen im Hof, meint die Filmemacherin. Eine Persönlichkeitsänderung durch den Kokainkonsum, und zwar nicht zum Besseren hin, sei evident gewesen.

Die Verhaftung ­Muehls und das Verfahren gegen ihn im Jahre 1988 erwiesen sich für die Kommune als Supergau. Von den 600 Kommunemitgliedern war niemand willens oder in der Lage, das Experiment weiter zu dirigieren. Herbert Stumpfl, Muehl-Epigone der ersten Stunde, schreibt in seinen unveröffentlichten Reflexionen über die Gruppendynamik, die im Friedrichshof herrschte: «Der engste Kreis um Muehl versuchte zu retten, was noch zu retten war. Rechtsanwälte zur Führung des Prozesses wurden gesucht – und die Mädchen, die vielleicht als Zeuginnen im herannahenden Prozess aussagen würden, wurden durch Geldgeschenke günstig gestimmt, und was noch verwirrender war: Die Ex-Kommunarden, die Anzeige erstattet hatten, waren eingeladen worden, den Friedrichshof zu besuchen – und wir Kommunarden mussten deren Belehrungen über uns ergehen lassen. Die breite Masse der Kommunarden zeigte sich nämlich trotz der zunehmenden Zahl von Ausziehenden noch relativ loyal. Doch auch diese Einstellung wurde wenig später zur Zeit der konstituierenden Versammlung zur Auflösung des Gemeinschaftseigentums sowie der Transformation der Kommune in eine Genossenschaft von Kritik hinweggefegt, die sich wie ein Steppenbrand ausbreitete. Das Kommuneleben überstand diese Kritik nicht.»

 

Das Doppelleben des Monsignore

Wenn es das Wort ambivalent nicht gäbe, müsste man es zur Beschreibung der Gruppenprozesse und des Personals am Friedrichshof extra erfinden. Die Selbstermächtigung des Kommunehäuptlings war eine katastrophale Missachtung der Regeln der Sexrevolution, die doch großen Respekt vor der Individualität des Anderen voraussetzt. Dass Muehl sie nicht respektierte, habe sich auch im Ausschluss der Homosexualität aus dem Liebesleben gezeigt – krasser könnten Anspruch und Wirklichkeit nicht auseinanderklaffen, meint Terese Schulmeister. Was für eine sexuelle Revolution, in der die Homosexualität keinen Platz hat!

Wenn heute ehemalige Kommunemitglieder, die in alle Welt verstreut sind, zusammenkommen, stelle sich ein Gefühl der Vertrautheit ein, meint Terese Schulmeister: «Otto hat viel zerstört, aber er hat eine Art Stamm hinterlassen.» Sie sei auch fasziniert vom Grad der Vernetzung der ehemaligen Kommunekinder. Mehr als 100 Kinder haben am Höhepunkt in der Kommune gelebt. Haben sie eine schlechtere Kindheit verbracht als die kleine Terese in der Welt des führenden Schreiberlings, in der die Aristoteles-Geschichten in die Kinderzimmer schwappten und in der die Sexualität Tabu war? Im Film gibt es keine Wertungen. Die Filmhandlung mäandriert zwischen der Welt der kleinen behüteten Teresa, die den Vater vergöttert, obwohl sie sieht, wie er die Mutter zur Haussklavin degradiert, und der Welt der erwachsenen Teresa, die zu lange braucht, um sich vom zweiten Vater zu emanzipieren.

Am Ende des Films weiß man nicht, welchem der beiden Väter sie zu verdanken hat, dass sie ist, wie ist. In dieser Offenheit drückt sich die Souveränität der Schöpferin aus. Und ihr Mut äußert sich in einer provokant erscheinenden Ergänzung des Personals, von der bisher nicht die Rede war. Ein Strang zeigt das Doppelleben des «Monsignore», eines Freundes der Familie Schulmeister. Sein Name wird nicht genannt, aber jeder, dem die Galerie nächst St. Stephan ein Begriff ist, weiß, von welchem Geistlichen die Rede ist. Ich denke, der großbürgerlich-katholische Strang der Erzählung enthält ebenso wenig Fiktionalität wie der subkulturelle Strang. Eine Ungleichheit in dieser Beziehung würde die dokumentarischen Momente des Films in beiden Strängen entwerten; die Irritation der Zuseher_innen wäre perfekt. Die Fraueng’schicht des Monsignore ist demnach nicht minder real als die gesammelten Frauen- und Mädcheng’schichten des garantiert umstrittensten Künstlers Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg. Terese Schulmeister erfindet nichts dazu. Die größte Ungenauigkeit des Films ist der dionysische Sommerbadespaß der Kommunard_innen. «In Wirklichkeit ging es da nicht so gesittet zu wie in meinem Film», grinst die Künstlerin.

 

Informationen über die nächsten Filmvorstellungen: www.tereseschulmeister.at

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