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Autos im öffentlichen Raum – normal oder Skandal? Von Stellplatzverordnungen, Erdgeschoßzonen und dem Wagnis, den Menschen ohne Auto zu denken.
Text: Lisa Bolyos
Illustration: Much
Ruhender Verkehr – was nach sonntäglicher Stille und frischer Luft klingt, bezeichnet auf Verkehrsplanerisch im Gegenteil zum fließenden Verkehr schlicht Kraftfahrzeuge, die zum Parken abgestellt sind.
899.709 Kfz waren in Wien – Bevölkerung: rund 1,92 Mio. – Ende letzten Jahres zugelassen, davon 718.819 Personenkraftwagen, der Rest Traktoren, Wohnmobile, Motorräder und Co. Für ganz Österreich sind die Zahlen noch beeindruckender: 7.093.387 Kfz (Jänner 2021), davon 5.089.239 Pkw. Zieht man von den etwa 8,9 Mio. Menschen in Österreich jene rund 1,5 Mio. ab, die zu jung für den Führerschein sind, dann hat durchschnittlich jede Person über 18 ein motorisiertes Fahrzeug. Was das fürs Klima bedeutet, erklärt sich von selbst. Aber weil Verkehrsexpert_innen berechnen, dass ein privater PKW durchschnittlich 40 Minuten pro Tag «fließt» und die restlichen 23 Stunden und 20 Minuten «ruht», drängt sich unweigerlich die Frage auf: Wo parken die alle?
Zu ebener Erde.
Zwölf Quadratmeter öffentlichen Raum verparkt der durchschnittliche Pkw. Würden alle zugelassenen Autos draußen abgestellt werden, so bräuchten sie 25 Prozent der gesamten Wiener Verkehrsflächen (zum Vergleich: Fahrradwegen kommt 1 Prozent zu). «Das ist ein immenser Platzverbrauch», sagt Barbara Laa, «und das Problem ist, dass es für viele Menschen ganz normal ist.» Laa arbeitet an der Technischen Universität Wien im Forschungsbereich für Verkehrsplanung und -technik. Dass Autos so gerne am Fahrbahnrand abgestellt werden, habe vor allem zwei Gründe: Bequemlichkeit und Geld.
4 Schilling kostete die Stunde in der Kurzparkzone, als am 14. April 1975 die Gebührenpflicht eingeführt wurde. Heute zahlt man fürs blaue Zetterl 2 Euro und 20 Cent. Das Parkpickerl, Kernstück der Wiener Parkraumbewirtschaftung, kostet je nach Bezirk 90 bis 120 Euro im Jahr. «Das ist sehr günstig, wenn man bedenkt, was man sonst für den Quadratmeter in der Stadt bezahlt», kommentiert Laa. «Die Parkraumbewirtschaftung zeigt einen nachhaltigen Lenkungseffekt auf die Verkehrsmittelwahl und das Verkehrsverhalten», wirbt die Stadt Wien für ihr eigenes Projekt. Stimmt so nicht, meint Barbara Laa. «Das Konzept war, mit dem Parkpickerl Parkflächen freizubekommen und sie umzuwidmen. Stattdessen haben Autobesitzer_innen von der Garage zurück auf die Straße gewechselt, weil das viel günstiger ist und man tagsüber jetzt sehr leicht einen Parkplatz findet.» Ob die Stadt Wien aus diesem Scheitern lernt, wird die angekündigte Neuauflage der Parkraumbewirtschaftung unter der Ägide der neuen Verkehrsstadträtin Sima zeigen. Wo aber sollen die hunderttausenden Autos hin? «In die Garagen, die es bereits gibt», sagt Barbara Laa.
Im Untergeschoß.
In den 1980er-Jahren geisterte die Idee durch die Stadt, den Verkehr am Gürtel unter der Erde verschwinden zu lassen. Der Gürtel als proletarische Flaniermeile – das hat einiges für sich. Lassen wir dahingestellt, woran dieses Verkehrsgroßprojekt und seine vielen kleinen Nachfolger scheiterte, und widmen uns der rhetorischen Sinnfrage: Wird ein Problem gelöst, weil es «unter Tage» verschwindet?
Die Stellplatzverordnung ist Teil der Wiener Bauordnung. Sie bestimmt, dass, wer Häuser neu- oder Dachgeschoße ausbaut, auch Parkflächen zur Verfügung stellen muss: seit der Novellierung der Bauordnung einen Stellplatz pro bewohnbarer 100 Quadratmeter. Wobei auch das «Müssen» noch hinausnovelliert werden könnte, wie internationale Beispiele zeigen. In Basel etwa wird nicht die minimale, sondern die maximale Stellplatzzahl geregelt: «Für jede Wohnung kann ein Parkplatz erstellt werden.»
Die Stellplatzpflicht schlägt mit rund 15.000 Euro pro Tiefgaragenplatz oder 150 Euro pro Wohnquadratmeter zu Buche. Und auch sonst bringen Tiefgaragen Nachteile mit sich: Ihre Einfahrten unterbrechen lebendige Erdgeschoßzonen, werden sie nicht mehr gebraucht, sind alternative Nutzungen schwierig, und sie machen das Autofahren attraktiver. «Aus verkehrssystemischer Sicht ist es sinnvoll, Autos in Sammelgaragen zu parken, die nicht direkt am Wohnort sind», sagt Barbara Laa. «Wenn man Chancengleichheit zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln herstellen oder sogar den umweltfreundlichen den Vorzug geben will, darf der Weg zum Auto nicht kürzer sein als der zur nächsten Haltestelle.»
Ohne Parkplatz kein Auto.
Das Angebot bestimmt die Nachfrage: Wo nicht geparkt werden kann, wird nur im Notfall mit dem Auto hingefahren. Solange Autofahren aber aufgrund der einladenden Parksituation im Stadt- bzw. direkt unterm Wohnraum bequemer ist als die Nutzung des öffentlichen Verkehrs, beruht der Verzicht aufs Auto auf reiner Freiwilligkeit. Die aber ist kein politisches Steuerungsinstrument.
«Parkplätze sind ein enormer Hebel», meint Laa. Die einfachste Lösung wäre eine Reduktion: «Wer lange Parkplatz suchen muss, ärgert sich, und wenn das auch negativ ist, so kann es doch langfristig dazu führen, dass man sich entscheidet, nicht mehr Auto zu fahren – im Gesamtsystem betrachtet also ein positiver Effekt.»