Out of the darkArtistin

«Nachtschicht»: dokumentarisches Theater als antielitäres Unterfangen

Wenn der Großteil der Wiener Bevölkerung friedlich schläft, erwacht ein anderer, nicht unbeträchtlicher Teil und macht sich auf den Weg zur Arbeit. Regisseurin Jessica Glause hat Wienerinnen und Wiener gefunden, die etwas über ihre Nachtarbeit auf der Bühne im Volx/Margareten (ehemals Hundsturm) erzählen. Veronika Krenn besuchte eine Probe.

Foto: Volkstheater

«Handy weg», ruft Regisseurin Jessica Glause auf die Bühne, wo aus der düster gehaltenen Szenerie unverkennbar das Licht eines ebensolchen herausblinkt. «Da steht mein Text drauf», kommt es zurück. «Ok», lacht Jessica. Kleine tragbare Teleprompter scheinen ausnahmsweise noch erlaubt, eine Woche vor der Premiere. Die Bühne wirkt, als wäre man mit dem Aufbau nicht zurande gekommen: Kabelsalat, Lampen, Scheinwerfer, Metallgestelle, Elektronikschrott, ein paar schwarze Raumteiler. Das könnte eine Spielwiese für Designkünstler, Nerds oder Bastler sein (Bühne: Jil Bertermann). Sphärische Sounds schwingen durch den Raum, abgemischt sind diese mit knappen Wörtern oder Phrasen, wie «Stellenanzeige» oder «verlässlicher Babysitter» und so (Musik: Joe Masi). Jessica will kurz den Ablauf der Probe besprechen und kommt nicht ganz über die Soundkulisse. «Könnt ihr das so machen, dass ihr das hört und wir nicht?», fragt sie nach oben zur Tribüne, Richtung Soundpult, wo noch schnell der Ton eingerichtet wird.

Jessica erklärt den Nachtarbeits-Expert_innen, was alles gestrafft, vereinfacht und anders organisiert werden muss im Ablauf und auf der Bühne. Die einzelnen Elemente wie Musik, Video, Bühne und das, was erzählt wird, sollen besser ineinandergreifen. So würde ich jedenfalls das Gehörte – als hier im Probenbetrieb gestrandete Outsiderin – verkürzend zusammenfassen. Niemand soll zur falschen Zeit quer über die Bühne trampeln müssen. «Ihr seid in der Nacht. Ihr sprecht, was in der Nacht passiert», sagt sie. Ok, jetzt beginnt die erste Szene: Eso-Sounds, dann Beamer. Die Darsteller_innen bewegen die schwarzen Raumteiler, die sich bestrahlt als Projektionsflächen entlarven, zu verabredeten Stellen auf der Bühne. Schwarz-weiße, schön pixelige Bilder von undefinierbaren Gegenständen werden in den Raum projiziert, alles ist in Bewegung (Video Pablo Leiva). Sieht cool aus, aber was ist das? Mona Schwitzer, die Dramaturgin der Produktion, klärt mich auf: Die Bilder werden live von den Nachtarbeiter_innen auf der Bühne gefilmt. Ich verstehe, daher die Utensilien.

Jetzt beginnt Farag, einer der in der Nacht Tätigen – ein Wachmann – zu reden, und ich verstehe kein Wort. Bevor ich an meinen geistigen Fähigkeiten zu zweifeln beginne, setzt er nach: «Wenn Sie Arabisch sprechen würden, hätten Sie verstanden, was ich gesagt habe: Ich mag es, nachts zu arbeiten, weil ich da meine Ruhe habe.» Ingrid, Regis, Claudia, Günter und Peter setzen nach, sie erzählen von ihrer Arbeit in der Nacht. Manches klingt gefährlich und rätselhaft, wie das, was Claudia kryptisch von sich gibt: «Dieses In-der-Dunkelheit-Sein und Von-der-Größe-her-auch-immer-in-Gefahr-Sein, dass man von irgendetwas anderem gefressen wird, das ist kein leichtes Leben.»

Das Theater und die «normale Welt»

Jessica Glause kommt nicht vom klassischen Regiestudium, wo man nur mit reinen Theatertexten arbeitet. Sie benutzt die Bühne gerne als Forum, erzählt sie im Gespräch. Sie hat den Studiengang «Theater als soziale Praxis» absolviert, wo mit Aktionen im Stadtraum gearbeitet wurde. An Stimmen, die in der gewöhnlichen Tagesgesellschaft meist nicht gehört werden, ist sie interessiert. Solche Nachtarbeiter_innen – wie in dieser «theatralen Feldforschung» in Wien – genießen ihre Arbeit zwar, aber vieles sonst leidet unter dem Jetlag – die Familie, Freundschaften, Beziehungen. «Realität lässt sich zwar auch mit so einer Arbeit nicht abbilden», sagt Jessica, «das geht mit einem Doku-Film besser. Am Theater bleibt es immer ein Kunstraum, mit fiktionalen Elementen. Aber im Theaterraum treffen die Zuschauer mit den Protagonistinnen zusammen.» Am sogenannten «dokumentarischen Theater» interessiert Jessica, dass es den elitären Charakter von Theater aufbricht und es sozusagen für das «Volk» öffnet. In diesem Sinne wäre es politisch, weil es aus der Heterogenität der Gesellschaft schöpft.

Am Beginn einer Arbeit wie dieser stehe, mit vielen Leuten zu reden und eine interessante Zusammensetzung zu finden. Es seien «sieben Tonspuren auf einer Welle» geworden. Bei der Auswahl der «Experten» fragt sich Jessica: Wie erzählen sie etwas? Wie reflektieren sie, was sie tun? Dann stelle sie Extrakte der Themen zusammen. «Nachtschicht» beginnt im Dunkeln der Nacht – mit Stimmen – und endet in der Clubwelt. Dazwischen finden sich schöne Passagen wie diese: «Licht ist meistens positiv besetzt. Das ist hell, ist gut und freundlich und lebendig. Vital, die Sonne und so. In Wirklichkeit aber fehlt da eine ganze Hälfte. Das ist so, wie wenn Sie sagen, ich schau mir nur Männer oder nur Frauen an, da fehlt die halbe Menschheit.»

Die Chance von dokumentarischem Theater mag vielleicht sein, dass ein ganz anderes Publikum erreicht wird als die üblichen Theaterleute, meint Jessica. Wenn auch die Arbeitskollegen und Freundinnen der Alltagsexperten kommen, die vielleicht sonst weniger ins Theater gehen. Ja, die Abschottung zur «normalen Welt» ein wenig aufzubrechen, ist ein guter Ansatz.

Info:

Das Volkstheater bespielt wieder ein zweites Haus – das Volx/Margareten (ehemals: Hundsturm). An der Kreuzung Margaretengürtel/Margaretenstraße, vier Minuten von der U4, entstand ein Theaterzentrum für rund 170 Zuschauer_innen.

Das Stück «Nachtschicht» ist noch Samstag, 17. 10., und Sonntag, 18. 10., jeweils um 20 Uhr zu sehen.