Paradigmenwechsel vor Gerichtvorstadt

Ein Buch über die Rechte der Natur

Nehmen wir an, ein Gletscher soll als Skigebiet erschlossen werden. So weit nichts Außergewöhnliches, außer dieser Gletscher hätte den Status einer Rechtsperson und jemand würde in seinem Namen gegen die Erschließung klagen. Was in unseren Breiten noch reichlich absurd klingen mag, wird in ein paar Ländern bereits ausjudiziert, nämlich das Recht von ökologischen Systemen, wie Gewässern, Wäldern oder Bergen, auf die Wahrung ihrer Interessen.
Wer jetzt nur noch Seilbahn versteht, möge zum Buch Rechte für Flüsse, Berge und Wälder. Eine neue Perspektive für den Naturschutz? greifen. Auf kompakten rund einhundert Seiten bricht der aus Deutschland stammende und international forschende Philosoph Matthias Kramm mit sieben weiteren Autor:innen diese angedachten Paradigmenwechsel herunter: Es wird die 50-jährige historische Entwicklung dieser Idee nachgezeichnet, über mögliche Fallstricke nachgedacht, und es werden Gerichtsbeispiele gebracht.
Dem im Buch skizzierten Paradigmenwechsel, einer neuen Kombination von westlichem Rechtsverständnis und indigener Natur- und Rechtsphilosophie, ist erfreulicherweise ohne juristische und/oder philosophische Vorbildung zu folgen. Mehr noch: Diese Lektüre ist extrem hilfreich dabei, einen Schalter im Hirn umzulegen und sich – ohne Esoterikgefahr – mit dem Gedanken zu spielen, wie es wäre, wenn eben ein Gletscher Rechte wie etwa eine Aktiengesellschaft (AG) hätte, denn eine AG hat sehr wohl den Status einer Rechtsperson. Warum soll dann nicht auch ein ökologisches System vor Gericht von Menschen bzw. Kommissionen vertreten werden? Großartiges Büchlein!

Matthias Kramm (Hrsg.):
Rechte für Flüsse, Berge und Wälder
Oekom 2023
112 Seiten, 20,60 ­(E-Book: 15,99) Euro