Phantomschmerzentun & lassen

Der mächtigste Banker in Österreich beschimpft die Politik. «Im Stil nicht gut, aber inhaltlich richtig», sagen die Chefredakteure. Ich sage: «Stil könnte besser sein, aber inhaltlich falsch.» Der Bankensektor spürt den Druck einer stärkeren Kontrolle und möglichen Regulierung. Die sog. Basel-III-Regeln zur Verschärfung der Eigenkapitalvorschriften werden Spekulationsrisken vermindern. Mit ihren Fremdwährungskrediten samt Investmentzertifikaten sind die heimischen Banken nicht die armen Opfer der Finanzkrise, als die sie sich neuerdings gerne darstellen. Diejenigen Kräfte, die innerhalb des Euroraums gegen eine wirksame Gläubigerbeteiligung an der Umstrukturierung von Schulden agieren und Vermögenssteuern zu verhindern suchen, setzen darauf, die Mittel für den Schuldendienst aus dem Sozialbereich herauszupressen, Zukunftsinvestitionen in öffentliche Güter wie Bildung und soziale Dienstleistungen einzuschränken oder zu unterlassen.Das alte Finanz- und Bankensystem liegt wie ein Alp auf den sozialen Systemen in Europa.

Wie war das noch mal? Wer hat die größte Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren hervorgerufen? Waren es die auf Solidarausgleich beruhenden Pensionssysteme? War es die soziale Krankenversicherung? Oder war es der Sozialstaat mit seiner umverteilenden Wirkung? Waren es die Arbeitslosengelder und die Notstandshilfe, die den Wirtschaftscrash verursachten? Waren es die «Ausländer», die uns jetzt um die soziale Sicherheit zittern lassen?

Nein. Den größten Crash haben uns diejenigen beschert, die uns seit Jahren erklären, dass die Pensionen auf die Finanzmärkte gehören, dass das Gesundheitssystem nicht mehr finanzierbar ist, dass das Soziale der Wirtschaft schadet und dass die Reichen nicht besteuert, dafür die Arbeitslosengelder und die Sozialhilfe gekürzt gehören.

Der Monetarismus, der Glaube an die Moneten, an das Geld, hat sich seit den achtziger Jahren als ökonomische wie gesellschaftliche Ideologie ausgebreitet. Politische Fürsprecher waren Margaret Thatcher und Ronald Reagan. Wissenschaftlich trieben eine ganze Reihe von Think-Tanks (Hayek & Co) den Monetarismus an Universitäten und Forschungseinrichtungen voran. Für die publizistische Verbreitung sorgte ab Mitte der neunziger Jahre ein mehr oder weniger unkritischer Wirtschaftsjournalismus, der nicht im Stande war, die ideologischen Paradigmen und Interessen seiner eigenen Berichterstattung zu reflektieren.

Und das Menschenbild, das dem Monetarismus zu Grunde liegt, ist ein auf Belohnungs- und Bestrafungsreize abgerichtetes Wesen, das sich durch die Welt kämpft: der Homo Oeconomicus. Alles in allem eine starke Theorie mit Welterklärungspotenzial. Sie ist im Interesse weniger, hat aber Plausibilität für alle.

Jetzt ist das Kartenhaus eingestürzt. Die Phantomschmerzen seiner ideologischen Träger sind nicht zu unterschätzen. Und das macht Reformen auch so schwierig. Auch wenn sie unumgänglich sind. Der Finanzsektor hat eine wichtige Funktion für die Finanzierung von realwirtschaftlichen Transaktionen. Und auf diese Funktion muss er auch dringend zurückgeführt werden. Wenn uns die Krise etwas gelehrt hat, dann dass es leistungsfähige Kontrollinstrumente für die Finanzmärkte braucht. Der wirtschaftlichen Globalisierung muss eine wirtschaftspolitische Globalisierung folgen.