Nacherzählt & wahrgenommen: die Geschichte Schwarzer Österreicher_innen seit 1946
«Aber woher bist du wirklich?», werden sie gefragt. Und schief angeschaut, wenn sie «Donaustadt» als Antwort geben. Rund 400 Kinder von afroamerikanischen Soldaten und Weißen Österreicherinnen kamen in der Nachkriegszeit auf die Welt. Sie sind Teil der ersten Generation nach dem Faschismus. Ein Forschungs- und Ausstellungsprojekt widmet sich ihrer Geschichte. Lisa Bolyos durfte ein paar Blicke in das gesammelte Material werfen.
Foto: Sammlung «Lost in Administration»
«Heute sagen alle, sie haben’s nicht so gemeint. Aber wie haben sie’s dann gemeint?» Christine Mjka, Hausbesorgerin, Gewerkschafterin, Sozialdemokratin, Bezirksrätin, hat ihre Portion Rassismuserfahrungen abgekriegt – im Gemeindebau genauso wie in der Politik. Mjka war das Kind einer Weißen Österreicherin und eines afroamerikanischen Besatzungssoldaten in Wien. Eines von vierhundert in ganz Österreich, schätzen die Historiker Philipp Rohrbach und Niko Wahl; fünfundzwanzig davon haben sie zum Gespräch getroffen, sie haben Archive in Österreich und den USA durchforstet und damit begonnen, eine kaum erzählte Geschichte zusammenzufügen, die sie jetzt im Volkskundemuseum präsentieren. Das hätt ich nicht gedacht, dass sich dafür noch wer interessiert, kommentierte Mjka dieses Vorhaben. Immerhin sind die «Kinder», von denen hier die Rede ist, heute durchschnittlich siebzig Jahre alt.
Eine Geschichte, viele Tabus
Schwarze Soldaten, die aus einem teils segregierten Amerika in ein Weißes Europa kommen, junge Frauen, die, wie auch immer, den Krieg überstanden haben – als Österreich von den alliierten Truppen befreit wurde, kam es, wenig überraschend und allen militärpolitischen und gesellschaftlichen Reglementierungen zum Trotz, zu Beziehungen zwischen Österreicherinnen und «Besatzungssoldaten». Aus manchen Beziehungen wurden Kinder. Aus manchen wurden Familien. Manche Kinder wurden zur Adoption freigegeben. Wir sprechen von den Jahren nach 1946, für Alleinerzieherinnen galt, dass sie die Obsorge ihres Kindes ans Jugendamt abgeben mussten. Amerikanische Soldaten unterlagen vorerst dem «Fraternisierungsverbot» (das aber, mit Rohrbachs Worten, «eigentlich von Anfang an ein Rohrkrepierer» war und letztlich aufgehoben wurde); wie gerne Schwarz-Weiße Beziehungen im ländlichen und im urbanen Österreich des frischgebackenen Postnazismus’ gesehen waren, will man sich nicht ausmalen müssen, und noch weniger, was die Nachkriegsmoral zum unehelichen Kind sagte. Zu allem Überdruss war der Papa ein Besatzer – «Befreier» hat sich bis heute nicht durchgesetzt. Wir haben es hier also sozusagen mit multitabuisierter Geschichte zu tun.
Kleine Kinder mit großen Akten
Beginnen wir am Beginn: Philipp Rohrbach und Niko Wahl lernten in New York ein Frau namens Trudy Jeremias kennen. Die, selbst aus Österreich geflohen, hatte in den 1950er Jahren beim Bodenpersonal am New Yorker Flughafen gearbeitet und dabei erlebt, wie Gruppen unbegleiteter Kinder ankamen, die österreichisches Deutsch sprachen und von Adoptiveltern übernommen wurden. Was waren das für Kinder? Rohrbach und Wahl machten sich auf, ihre Biografien nachzuvollziehen. Von einem Mädchen, das in eine österreichische Sinti-Familie adoptiert wurde; von einem anderen, das in den USA aufwuchs und als Erwachsene nach Österreich zurückzog; von einem Buben, der später für den LASK spielen würde, und von einem, der den Sport aufgab, weil ihm die Kommentare zu rassistisch wurden. Ganz normale Nachkriegskinder.
«Lost in Administration» nennen Wahl und Rohrbach ihr Forschungs- und Dokumentationsprojekt, denn die Spuren der Kinder blitzen auf der Verwaltungsebene kurz auf, um sich dann scheinbar zu verlieren. Die Kinder wurden zu Akten, weil sie nicht in das Bild des durchschnittsösterreichischen Gschropps passten, ihr Anderssein wurde erst konstruiert und dann zum Problem erklärt. Ihre Geschichte wurde in einem Land, das gerade seinen eigenen Opferstatus erkämpfen wollte, nicht mitgeschrieben. Vielleicht tauchte später mal einer wie Heli Köglberger auf den Fußballseiten auf oder machte wie Peter Nausner Karriere beim Staatsfunk und ließ sich schwer ignorieren, aber das waren individuelle Biografien, die in keine größere Erzählung eingebettet wurden.
Um die große und die vielen kleinen Erzählungen geht es in der Ausstellung «SchwarzÖsterreich. Die Kinder afroamerikanischer Besatzungssoldaten». In Interviewausschnitten, Dokumenten des persönlichen Lebens und der Administration zeichnet das Ausstellungsteam nach, was uns bisher niemand erzählt hat: Dass es eine Schwarze Generation von Österreicher_innen gibt, die hier aufgewachsen und alt geworden ist; im Wiener Gemeindebau, im oberösterreichischen Dorf, bei den alleinerziehenden Weißen Müttern oder im Kinderheim, manche wurden innerhalb von Österreich adoptiert, manche von Schwarzen Familien in den USA, manche durchliefen die Durchschnittskarriere eines Arbeiterkindes, manche den gesellschaftlichen Aufstieg zum Universitätsprofessor, jedenfalls wurden sie im Trubel der Suche nach einer passenden Identität groß und waren letztlich immer relativ allein für die eigene Emanzipation verantwortlich.
«Da ist eine Connection …»
«Ich merke, da ist so eine Connection», heißt eines der Kapitel, die ein thematisches Ordnungsprinzip in die Ausstellung bringen. Gemeint ist damit die «Connection» zu anderen Schwarzen Personen, Persönlichkeiten oder Bewegungen, die man sich außerhalb der Weißen österreichischen Familien, den Weißen Schulklassen und den Weißen Arbeitskontexten suchen muss. Aber da ist auch «so eine Connection» zwischen den Geschichten der Zeitzeug_innen, der Kinder Schwarzer GIs, und jenen einer ganz anderen Generation: der heute Zwanzig- bis Dreißigjährigen, die auch einen Weißen und einen Schwarzen Elternteil haben. Vanessa Spanbauer, angehende Historikerin und Journalistin, hat am Rahmenprogramm der Ausstellung mitgewirkt. Sie hat in der Ausstellung auch eine Sprechrolle: Junge Schwarze Österreicher_innen haben Textpassagen von Zeitzeug_innen nachgesprochen, die anonym bleiben wollten. «Die Sache mit der Identität und dem Selbstbild ist immer noch gleich», sagt sie, «Da ist zum Beispiel so ein Zitat, das mir beim Anhören der Interviews im Kopf geblieben ist: ‹Ich wollte immer glatte Haare haben.› Wenn du in einer Weißen Familie aufwächst, fehlen dir die Schwarzen Bezugspersonen. Die musst du dir heute wie damals selber suchen.» Ach, die Haare! Heute gibt es zumindest T-Shirts zu kaufen mit dem Aufdruck «Don’t touch my hair», um Glatthaarige davon abzuhalten, sich befugt zu fühlen, fremden Leuten auf den Kopf zu grapschen. In den 1950er Jahren brauchte man andere Strategien – wie zum Beispiel Robert, ein Kind der Leopoldstadt, sie entwickelt hat: Einmal-in-die-Haare-Greifen war, erzählt er im Interview, mit einem Schilling oder wahlweise einer Bensdorpschokolade zu bezahlen.
Natürlich ist ihr bewusst, dass die Rahmenbedingungen sich geändert haben, sagt Spanbauer: dass heute Alleinerzieherinnen die Obsorge für ihre Kinder behalten; dass es in Städten wie Wien zwar nicht umwerfend viele, aber doch immerhin Role Models für Schwarze Jugendliche gibt. Und dass Schwarzsein im öffentlichen Raum mit Diskriminierungen konfrontiert wird – aber dennoch ein Faktum geworden ist. Außerdem gab es damals kein Internet, fügt sie hinzu, und damit keine Information darüber, «dass man nicht die einzige ist». Bedeutsam ist für sie nicht nur der Erfahrungsabgleich, sondern auch, ältere Bezugspersonen zu gewinnen: «Wie sehe ich aus, wenn ich älter werde? Solche Fragen stelle ich mir auch. Wenn alle alten Menschen um mich herum Weiß sind, gibt es darauf keine Antwort.» Die Ausstellung soll nicht zuletzt ein Forum sein, in dem die verschiedenen Generationen sich austauschen können – und miteinander darüber nachdenken, was sich getan hat und was noch zu tun sein wird.
Denkt man nun mit einem großen Gefühl des Fremdschämens daran zurück, wie der Tiroler Landeshauptmann Platter im Jahr 2012 den ÖFB-Kicker Alaba auf Englisch begrüßte, weiß man nicht nur, dass es noch ein paar Kämpfe um Verständigung braucht, bis wir von Normalisierung sprechen können; sondern auch, dass das Projekt von Wahl und Rohrbach mehr als notwendig ist. Seien wir also spendabel und sagen, Platter hat einfach nicht gewusst, dass es eine Schwarze österreichische Geschichte gibt; na, dann hat er jetzt Gelegenheit, sie zu lernen.
Im Augustin Nr. 413 sprechen wir in der Rubrik Fußball (S. 20-21) mit dem ehemaligen Fußballspieler und -trainer Helmut Köglberger. Im Augustin Nr. 414 porträtieren wir Vanessa Spanbauer, angehende Historikerin und Redakteurin des Magazins «fresh. Black Austrian Lifestyle».
Info:
SchwarzÖsterreich. Die Kinder afroamerikanischer Besatzungssoldaten
bis 21. 8.
Ausstellung & Rahmenprogramm: www.volkskundemuseum.at
Zeitzeug_innen gesucht!
Das Forschungsprojekt «Lost in Administration» sucht weiterhin Männer und Frauen, die zwischen 1946 und 1956 als Kinder von österreicherinnen und afroamerikanischen GIs geboren wurden und ihre Lebensgeschichte erzählen möchten. Information:
office@lostinadministration.at
Tel.. 0 699 112 390 65
Bildcredit:
Verena am Feuerkogel, Oberösterreich, 1957