Pause von der LeistungArtistin

Abseits der Verwertungslogik: die vielen Bedeutungen des Brachliegens (Foto: © Lisbeth Kovačič)

Die Brachiale, ein Festival zur Ehrung der Brache, widmet sich Ende Mai Ackerböden, Stadt und Lebensräumen. Zehn Künstler:innen und Kunst-Gruppen stellen am Zukunftshof in Wien ihre Werke aus und vor, die sich mit (un-)verwertbaren (Zwischen-)Räumen beschäftigen.

Landwirtschaftliche Brache, Industriebrache, Wohnbrache … es gibt mehrere Leerstellen in Welt und Gesellschaft, die, wenn wir’s recht betrachten, natürlich nicht leer sind, sondern meist ziemlich zugewachsen. Sie sind bloß momentan ungebraucht, gerade nicht besetzt, von Menschen nicht durchorganisiert. «Gstett’n» halt, wie es vor nicht allzu langer Zeit etwa noch das Gebiet um den ehemaligen Nordbahnhof im zweiten Wiener Gemeindebezirk eine war, in der leere Schneckenhäuser herumlagen, unzählige Pflanzen wild wuchsen, alte Geleise verrosteten und Hasen umherhoppelten.
Der Begriff Brache kommt aus der Landwirtschaft, in der – im traditionellen Verfahren – das Feld nicht jedes Jahr bestellt wird, sondern zwischendurch brachliegt, damit sich der Boden erholen kann. Für Kulturlandschaften spielt die Brache auch eine Rolle, um die Vielfalt von Brutvogelarten und Blühpflanzen zu erhalten. «Ein Stück Land oder ein Ort, der nicht verwertet wird, zumindest im Moment nicht. Ein Ort, der gerade keiner kapitalistischen Verwertungslogik unterworfen ist», so definiert Lisbeth Kovačič die Brache, die die Essenz des Festivals ausmacht. Die Filmemacherin hat die Brachiale gemeinsam mit Augustin-Redakteurin Lisa Bolyos ins Leben gerufen. Sie findet Ende Mai in Favoriten statt. Die Brache als Realität und als Sinnbild lässt sich auch auf ­andere Bereiche ausdehnen, sagt Kovačič: «Es muss nicht unbedingt um Boden gehen, wo Pflanzen wachsen, es können auch ­Gebäude sein oder Worte, oder künstlerische Formen.»

Von Keramik bis Klang

Künstlerische Formen sind es demnach auch, die sich auf der Brachiale ausbreiten werden. Fünf Tage lang werden die ausgewählten Künstler:innen am Zukunftshof arbeiten, bevor das Publikum dann ins Festival einsteigt. Die Resonanz auf die Ausschreibung war überwältigend: Rund 150 Projekte wurden laut Kovačič eingereicht, ausgewählt ­wurde mit Hilfe eines Beirats. ­Wichtig war die mediale und inhaltliche ­Vielfalt. Es gibt Beiträge von Skulptur über Performance bis hin zu Sound. Dabei kommt sowohl die Natur der Brache als Mate­rial ins Spiel als auch ­konzeptuelle Überlegungen zu Leistung, Nichtstun, Gentrifizierung, Stadt und sozialen Zusammenhängen.
Die Keramikkünstlerin Ting-Hua Shen etwa arbeitet mit getrocknetem Gras und herabgefallenen Blättern. Durch den Prozess des Brennens, der für das Herstellen von Keramikobjekten zentral ist, wird das eigentlich vergängliche, sich zersetzende organische Material in Zeit und Raum verewigt. Mit Audio-Aufnahmen direkt vom Zukunftshof arbeitet wiederum die Musikerin ­Roxanne ­Szankovich. Hier wird organisches Material zum Un­sichtbaren, zu Klang, lenkt das Augenmerk auf die Geräusche, die uns umgeben. Zusammen mit ihrer E-Violine, gesprochenem Text und der Klang-Collage untersucht die Künstlerin die «schöpferische Tätigkeit gegen den Leistungsgedanken».

Zukunft erlebbar

Dass die Brachiale am Zukunftshof stattfindet, ist kein Zufall. Es ist ein Ort, an dem nicht alles durchdefiniert ist, meint Lisbeth Kovačič. 1920 wurde der Gutshof in Rothneusiedl als landwirtschaftlicher Betrieb gegründet. Später wurde er unter dem Namen Hascha­hof bekannt, betrieb seit den 1990er-Jahren Biolandwirtschaft und wurde dann zum Selbsternte-Hof. 2015 kaufte der Wohnfonds Wien den Vierkanthof, nach Bürger:innenprotesten und Besetzungen wurde er, anders als gedroht, schließlich doch nicht abgerissen. Seit 2019 kümmert sich die Initiative Zukunftshof um das Areal. Stadtlandwirtschaft soll hier «für alle erlebbar» sein.
«Hier gibt es noch relativ viel Fläche, die momentan nicht verwendet wird», erklärt Kovačič den Zusammenhang des Ortes mit dem Thema Brache, der sich nicht nur aus der landwirtschaftlichen Nutzung ergibt: «Das Gebäude ist auch in einem Zwischenzustand. Die alte Nutzung ist schon lange her, dann gab es unterschiedliche Zwischennutzungen, und jetzt wird rundherum ein ­neues Stadtviertel gebaut.» «RothNEUsiedl» ist Stadterweiterungsgebiet, Wohnraum für 21.000 Menschen soll hier ab 2030 entstehen.

Das Ende der Brache?

Kovačič ist skeptisch, was die Zukunft des Gebiets betrifft. «Der Hof wird erhalten bleiben und Teil des neuen Stadtviertels, aber es wird halt nicht das sein, was es jetzt ist.» Jetzt präge das Gebiet das Ackerland, die Flächen und der weite Horizont, «und eben auch, dass viel so sein darf, wie es ist». Hier könnte man fragen: Kann sich eine rasant wachsende Stadt wie Wien so große «Brachen» überhaupt leisten? «Es gibt ja genug leerstehende Wohnungen», sagt Kovačič dazu. Fläche also, die in Privatbesitz sei und in irgendeiner Form kollektiviert gehöre. «Es muss nicht unbedingt gleich darum gehen, Besitz aufzugeben. Aber Wohnungen, die es schon gibt, muss man bewohnen können und nicht zum Spekulieren behalten dürfen.» Und sollte das nicht reichen: Konzepte von (leistbarer) Nachverdichtung, die keine großen Grün- oder Ackerflächen zubauen, gibt es schon längst, von der Bebauung von Parkplatzflächen bis hin zur Aufstockung von Gebäuden abseits teurer Einzel-Dachgeschoß-Wohnungen.

Performative Besiedelung

Überlegungen dazu macht auch die Gruppe Bussi: «Innovation beginnt mit Abriss!», zitiert sie ironisch den Werbespruch einer Abrissfirma und macht ihn zum Titel ihrer Performance und Videoinstallation, die auf der Brachiale zu sehen sein wird. Gestalten treffen hier aufeinander, «die halb Mensch, halb Bagger sind, hausförmige Torten in sich reinschaufeln und sich dabei bis zur Erschöpfung über die Innovationskraft des Abreißens unterhalten …», so der Begleittext. «Performative Besiedelung» ist Bussis Strategie wider die reale Gentrifizierung und die «zwiespältige Rolle als Kunstschaffende». Eine brachiale Herangehensweise also, die genauso wie Zartheit für Möglichkeiten steht, dem Ende der Brache etwas entgegenzusetzen. Für ein Festival der Brache jedenfalls scheint all das ganz schön produktiv.

Brachiale – Festival zur Ehrung der Brache
Sa, 25. – So, 26. Mai, ab 12 Uhr
Zukunftshof
10., Rosiwalgasse 41–43
Eintritt frei
https://brachiale.klingt.org