Plädoyer fürs SonderzeichenArtistin

Betrachtungen eines Korrekturlesers, Teil 1

Warum die Verwendung diakritischer Zeichen bei Namen und Begriffen aus anderen Sprachen mehr als nur sprachliche Erbsenzählerei ist. In fünf Teilen denkt Augustin-Mitarbeiter und Sprachliebhaber Richard Schuberth über die gesellschaftspolitischen Tücken und Chancen der Sprache nach.

Bildunterschrift: Mit welchen coolen Yankeenamen wurden Issur Danijelovič Demski und Juli Borisovič Briner, zwei Sprosse einer slawo-jüdisch-tatarischen Ostwelt, in Hollywood berühmt?

Foto: Douglas Brynner

Wer hat in Kindheit, Jugend oder auch danach sich nicht der wunderbaren Allmachtsfantasie hingegeben, in so vielen fremden Zungen fließend reden zu können wie möglich, durch akzentfreie Beherrschung fremder Sprachen sich den Respekt der Fremden zu ersprechen. Zunahme an Realitätssinn und Abnahme von Zeit zerstäuben diesen Wunsch irgendwann.

Hänschen schafft allenfalls drei Sprachen, die talentiertesten Hänschens bis zu zehn. Hans aber sollte sich auf die Konsolidierung des als Hänschen Gelernten beschränken. Man vergisst mit zunehmendem Alter ohnehin mehr, als man dazulernt. Zumindest musikalische Menschen bekämen leicht die Melodie hin, wären nicht die verflixte Grammatik und das Vokabular, die oft unüberwindbare Hürden darstellen. Mir geht es so. Ich kann sehr schnell die Melodie, sogar dialektale Unterschiede imitieren, doch die Belohnung für diese Angeberei entpuppt sich meist als Bestrafung: Die Muttersprachler_innen trauen mir dann zu viel zu und reden so schnell, dass ich den Bahnhof nicht einmal in ihrer Sprache mehr verstehe.

Was hingegen jede_r schaffen könnte, das wäre die einigermaßen richtige Aussprache fremder Eigennamen. Und das erfordert die Kenntnis der richtigen Schreibweise. Eine minimale Geste der Anerkennung wäre das – und damit ein Mosaiksteinchen zur Weltzivilisation.

 

Was Schlimmeres, als der Sohn eines Langweilers zu sein?

Ist es nicht egal, ob man aus Frau Žana Mušić eine Mrs. Zana Music macht und statt Şenol Sıkıcıoğlu Senol Sikicioglu schreibt? Lässt sich in der Verweigerung solcher Lappalien nicht vielleicht sogar Prahlen mit multikulturellem Insiderwissen erkennen, eine Prise Exotismus oder mitunter sogar die Haarspalterei von ordnungsneurotischen Sprachpedant_innen, denen die Befolgung von Regeln mehr am Herzen liegt als die Träger_innen der Namen selbst, um deren korrekte Schreibweise sie sich vor allem im Abschiebungsbescheid bemühen würden? Und ist es den so Benannten nicht oft ziemlich wurscht, ob man den Akzent auf dem C oder das Hakerl unterm S weglässt oder nicht?

Nun, bei den genannten Namen ist es keineswegs egal. Denn Frau Mušić ist weder Engländerin noch nach Musik benannt. Und Žana ist eine Kurzform von Ivana beziehungsweise Jovana oder von Snežana, Božana et cetera, während sich Zana aus einer venezianischen Form (Zuana) des biblischen Namens Shoshana (Lilie) ableitet oder die albanische Fee respektive den kurdischen Wissenden bedeutet. Und man mag es nicht glauben, aber den nicht wirklich schmeichelhaften Namen Şenol Sıkıcıoğlu gibt es wirklich, er ließe sich in etwa mit dem Imperativ «Sei glücklich, du Sohn eines Langweilers» übersetzen. Ohne Diakritika verwandelt er sich jedoch in einen anderen: «Der Sohn eines Fickers sollst du sein!» Was sonstwo bloß als nachholende biologische Folgerichtigkeit durchgehen würde, gilt im Türkischen als schlimme Beleidigung.

Das phonetische Pendant zum diakritischen Zeichen, die korrekte Aussprache, kam vor allem in Deutschland zu ihrem Recht. Österreich hinkte nach. Wir erinnern uns der Zungenverrenkungen von TV-Moderator_innen, als von heut auf morgen Schluss war mit Lech Walesa und er Lech Wajounsa oder so ähnlich ausgesprochen werden musste, weil man ihn eben nicht Walesa, sondern Wałęsa schreibt. Deutsche sind die Vorzugsschüler_innen im Fach richtige Aussprache und Schreibung fremder Namen, und viel ließe sich räsonieren über die Gründe dieses verdächtig bemühten Exotismus, sei es bloß die Tautologie, dass die Korrekten eben in jeder Hinsicht korrekt sein müssen, sei es Teil der forcierten Gewissenspolitik, sei es ein urdeutsches Sehnen nach fremden Ländern und Kulturen, das gar nicht im Widerspruch stehen muss zu deutschem Rassismus, sondern bloß eine eigentümliche zivilisationsfeindliche Ergänzung zu diesem darstellte, sich in Old Shatterhands Verbrüderung mit edlen Apachen gegen die amerikanische Kulturlosigkeit oder Hunderten Nachkriegsschlagern von kleinen Mexikanern, von Napoli und dem Popocatepetltwist ausdrückte.

Worin auch immer die Motive liegen, ich finde diese sprachliche Sensibilität der Deutschen löblich. In Frankreich schert man sich wenig darum. Während deutsche Fernsehsprecher_innen einen bekannten französischen Schauspieler, wie sich’s gehört, als Daniel Ateauajeüi ankündigen, haben ihre französische Kolleg_innen keine Skrupel, den russischen Präsidenten als Wladimír Pütín oder Schlimmeres zu titulieren. Auch in den USA wird die gesamte Welt gerne nach der eigenen Façon benannt. In beiden Fällen, dem französischen wie dem amerikanischen, mag die Ignoranz vermeintlicher Großmächte dahinterstecken, in ersterem eindeutig der anachronistische Überwertigkeitskomplex einer geschrumpften Grande Nation, in letzterem jedoch mischt sich auch die bedrohliche Unsicherheit zur Weltmacht aufgestiegener Hillbillys bei, die nicht verstehen wollen, warum eine Welt, die doch nach ihrer Pfeife und Valuta tanzt, auch noch das Anrecht auf kulturelle Eigenheiten haben soll. Ich erinnere mich eines kleinen Streits mit einer befreundeten Dame aus Manhattan, die auf dem durch die Macht des Dollars und der Jungs in Übersee verbürgten Recht beharrte, den deutschen Namen Erwin als anglonormannischen Irvine auszusprechen.

 

Das kulturelle Wertgefälle

Das Grundproblem ist denkbar einfach: Es geht um ein zutiefst rassistisches Gefälle der Wertigkeiten von Kulturen und den ihnen zugeordneten Menschen. Lachkrämpfe würde hierzulande auslösen, wenn jemand die Wahlniederlage von Hilarü Zlinton beklagte oder von Zateríne Deneufe schwärmte, aber ohne Skrupel rufen Beamt_innen einen Menschen namens Ceyhan Şengöl als Zeihan Sengöl auf und eine Frau Snježana Živadinović als Snjetzana Tziwadinowits – zumeist in jenem fordernd strengen Ton, der jeglichen Einspruch der so Angerufenen sogleich in Scham erstickt.

Nicht um die alte Leier von der Gleichwertigkeit aller Kulturen, die zumeist ohnehin nur künstliche Nationalkulturen anleiert, geht es hier – es geht schlicht um die Gleichwertigkeit aller Menschen. Der Name ist zunächst das Emblem der Unverwechselbarkeit, zwar nicht selbst gewählt, aber der Beweis, kein_e andere_r zu sein. Man kann dem Menschen Hemd und Hose ausziehen, er bleibt doch er selbst, ihn seines Namens zu berauben aber ist der Vorgeschmack des Häutens, ihn gegen seinen Willen umzutaufen das Brandzeichen der Heteronomie.

Einen Namen aus Ignoranz oder Absicht falsch auszusprechen ist somit eine Technik der Nichtanerkennung, eine Demonstration von Macht, der Macht der Benennung. Wir erinnern uns der Zuordnung markiger angelsächsischer Namen zu Migrant_innen durch die US-Einwanderungsbehörden. Die Willkür dieser Unterwerfung wird wunderbar in der Serie «Simpsons» auf den Punkt gebracht, als ein bereits anglofoner Migrant mit dem Namen James Johnson ab heute Jim Thompson heißen muss.

Als Korrekturleser stoße ich oft auf den Umstand, dass Migrant_innen freiwillig auf die Diakritika verzichten. Übe ich auf sie eine Herrschaftstechnik aus, wenn ich die Zeichen dann doch wieder reinschmuggle? Betreibe ich eine Art streberhafte Rekulturalisierung? Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass viele von ihnen bloß nicht anecken, den schlafenden Löwen in einer rassistischen Höhle nicht wecken wollen. Dennoch sind sie die erste und letzte Instanz ihrer richtigen Schreibweise.

Dabei wüssten die Österreicher_innen zum Beispiel die Resetarići, Grandići und Stojsići aus dem Burgenland durchaus richtig auszusprechen, wären deren Namen nicht magyarisiert und wäre aus dem -ić nicht ein gleichlautendes -ics geworden, welches die Ösis aber als -its auszusprechen beliebten. Das multikulturelle Gedächtnis Ostösterreichs ist noch vital genug, die slawische Endung -ic auch ohne Accent aigu als -idsch zu denken. Die Wiener FPÖ-Wähler_innen wussten, wie sie ihren Parteichef Pavkovicz auszusprechen hatten, und die phonetische Alternativschreibung Senekowitsch hält die ursprüngliche Bedeutung gleichfalls am Leben.

Dass in manchen der fremden Länder, aus denen manche dieser fremden Namen stammen, weniger zimperlich mit fremden Begriffen verfahren wird und Serbien zum Beispiel durch eine Orthografie, die einen Majkl Džekson (Michael Jackson) und einen Žan Žak Ruso (Jean-Jacques Rousseau) möglich macht, seine Bürger_innen nicht nur zu ewigem Provinzialismus verdammt, sondern die Aussprache ausländischer Namen noch mehr verfälscht, sei ihr pivo, darf uns aber nicht beirren.

Und mehr als nur Respekt vor dem Namen und seinen Träger_innen bedeutet die Kenntnis und Verwendung der Diakritika. Sie sind differenzphilosophische und ethische Verkehrszeichen. Denn auch Folgendes sagen sie uns: Vorsicht, hier verlässt du die Zone deiner Gewohnheiten, hier darfst du den Buchstaben nicht so aussprechen, wie du es gewohnt bist; hier mögen wir dich auch daran erinnern, dass sich mit der Grammatik deiner Selbstverständlichkeiten nicht alles strukturieren lässt, dass du nicht der Maßstab bist, nach dem das andere dir gleichgemacht werden muss, dass die Zitrone keine Babyorange mit Gelbsucht ist – kurzum: dass jedes Seiende auf dieser Welt seine Eigenheit hat, die du nicht verstehen musst, aber auch nicht leugnen darfst.

In Augustin Nr. 429 lesen Sie über Chancen und Widersprüche der gendergerechten Schreibweise.