«Outsider in a Box»Artistin

Für die Künstlerin Dwora Fried ist «Heimat» eine Provokation

Über die Collagen der gebürtigen Wienerin Dwora Fried, deren aufklärerisch-klaustrophobe Miniaturen noch bis 17. Dezember in der Wiener Galerie Benedict zu sehen sind.

Die Galerie Benedict in der Wiener Sonnenfelsgasse widmet sich afrikanischer Gegenwartskunst. Manchmal macht Galerist Benedict Onyemenam mit seiner «Herz von Afrika GmbH» eine Ausnahme und präsentiert dann in Wien lebende russische Künstler_innen. Thematisch findet er dabei immer Kongruenzen zur afrikanischen Kunst, auch im Fall Dwora Frieds, einer in Los Angeles lebenden Österreicherin. Wenn Benedict Onyemenam, dessen ursprünglicher Vorname Emeka ist und der fünf Jahre als «Biafrakind» in einem Flüchtlingslager verbrachte, Dwora Frieds Collagen interpretiert, wird klar, warum diese Arbeiten in Wien von einem Nigerianer präsentiert werden – und nicht von etablierten österreichischen Galerist_innen oder Museumskurator_innen. Denn Benedict Onyemenam verfügt aufgrund seiner Biographie über die nötige intuitive Wahrnehmung, um der einzigartigen Ausdrucksform Dwora Frieds in Wien den gebührenden Raum zu geben.

 

Dwora Fried wurde als Tochter von jüdischen Holocaustüberlebenden 1951 in Wien geboren. Aufgewachsen ist sie im zweiten Bezirk, in einem Haus, das ihr Großvater 1932 erworben hatte. Die polnischen Großeltern hatten das Haus nie bewohnt. Erst nach dem Krieg, als Dworas Mutter und Tante sich durch einen Zufall an den Familienbesitz erinnerten und das Haus als rechtmäßige Eigentümerinnen für sich reklamieren konnten, entschlossen sich Dworas Eltern, aus Israel zurückzukehren. Der Vater, ein Wiener Rechtsanwalt, hatte den Krieg in Palästina überstanden. Dwora, die sich in Wien nie wirklich heimisch gefühlt hatte, studierte nach der Matura in Israel, heiratete einen israelischen Bauingenieur, wurde Mutter zweier Kinder. Bei einem Besuch in Los Angeles verliebte sie sich in eine ägyptische Muslima, mit der sie nun seit über dreißig Jahren in einer Lebenspartnerschaft verbunden ist. Die Bindung an Wien beschränkte sich fortan auf Besuche bei Mutter und Schwester.

Normware von IKEA


Dwora Frieds vielfältige bildnerische Arbeiten zentrierten sich ab den 1990er-Jahren auf eine außergewöhnliche Collagetechnik. Die Boxen, in denen sie mittels altenr Fotografien und Spielzeug aus den 40er und 50er-Jahren Lebensgeschichten verdichtet, haben ein Format von 31 x 21 Zentimetern und sind nur 8 Zentimeter tief – Normwaren von IKEA mit Glasdeckel und Schubleiste. Die symbolischen Objekte und Farben in den Boxen spiegeln Dwora Frieds Leben als Jüdin, Österreicherin und Lesbierin. Die Symbolik der in den Boxen gefassten – man könnte auch sagen: gefrorenen – Bilder und Figuren verweist die Betrachtenden aber auch auf beklemmende Weise auf eigene Lebenszusammenhänge. Und das erzeugt vielfach Abwehrhaltungen.

 

Die dreißig jetzt in der Sonnenfelsgasse gruppierten Arbeiten entstanden in den letzten vier Jahren, den letzten Lebensjahren von Dwora Frieds Mutter, die in diesem Sommer verstarb. Die Box Shoes versammelt Püppchenschuhe vor einem Schwarzweißfoto von Dworas Mutter und einer Freundin, auf dem die beiden jungen Frauen kurz nach ihrer Befreiung aus dem Konzentrationslager mädchenhaft posieren. Den Hintergrund bildet ein anderes Familienfoto: ein braunfärbiger Herbstwald, Dworas Kinder zwischen den Bäumen werden von einem Heiligenamulett mit rotem Glasstein abgedeckt. Darüber spannen sich Klammern aus Heftordnern, die aus dem Anwaltsbüro von Dworas Vater stammen. Venice collagiert Kindheitseindrücke von einem Familienurlaub, Überrabbiner verarbeitet Eindrücke von der Wiener Jüdischen Gemeinde. Fern Wärme Wien stellt das Logo des städtischen Heizbetriebes neben ein Foto, dass Dworas Vater als Arbeiter in einer Fachschule in Tel Aviv zeigt. Manner hat unter all den verstörenden Miniaturen dann noch einmal eine überdimensionale Tiefenschärfe: Der unbekannte Wehrmachtssoldat, von Stecknadeln gefasst und mit einem Hakenkreuzorden auf der Brust, den Dwora Fried tatsächlich in einer Schreibtischlade ihres Vaters gefunden hat, richtet seinen jungenhaft-naiven Blick auf das jüdische Symbol. Der Mönch daneben hat die Augen geschlossen und lädt mit Bibel und offenem rechtem Arm in die Katakomben des Glaubens; ein Straßenbahnwagen mit rosa Mannerwerbung hält all das in der Waage. Hier wird österreichische Vergangenheit und Gegenwart auf eine Weise dargestellt, dass man Angst bekommt, der Soldat könnte sich aus seiner Stecknadelhaft losreißen und das dünne Glas durchbrechen.

Vom Gefühl, verdächtig zu sein


Das Wort Heimat ist für Dwora Fried, die sich noch nie irgendwo zu Hause gefühlt hat, eine Provokation, und mit Heimat haben die Boxen auch nichts im Sinn. Es ist ihre österreichische Vergangenheit, die fast jede ihrer Arbeiten durchzieht. Und ihre jüdische Identität, die durch ihre Beziehung mit einer Muslima noch stärker geworden sei.

Bei ihren derzeit häufigeren Wienbesuchen sieht sie sich wieder verstärkt mit österreichischer Gegenwart konfrontiert. Das Gefühl, nicht hierherzugehören und verdächtig zu sein, ist dabei so präsent wie in ihrer Kindheit und Jugend. In Wien kennen die Leute die Wahrheit über die NS-Zeit, aber sie verleugnen sie. Im Taxi dauere es oft keine zehn Minuten, schon ist man mit unterschwelligen, häufig auch offenen Ressentiments konfrontiert. Ihr gepflegtes Wienerisch wiege dabei manchen Gesprächspartner in Sicherheit. Wenn sie dann einschlägigen Äußerungen widerspricht, wird ihr Verstellung und Täuschung unterstellt. Nichts, so Dwora Fried, hat sich in Wien verändert: der Hass der Taxler, die abwehrenden Blicke gegenüber Fremden in der U-Bahn, der rosarote Faschismus. Auch wenn man blaue Augen hat und Weihnachten feiert, man fühlt sich machtlos. Künstlerin ist sie in Israel geworden, weil sie dort verstanden hätte, dass die Kunst für sie die einzige Möglichkeit ist, ihre Rache- und Ohnmachtsgefühle auszudrücken.

Ein Roman aus 30 Schachteln


Es gibt nichts, was man Dwora Frieds Äußerungen entgegen halten möchte. Höchstens, dass ihre Arbeiten, da sie auch gesamtgesellschaftliche Zwangsnormen ausstellen, einen universalen Charakter haben. Bei den meisten ihrer Boxen muss man daher auch den Reflex unterdrücken, den Glasdeckel wegzuschieben und das darin gefangene Personal in die Freiheit zu scheuchen. Bei Manner möchte man allerdings lieber noch eine Scheibe Panzerglas vorsetzen.

 

Man sollte allen, Vergangenheitsleugnern und Vergangenheitsbewältigern, dringend empfehlen, sich der Kunst Dwora Frieds auszusetzen. Sie ist im eigentlichsten Sinn aufklärerisch, weil sie jeden Betrachter, jede Betrachterin als Gefangene in ihrer/seiner je eigenen Welt spiegelt. Die dreißig Boxen in der Sonnenfelsgasse erzählen jede für sich eine Geschichte – in ihrer gesamten Abfolge einen Roman, den jeder Besucher sich selbst schreiben muss. Dass sie in dieser Reihenfolge gerade in der Sonnenfelsgasse 13 einen Ausstellungsort finden konnten, hat eine zusätzliche Dimension. Auch der große Aufklärer Josef Sonnenfels hatte eine jüdische Identität und stellte sich als Publizist und Sprachgelehrter gegen den «gemeinen österreichischen Jargon», womit er primär die Etablierung des Gottschedschen Hochdeutschs intendierte. Die Sonnenfelsgasse haben die Nazis 1938 in Johann-Sebastian-Bach-Gasse umbenannt, seit 1945 heißt sie wieder Sonnenfelsgasse.

 

Benedict Onyemenam hat seine Kindheit im Flüchtlingslager verdrängt. Seit er sich mit Dwora Frieds Boxen beschäftigt, kommen auch die Erinnerungen an seine Kindheit zurück. Benedict, der wie bereits eingangs erwähnt eigentlich Emeka heißt, hat erst vor kurzem erfahren, dass es auch in Österreich nationalsozialistische Todeslager gab. Bei einem Besuch in Mauthausen hat er sich beim Blick in Richtung Enns über die Bauernhöfe gewundert, die sich in unmittelbarer Nähe zu den Mauern des Konzentrationslagers befinden. Dwora hat Benedict einen Stein mitgegeben, und Emeka hat ihn zum Andenken an Dworas Onkel, der in Mauthausen ermordet wurde, dort abgelegt.

Dwora Fried

Outsider in a Box

Galerie Benedict

Sonnenfelsgasse 13

1010 Wien

Mo.-Do., 11-19 Uhr, Sa., 11-13 Uhr

bis 17. Dezember

www.galerie-benedict.com

www.dworafried.com

 

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