Plastik-Recycling im Flüchtlingslagervorstadt

Der Neujahrsausflug führte Natalie Deewan (Text und Fotos) in ein Belgrader «Werk», in die Kooperative Minipogon, um zu arbeiten.

Bild: Christmas Mubarak – Minipogons Verkaufsstand am Belgrader Nachtmarkt mit Rezas kalligrafischem Spin-off.

1. Jänner 2019, früher Nachmittag. Wir sind auf dem Weg ins Flüchtlingslager in Krnjača, einem Außenbezirk von Belgrad. Die Anreise per Bus ist langwierig, es ist Feiertag, wir fragen uns durch. Da kommt uns ein Dutzend afghanischer Burschen entgegen, teilweise bekannte Gesichter. «Are you going to the Center?» – «Yes!» Wir wollen wissen, welcher Bus zum Center führt, und ich wundere mich, als gleich eine ganze Handvoll Buslinien aufgezählt wird. Langsam dämmert mir: Die jungen Männer sind auf Neujahrsausflug ins City Center, wir hingegen wollen ins Refugee Center, und zwar zum Arbeiten.

Das Flüchtlingslager in Krnjača besteht aus 18 Baracken und ist für rund 750 Personen ausgelegt. Momentan beherbergt es zwischen 400 und 500 Personen, hauptsächlich junge Männer aus Afghanistan. In einem kleinen Raum in einer leeren Baracke des Zentrums hat die Plastik-Recycling-Kooperative Minipogon seit Oktober 2018 ihr Quartier aufgeschlagen. An drei Nachmittagen pro Woche findet hier ein Workshop statt, an dem alle Bewohner_innen des Camps teilnehmen können. Arbeit gibt es genug: In einer Ecke liegt diverses Plastik, gesammelt von Minipogon & Friends, das noch sortiert, gereinigt und zerkleinert werden muss: ein gelber Ölkanister, schwarze Gemüsekisten, Waschmittelbehälter etc. Gesammelt wird nur Plastik des Typs 2 (HDPE, hauptsächlich Plastikflaschenverschlüsse) und 5 (PP = Polypropylen), die beide einen relativ niedrigen Schmelzpunkt besitzen. Daneben steht ein Schredder, der alles, was in seinen Trichter gerät, mit scharfen Messern zermalmt. Und direkt am Fenster ein umgebauter Backofen, in dem die bunten Plastikschnipsel eingeschmolzen und zu neuen Objekten, wie Schalen gepresst werden. Es gibt verschiedene «Backformen», runde, viereckige, sechseckige. Jedes Objekt, das nach rund 40 Minuten Backzeit den Ofen verlässt und aus der Stahlform befreit wird, ist natürlich ein Unikat und wird entsprechend bestaunt, bevor es an die Nachbearbeitung geht. Der Feinschliff, das Schmirgeln, Feilen und Bügeln der Kanten nimmt noch mal fast so viel Zeit in Anspruch wie der eigentliche Backvorgang. Eine dritte Maschine, eine Art Spritzgussapparat, steht noch in Miksalište, einem Flüchtlings-Tageszentrum mitten in Belgrad, wo Minipogon vorher aktiv war.

Private Müllsammler_innen.

Als es noch warm genug war, um draußen zu arbeiten, kamen viele Neugierige vorbei, beobachteten zuerst das Geschehen, packten mit an, griffen sich das jeweils geeignete Werkzeug oder tranken einfach einen Tee und sahen den anderen beim Arbeiten zu. Manche kamen immer wieder und brachten Freunde mit, anderen war es gelungen, weiterzureisen, weg aus Krnjača. Jetzt im Winter ist der Zulauf gering. Bis auf den 26. Dezember, als plötzlich ein Kinderschwarm die Werkstatt stürmte. Diese Kinder waren aber diesmal nicht gekommen, um im gesammelten Plastikabfall nach Spielzeug zu suchen. Nein, sie begannen einfach mit der Arbeit: Innerhalb von einer halben Stunde waren sämtliche anfallenden Aufgaben – Sortieren des Plastiks nach Typ und Farbe, Reinigen, Zerkleinern, Schreddern – professionell erledigt! Sie gehörten zu jenen Roma-Familien aus der direkt neben dem Camp gelegenen slumartigen Siedlung, die am Vortag ins Flüchtlingscamp eingedrungen waren und dort einige leere Baracken besetzt hatten, nachdem ihnen der Strom abgedreht worden war. Am nächsten Tag waren die Baracken geräumt und die Roma aus dem Camp wieder verschwunden. In Serbien beruht Abfallrecycling zum Großteil auf der informellen Tätigkeit von bis zu 50.000 privaten Müllsammler_innen, rund 70 Prozent davon sind Angehörige der Roma-Minderheit, wie die Balkan Green Energy News schreiben. Sie üben diese für die serbische Recyclingindustrie essenzielle Funktion ohne rechtliche Absicherung aus und konkurrieren zunehmend mit lokalen Versorgungsbetrieben, die im Zuge der Anpassung an EU-Vorgaben (Kreislaufwirtschaftspaket von 2018) nicht-inklusive Modernisierungsmaßnahmen setzen.

Die allgemeine Lage im Camp in Krnjača ist eher trostlos, alle wollen «weiter», in Serbien sieht niemand seine Zukunft. Jeder kleine Strohhalm, der nach draußen führt, wird genutzt. So hat etwa Reza, ein Bewohner des Camps und mit seiner Katze Carona regelmäßiger Gast in der Minipogon-Werkstatt, den halben Verkaufsstand von Minipogon bei einem lokalen Nachtmarkt zu 200 Prozent ausgenutzt: Er hat nämlich kurzerhand die Verkaufsfläche verdoppelt und mittels einer daherorganisierten Holzplatte und dem ausgezogenen Koffertragegriff einen «Annex» improvisiert, auf dem er seine kalligrafischen Künste dem Belgrader Publikum mit viel Charme nahezubringen versuchte: Motto: «Write your name in Arabic!» beziehungsweise «Christmas Mubarak!» (arab. für «Frohe Weihnachten»). Reza war es auch, der das Logo für Minipogon in arabischer Kalligrafie entworfen hat. Die bunt gesprenkelten Schalen und erstmals auch Uhren haben an diesem Abend zwar keinen reißenden Absatz gefunden, das spontane «Twisting» des Verkaufsstandes durch Reza führte aber letztlich zum Ausgangspunkt dieses Experiments zurück: «Towards equality through collaborative productive work» ist schließlich das Leitmotiv von Minipogon, das 2017 in Belgrad gegründet wurde und derzeit von vier Personen aus den Bereichen Kunst und Forschung betrieben wird.

Luxus- statt Barackenviertel.

Das Wort «pogon» bedeutet auf BKS so viel wie Antrieb, Betrieb oder auch Werk. Ein Antrieb für diese Miniaturausgabe eines selbstverwalteten Betriebs war ursprünglich der Versuch der Stromerzeugung mittels selbstgebauter Windturbine aus Plastikelementen, ein langjähriges Projekt des Chemikers und Erfinders Tai Chow Sing. Im Winter 2016/17 war er ebenso wie die Künstlerin und Aktivistin Vahida Ramujkić Teil eines Freiwilligennetzwerks zur Unterstützung von in Serbien gestrandeten Flüchtlingen, die am ehemaligen Bahnhofsgelände in Belgrad in Lagerhallen unter katastrophalen Bedingungen hausten. Nachdem bereits 2016 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Bewohner_innen des alten Stadtviertels Savamala gesetzeswidrig und gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben wurden, mussten nun im Mai 2017 auch diese Baracken Platz machen für das Luxusviertel Belgrade Waterfront, eine Art Mini-Dubai, das der arabische Investor Eagle Hills dort mithilfe der STRABAG errichtet.

In diesem Kontext formierte sich also die erste Achse eines neuen Vehikels, das, bald verstärkt durch Danilo Prnjat und Tijana Cvetković, Fahrt aufnahm in Richtung «Gleichheit und Autarkie durch selbstorganisierte, kollektive Arbeitsprozesse» und zwar unter dem Plastiksackerl-Banner der Precious Plastic-Bewegung, von der auch die Open-Source-Baupläne für die drei Maschinen stammen.

Ausflug nach Wien.

Anlässlich einer Produktionswoche am Stand 129 am Viktor-Adler-Markt im Rahmen des Kunst- und Kulturfestivals WienWoche im vergangenen September erschien auch ein Handbuch, das in Form eines Comics den Arbeitsprozess – genau 63 spezifische Arbeitsaufgaben werden aufgelistet – sowie die (Weiter-)Entwicklung der Maschinen inklusive technischer Skizzen auf witzige Weise veranschaulicht.

Derzeit haben sie einen Design-Call für neue Anwendungsmöglichkeiten ausgeschrieben und gerade eine erste Schale über die Website nach Australien (!) verkauft.


www.irational.org/minipogon