Pfarrer Hennefeld und die „Fremden“tun & lassen

Besser ein stummes Minarett als der Lärmterror der Christenkirchenglocke?

Hennefeld.jpgFaymanns Versprechen, mit FPÖ-Strache keine Koalition einzugehen, hat den Wert von Wahlversprechen. Der selbst ernannte Retter Wiens vor dem Islam kann, wenn überhaupt, nur von unten gebremst werden. Zum Beispiel bräuchte es mehr Kirchenführer vom Schlage Thomas Hennefelds, des Landessuperintendenten der Evangelisch reformierten Kirche. Im Augustin-Gespräch betonte Hennefeld das absolute Recht der Muslime, Moscheen samt Minarette zu bauen. Inzwischen hätten ja selbst die evangelischen Konfessionen das Recht, Kirchen mit Glocken und Türmen zu errichten

Die Evangelisch reformierte Kirche ist die kleinere der beiden evangelischen Kirchen mit etwa 14.000 Mitgliedern, die auf neun Gemeinden aufgeteilt sind. Nicht Martin Luther, sondern Zwingli aus Zürich und Calvin aus Genf sind ihre Leittheologen. Unser Gespräch beginnt bei den Unterschieden zur katholischen Kirche und zum lutherischen Zweig der Evangelischen Kirche. Es gibt theologische Unterschiede, die in der heutigen Praxis nicht mehr wichtig sind. Etwa das Abendmahlverständnis. Wichtiger: In unserer reformierten Kirche gibt’s noch weniger Hierarchie als in der Lutherischen Kirche. Es gibt kein Bischofsamt, ich als nebenamtlicher Landessuperintendent bin zum Beispiel nach wie vor hauptamtlich Gemeindepfarrer.

Es handelt sich um die Gemeinde rund um die Zwingli-Kirche im 15. Wiener Gemeindebezirk.

Alle Ämter werden bei den Reformierten gewählt. Ein weiterer Unterschied, der schnell evident wird, wenn man eine Kirche betritt: das Bilderverbot. Reformierte Kirchen sind schlichte Kirchen. Es sind Versammlungsorte und keine Gotteshäuser.

Man könnte die katholische Kirche beschämen, würde man ihr vorhalten, wie Christentum a u c h gelebt werden kann, selbt im Rahmen einer Institution. Die Verbürokratisierung der katholischen Kirche, die Abgehobenheit der Bischöfe, die nicht nur nicht Pfarrer bleiben, sonden die nie Pfarrer waren all das könnte deutlicher in Frage gestellt werden, würde die reformierte Kirche ihren basisdemokratischen Ansatz hervorstreichen. Gelassen hört sich der Herr Superintendent unsere Vorschläge an, die auf eine innerchristliche Konfrontation hinauslaufen.

Die Unfrommsten unter der Abraham-Kindern

Wir haben sehr wohl missionarische Ambitionen, antwortet Hennefeld. Wir wollen unsere Überzeugungen in die Gesellschaft hineintragen. Doch erstens ist es so, dass eine kleine Kirche nicht so leicht Gehör findet. Zweitens können wir gerade darum, weil wir sehr klein sind, mehr Demokratie wagen. Ein Bischof, der für 300.000 Christen zuständig ist, kann das nicht nebenamtlich wie ich machen. Übrigens gibt es innerhalb der katholischen Kirche genügend Kräfte, die versuchen, den Machtverhältnissen in ihrer Kirche entgegenzuwirken. Die Katholiken müssen sich das schon selber ausmachen.

Euer Bekenntnis ist das unfrommste, weltlichste aller Bekenntnisse. Unsere These, eigentlich unsere Frage, kommt mit der Sicherheit eines Faktums daher. Thomas Hennefeld bestätigt uns überraschend: Das kann man durchaus so sagen.

Als kleine Gruppe kann man leicht hierarchiefreier leben, das leuchtet uns ein. Doch auch ihr wird es Schwierigkeiten bereiten, alle Mitglieder auf das Niveau der mutigen (leider außerhalb der reformierten Kirche unbekannten) Grundsatzerklärung aus dem Jahr 1996 zu heben. Grundsatz 7 fordert geradezu zur Insubordination auf: Weil Christus sich eindeutig auf die Seite der Erniedrigten und Beladenen gestellt hat, ist die ganze Gemeinde verpflichtet, alle Formen von Unrecht, Unmenschlichkeit und Bedrohung der Schöpfung nicht als unabänderlich hinzunehmen, sondern dagegen öffentlich Widerstand zu leisten.

Grundsatz 8 ist das anarchistischste Gebot christlicher Kirchlichkeit im österreichischen Raum. Er lautet: Die gemeinsame Berufung aller Gemeindeglieder zum Dienst der Verkündigung des Evangeliums schließt nicht aus, dass es in der Kirche besondere Tätigkeiten und Aufgaben gibt („Ämter“). Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen jedoch keine Rangunterschiede oder Herrschaftsverhältnisse, sondern bestehen gemäß dem Willen Christi, um der Gemeinde die Ausübung des ihr als Ganzer aufgetragenen Dienstes der Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat zu ermöglichen. Deshalb stehen die verschiedenen Ämter nicht der Gemeinde gegenüber, sondern werden in ihrem Auftrag und unter ihrer Verantwortung wahrgenommen.

Schlechte Gesetze ignorieren, Flüchtlinge verstecken

Die tausend Mitglieder Ihrer Pfarre müssten lauter Rebellen sein, würden sie nach diesen Grundsätzen leben. Unser religionskritischer Reflex will sogar dem unfrommen Pfarrer aus der Zwingli-Kirche eine provokante Falle stellen. Hennefeld: Das ist auch ein Unterschied zu den Lutheranern, nicht nur zu den Katholiken , dass wir die Welt, wie sie ist, nicht als gottgegeben hinnehmen. Sondern ungerechte Zustände bekämpfen wie Zwingli in Zürich. Er wollte den Armen nicht Almosen geben, sondern gesellschaftliche Bedingungen schaffen, die Armut verhindern. Es gibt ja nun eine Erklärung des Reformierten Weltbundes, die Erklärung von Accra, in der das neoliberale System als menschenfeindlich und verbrecherisch abgelehnt wird. Der Reformierte Bund in Deutschland ist folgerichtig der Organisation ATTAC beigetreten.

Natürlich sind die tausend Mitglieder seiner Gemeinde nicht tausend Vorbilder in Angelegenheiten der Rebellion. Wir werden, wie die katholische Kirche, als Volkskirche wahrgenommen, nicht als Freikirche, mit der man sich besonders verbunden fühlt, erklärt Thomas Hennefeld. Volkskirche heißt, dass ein großer Teil der Mitglieder einfach Kirchenbeitragszahler sind und sonst mit der Kirche nichts zu tun haben. Und es gibt eine Minderheit, die sich an den Grundsätzen ihrer Gemeinschaft orientieren. Es geht daher vor allem darum, unter unseren Mitgliedern das Bewusstsein zu bilden, dass man sich nicht alles gefallen lassen darf, und eine Sensibilität gegenüber den Diskriminierungen von Minderheiten. Ich kenne reformierte Gemeinden in der Schweiz, die Flüchtlinge verstecken. Wir sind nicht bereit, jene Gesetze zu achten, die grundsätzlich gegen humanitäre Werte verstoßen.

Der interreligiöse Dialog vor allem mit Juden und Muslimen ist dem Landessuperintendenten und seinen GemeindekollegInnen ein mächtiges Anliegen: Wenn, wie in dieser Zeit, das Feindbild Islam konstruiert wird, ist der beste Widerstand dagegen, den Islam und die Muslime kennen zu lernen. Der islamische Kulturverein im Gebiet unserer Gemeinde hat seinerseits versucht, den Dialog mit ChristInnen aufzunehmen. Es ist zu einer Rehe von gegenseitigen Einladungen gekommen. Der Großteil der Muslime in Österreich ist offen für ein Gespräch und tut nichts lieber als integriert und in Frieden in Österreich zu leben, nur eine Minderheit schottet sich ab. Das ist meine Wahrnehmung.

Das theologische Thema, das Hennefeld am meisten interessiert, ist die Begegnung mit dem Anderen, dem Fremden. Dabei beruft er sich vor allem auf den jüdischen Philosophen Emmanuel Lévinas, der den Anderen als denjenigen, für den ich unendlich verantwortlich bin, beschrieb. Die Begegnung mit dem Anderen sei nach Lévinas immer auch ein Sich-Ausliefern. Sie bestehe in dem Sich-Öffnen für den Anderen und damit auch im Sich-verwundbar- und -verletzlich-Machen. Lévinas sei sich bewusst, dass der Andere in einem selbst Verwirrung und ein Gefühl der Bedrohung hervorrufen könne. Thomas Hennefeld: Diese weit verbreitete Sichtweise wird aber nun ins Gegenteil gewendet, wenn der Philosoph in der Begegnung mit dem Anderen die Chance erkennt, sein Ich aus dem eigenen Gefängnis zu befreien. Es ist der Andere, der das Ich von Selbstgefälligkeit und Hochmut heilen kann.

Man hängt sich ja auch kein Gaskammerl um den Hals

Unser Gespräch drängt in den Bereich der Architektur. Sind Moscheen stadtbildzerstörend? Der Chef der Wiener Reformierten findet kein nettes Wort für die Anti-Moschee-Demonstranten und weist auf die Verrenkungen hin, in die die größte christliche Fraktion verfällt, wenn die eskalierende Situation nach Stimmen der Vernunft schreit: In der Pressestunde hat Kardinal Schönborn erklärt, gegen den Bau von Moscheen sei eigentlich nichts einzuwenden; ein paar Tage später sagte der Bischof von Vorarlberg: Eigentlich wollen wir das nicht. Die katholische Kirche ist in dieser Frage gespalten. Die evangelischen Kirchen haben sich sehr deutlich und einheitlich zu Wort gemeldet. Unsere Sensibilität ist historisch begründet: Wir vergessen nicht, wie die herrschende Kirche in der Geschichte mit der evangelischen Abweichung umgegangen ist; das Toleranzpatent unter Joseph II. war ein großer Fortschritt gegenüber früheren Zeiten der Verfolgung der Protestanten, die ihren Glauben im Untergrund zu leben hatten.

Diese Toleranz verbesserte die Lage unserer Glaubensgenossen, aber sie mussten unsichtbar bleiben, ohne ihre Kirchen, die ihnen in der Gegenreformation gestohlen worden waren. Das kaiserliche Gesetz sagte den Evangelischen: Ihr könnt nun wieder Kirchen bauen aber ohne Glocken, ohne Turm und ohne straßenseitigen Eingang.

Das erinnert mich, so Hennefeld, an die aktuelle Situation: Man predigt Toleranz gegenüber den Muslimen, verlangt aber ihre Unsichtbarkeit. Wir betonen, dass die Menschen jeder Religionsgemeinschaft ihren Glauben sichtbar ausüben und nicht zum Privatisieren oder Verheimlichen ihrer Rituale gezwungen werden dürfen. Was die Bauordnung erlaubt, gilt für die Bauvorhaben aller religiösen Institutionen. Wie wir Evangelische nun Kirchen mit Glockentürmen errichten dürfen, so müssen Muslime auch Moscheen mit Minaretten errichten dürfen. Das Minarett als Teil einer Moschee ist eine Selbstverständlichkeit wie der christliche Glockenturm. Minarette werden zukünftig zur Kulturlandschaft Mitteleuropas gehören wie heute die Kirch- und Raiffeisentürme. Neben einer Kirche zu wohnen und mehrmals am Tag an ihrem dröhnenden Geläute zu erbeben, soll ja auch nicht für jeden angenehm sein. Wer über die Störung durch Minarette redet, sollte auch von Kirchenglocken reden.

Wer für Gleichberechtigung der Religionen sei, müsse das christliche Kreuz aus öffentlichen Sälen entfernen, wenden wir ein. Falsche Adresse, grinst der Superintendent. Das Kreuz ist theologisch relevant aber eigentlich sind ChristInnen dazu da, dass Kreuze aus der Welt geschafft werden. Und nicht immer wieder neu aufgestellt werden. Oder in die Klassenzimmer gehängt, in denen 80 Prozent Muslime sitzen. Mein Vorgänger hat einmal pointiert gesagt, niemand würde auf die Idee kommen, sich ein kleines Gaskammerl um den Hals zu hängen, warum also eine derartige Verehrung des Kreuzes, eines Instruments der Hinrichtung? Aus meiner Sicht hat ein Kreuz im Klassenzimmer nichts verloren. Ich bin theologisch dagegen, und ich bin dagegen, weil es Jüdinnen und Juden, Musliminnen und Muslime diskriminiert.

Am 28. September wird gewählt. Ein Blick auf das Angebot an PolitikerInnen reicht aus, um zu prophezeien, dass jedes Resultat aus der Sicht derer, die mehr Freiheit, mehr soziale Gerechtigkeit und mehr Siesta wollen, ein ärgerliches sein wird. Damit es nicht noch ärgerlicher wird, sollte ein Hauch der Zwingli-Kirche aus deren Gemäuer entweichen und sich über der Stadt verbreiten.