Aufs Klo gehen: eine Selbstverständlichkeit. Aber nicht für alle. Wenn man sich keinem der binär definierten Geschlechter zugehörig fühlt, wird der Besuch eines öffentlichen WCs zum Ringen um Geschlechteridentität. Es sei denn, es gibt eine dritte Option: die All-Gender-Toilette.
Text: Magdalena Riedl, Fotos: Nina Strasser
Er starrt dich förmlich an, dieser gigantische, fleischfarbene Penis. Auf dem Kopf trägt er eine goldene Krone. Sein Gesicht ziert ein Silberring. Daneben: eine riesige Vulva in verschiedenen Rosatönen mit wallenden Lippen. Auch sie ist gekrönt und hat die Augen weit aufgerissen. Die comichaft gemalten Geschlechtsteile erstrecken sich über die gesamte Fläche der beiden Türen. Wer sie ansieht, weiß, welche Toilette für welches Geschlecht gedacht ist.
Aber: Die Toiletten im Café-Bistro Zweistern am Wiener Praterstern sind nicht nur optisch ein Hingucker. Auch ohne die Bemalungen wären sie (noch) eine Besonderheit. Denn im Zweistern findet noch eine dritte Tür Platz: «Whoever» steht darauf geschrieben und wird durch das kreisförmige Transgender-Symbol unterstrichen, das die Zeichen für «männlich», «weiblich» und alle anderen Geschlechter vereint. Diese dritte Tür führt zur All-Gender-Toilette.
All-Gender-Toiletten, das sind Klos, die für alle zugänglich sind. Und das unabhängig von ihrem «sex», dem biologischen Geschlecht, oder «gender», dem sozialen. Rein darf, wer mal muss.
Im Zweistern gibt es die All-Gender-Toilette schon seit Eröffnung des Lokals. Das Warum hinter der dreitürigen Toilettenkonstellation will im Lokal niemand kommentieren. Dafür zumindest den Grund, aus dem die Toilettentüren im Lokal so auffällig gestaltet sind: Der verantwortliche Künstler Muerte One habe mit der Gestaltung provozieren wollen. Streng genommen seien die Bemalungen nicht EU-rechtskonform, weil die klassische Toiletten-Beschilderung fehle. Außerdem käme es immer wieder zu Beschwerden von Gäst_innen, die sich von der bunten Türgestaltung angegriffen fühlen.
Wer muss, aber nicht kann.
Während sie die einen ärgern, erleichtern All-Gender-Klos anderen den Alltag.
Einer, der All-Gender-Toiletten sehr begrüßt, ist Noah. Lange Zeit war er eingeschränkt durch die strikte geschlechterspezifische Trennung in öffentlichen Toiletten. «Immer und immer wieder habe ich einen inneren Konflikt ausgestritten, um zu entscheiden, auf welches Klo ich gehen soll», sagt er heute.
Noah ist 21, studiert Lehramt in Wien und wurde als biologisches Mädchen geboren. Damals, mit 18, war er bereit für sein «Outing», erzählt er. Dann, ein Jahr nach der Matura, begann für ihn die sogenannte Transition: Zahlreiche Ärzt_innenbesuche, Hormonspritzen und eine Mastektomie, also eine Brustamputation, hat Noah auf sich genommen, um er selbst sein zu können.
«Seit sich mein Äußeres verändert hat, benutze ich die Männertoilette», sagt er und deutet auf sein bärtiges Gesicht. «Aber gerade zu Beginn meiner Transition hätte ich mir mehr All-Gender-Toiletten gewünscht. Das hätte mir vieles erspart.» Denn: Der Gang aufs Klo bedeutete für Noah damals entweder, sich selbst zu verleugnen oder, kontinuierlich Unannehmlichkeiten ausgesetzt zu sein. Das ging so weit, dass er seinen Blasendruck oft bewusst ignorierte und den dringend notwendigen Gang hinausschob. «Zum Beispiel an der Uni. Da gibt es aktuell, glaube ich, zwei All-Gender-Toiletten. Damals habe ich überlegt: Gehe ich jetzt extra zu einer dieser Toiletten für Alle, obwohl sie am anderen Ende des Gebäudes ist? Oder halt ich‘s nicht doch noch aus?»
Das frustriert den Studenten. «Gerade an einem Ort wie der Universität würde man erwarten, dass man progressiver ist und genügend All-Gender-Toiletten anbietet, um den universitären Raum so zugänglich wie möglich zu gestalten. Außerdem: Zuhause geht ja auch jeder aufs selbe Klo. Wieso muss das in der Öffentlichkeit so kompliziert sein?»
Universitär– inklusiv?
Schon oft galt der universitäre Raum als Vorreiter einer offenen, inklusiveren Gesellschaft. Doch nimmt man die Klo-Politik von Wiens Hochschulen unter die Lupe, findet man ein weites Spektrum von Fortschritt bis Stillstand vor.
So zum Beispiel an der Wiener Wirtschaftsuniversität: Seit Oktober gibt es in jedem Gebäude der WU All-Gender-Toiletten. An der Wiener FH Campus soll die Schwelle des sorgenlosen Klogehens noch weiter gesenkt werden: Neben geplanten All-Gender-Toiletten werden im Büro der Studierendenvertretung kostenlose Menstruationshygieneartikel angeboten. «Wir finden, dass Menstruationshygieneartikel für jeden leistbar sowie zugänglich sein sollten!», begründet das Theresa Spiegl von der FH Campus ÖH.
Doch nicht an allen Wiener Hochschulen werden sich Gedanken über inklusive Klo-Politik gemacht. Weder an der Medizinischen Universität noch an der FHWien der WKW stehen All-Gender-Toiletten momentan zur Debatte. Begründet wird diese Entscheidung mit angeblich mangelndem Bedarf. Berufen wird sich darauf, dass das Anbieten von All-Gender-Toiletten keine rechtliche Verpflichtung darstellt.
Wien und seine Heisln.
Wer sich außerhalb der universitären Tore des lästigen Drucks auf die Blase entledigen will, findet in Wien ein breites öffentliches Angebot. Die Magistratsabteilung 48 betreut insgesamt 154 Toiletten. «Davon sind mittlerweile ganze 114 WC-Anlagen mit Unisextoiletten ausgestattet», so Ulrike Volk von der MA 48. «Unisextoilette» bedeutet im Fall der Stadt Wien, dass die WC-Anlagen von außen durch eine Türe direkt betretbar sind. Einen separaten Waschraum gibt es nicht. Seit 2014 hat sich diesbezüglich im Wiener Raum viel getan. Im Zuge der acht Millionen Euro schweren Sanierungsprogramme wurde auch das öffentliche Toilettenangebot neu ausgerichtet. Viele Anlagen wurden gebaut und modernisiert. Argumente dafür gäbe es verschiedene, meint Volk: «Ein Grund ist natürlich, unsere Toiletten unabhängig von Geschlecht zur Verfügung zu stellen und sie so für alle zu öffnen. Es hat aber auch einfach pragmatische Gründe: Unisextoiletten sind weitaus effizienter als getrennte Anlagen. So oft passiert es, dass Frauen ewig Schlange stehen müssen, während auf der Männerseite niemand auf die Toilette wartet. Unisextoiletten erhöhen also die Kund_innenzufriedenheit. Außerdem steigern die neuen WC-Anlagen, die ich direkt von außen betreten kann, Sicherheitsgefühl und Sicherheit der Nutzer_innen: Ich kann die Türe aufmachen und sehe schon, ob da jemand außer mir drinnen ist. Wenn ich im Gegenteil eine ‹normale› WC-Anlage betrete mit Waschraum, von dem aus einzelne Kabinen wegführen, könnte sich jemand in einer Kabine versteckt haben.»
Sicherheit als Privileg.
Der von der MA 48 angesprochene Sicherheitsaspekt ist auch für den Verein intergeschlechtlicher Menschen Österreich (VIMÖ) äußerst relevant. Abgesehen davon, dass der Verein die geschlechtsspezifische Trennung von Toiletten als Form der Diskriminierung von trans, inter und nicht-binären Personen erachtet, sei sie auch gefährlich, so Noah Rieser vom VIMÖ. Denn Mitglieder der Community seien aufgrund der so oft fehlenden Möglichkeit, eine genderlose Toilette zu benutzen vermehrt von Übergriffen betroffen. Besonders gefährdet würden dadurch jene Menschen, die weder Männer noch Frauen sind und nicht als solche gelesen, also identifiziert, werden.
Student Noah hatte Glück: Auch während seiner Transition musste er keine Diskriminierungserfahrungen machen. Niemand war ihm gegenüber übergriffig. Dennoch: Einfach nur pinkeln können ist an vielen Orten immer noch ein Privileg.
trans, inter, nicht-binär:
was bedeutet es?
trans: Selbstbezeichnung von Personen, deren eigentliches Geschlecht nicht oder nur teilweise dem entspricht, das sie bei der Geburt zugewiesen bekommen haben.
inter: Selbstbezeichnung von Personen, deren Geschlechtsmerkmale anatomisch, chromosomal und/oder hormonell von der medizinischen Norm «männlicher» beziehungsweise «weiblicher» Körper abweichen.
nicht-binär: Selbstbezeichnung von Personen, die ihr Geschlecht nicht innerhalb der binären Geschlechter verorten. Sie sind weder (nur) weiblich noch männlich.