Boulevard-Blog vom 06.09.2023
Im «Riders Collective» organisieren sich Fahrradbot:innen gegen ihre Ausbeutung und für bessere Arbeitsbedingungen. Dem Augustin erzählte «Riders Collective» Projektleiter Robert Walasinski über Chancen und Probleme gewerkschaftlicher Gegenmacht bei den Plattformunternehmen.
Robert, du bist der Projektleiter vom «Riders Collective». Dieses Projekt organisiert Kolleg:innen, die für Lieferdienste arbeiten, also so genannte Plattformunternehmen. Worum handelt es sich da?
Robert Walasinski: Die Arbeit bei den Lieferdiensten, die Pizza oder neuerdings auch Supermarkteinkäufe zu den Menschen nach Hause liefern, ist als Plattform-Arbeit organisiert. Das heißt, dass Kund:innen ihre Aufträge online aufgeben und diese dann automatisiert über eine App an die Bot:innen, die in der Branche «Riders» genannt werden, verteilt werden. Einige der hinter diesen Plattformen stehenden Großkonzerne wie Uber behaupten nun, dass sie nur die Plattform, also die Technologie zur Vernetzung von Kund:innen und Auftrageber:innen zur Verfügung stellen, somit für die Arbeitsverhältnisse nicht zuständig sind. Sie müssen sich um ihre Leute nicht scheren und behaupten, dass die Riders, beziehungsweise ihre Auftragsnehmer:innen, keine Arbeitsverträge brauchen. Das sind allerdings nicht alle Plattformen. Sehr häufig werden Selbstständigen-Verhältnisse angeboten oder wie in Österreich freie Dienstverträge; möglichst Vertragsformen, die keine Anstellungsverhältnisse sind, um Kosten zu sparen und in weiterer Folge auch Rechte vorzuenthalten. In Wirklichkeit gibt es aber inzwischen europaweit zahlreiche Gerichtsurteile, in denen klar festgestellt wird, dass es sich hier um Abhängigkeitsverhältnisse, Arbeitsplätze und somit um Lohnarbeit handelt. Leider aber noch nicht in Österreich.
Aber Österreich hat ja ein sehr dicht strukturiertes Kollektivvertragssystem. Greift das nicht auch bei den Plattformen?
Tatsächlich haben wir als Betriebsräte mit der Gewerkschaft «Vida 2020» den ersten Kollektivvertrag erkämpft, der für alle lohnabhängig angestellten Radbot:innen, Riders, gilt und somit Plattformen, die mit Fahrrädern zustellen, abdeckt. Wir sind aber damit konfrontiert, dass es bei den Plattformen zum Geschäftsmodell gehört, immer die größtmöglichen Ausbeutungskonstrukte zu schaffen. Der Kollektivvertrag ermöglicht nun einen Stundenlohn von 10 Euro brutto, Kilometergeld, dreizehnte und vierzehnte Monatsgehälter und andere Dinge. Dieser Kollektivvertrag ist direkte Folge einer erfolgreich erkämpften Betriebsratsgründung in einem der Plattform-Unternehmen vor einigen Jahren. Dann gibt es in Österreich aber noch dieses wunderbare Konstrukt des «freien Dienstnehmers». Viele Plattformen beschäftigen die allermeisten ihrer Riders als «freie Dienstnehmer:innen». Da gibt es dann keine Ansprüche auf Mindestlohn oder bezahlten Urlaub. Wenn du krank wirst, gibt es keine Lohnfortzahlung im Krankenstand. Aus gewerkschaftlicher Sicht besteht hier das Problem, dass über einen Kollektivvertrag sehr oft nur Leute mit «echtem» Anstellungsverhältnis vertreten werden. Betriebsräte sind rechtlich gesehen für freie Dienstnehmer:nnen nicht zuständig. Hier versuchen wir als «Riders Collective» ein Angebot zu schaffen und Brücken zu bauen.
Wie schaut Euer Angebot konkret aus?
Wir versuchen, ein niedrigschwelliges Angebot zu schaffen. Hier im «Roten Bogen» (Riders Collective Space, Lerchenfelder Gürtel, U-Bahn Bogen 36; Anm.) bieten wir regelmäßige Beratungstermine an, Riders können kommen und sich einen Kaffee nehmen oder die Toilette benutzen. Wir stellen sicher, dass unter der Woche immer jemand vom Collective oder vom Betriebsrat einer der großen Plattformen hier ist. Wir bieten Informationen über Dinge wie Krankengeld oder Steuerfragen. Und wir vernetzen die Kolleg:innen untereinander, damit sie sich über ihre Arbeitsbedingungen austauschen und vielleicht auch Gegenwehr organisieren können. Dafür organisieren wir einmal im Monat einen regelmäßigen Stammtisch. Das ist nicht immer ganz einfach, zum Beispiel gibt es Sprachbarrieren zu überwinden.
Welche Menschen arbeiten denn derzeit hauptsächlich in der Branche? In meinem Erleben hat sich da im letzten Jahrzehnt einiges geändert. Stimmt dieser Eindruck?
Tatsächlich gibt es immer noch dieses Klischee, dass es sich bei den Riders um einen lustigen Studentenjob handelt. Tatsächlich wird der Beruf heute aber oft von Migrant:innen ausgeübt. An dem Einkommen eines Riders hängt nicht selten das Überleben einer ganzen Familie mit Kindern dran. Man kommt leicht in den Job hinein. Du musst kaum Qualifikationen mitbringen. Gerade Asylsuchende im laufenden Verfahren haben in Österreich keinen Zugang zum Arbeitsmarkt, aber sie dürfen als Selbstständige Geld verdienen. Genau hier setzt das Ausbeutungsmodell der Plattformfirmen natürlich an. Es wird hierdurch auch ein struktureller Rassismus unter den Lohnabhängigen gefestigt: Zwischen jenen, die mit Kollektivvertrag arbeiten können, und jenen, die entrechtet sind. Auch hier muss gewerkschaftliche Politik ansetzen. Rechtlich gesehen ist das oft schwierig. Es gibt Riders, die zwar denselben Job machen, aber inzwischen über Subunternehmer:innen beschäftigt sind, als Selbstständige. Denen wird dann gesagt, die Wirtschaftskammer ist für euch zuständig. Aber was wird die Wirtschaftskammer denen sagen? Genau gar nichts.
Haben die Strukturen, die bei den Lieferdiensten existieren, auch Auswirkungen auf andere Branchen?
Definitiv. Ich halte die Lieferdienste für ein Vehikel, mit dem versucht wird, die Arbeitswelt, wie wir sie kennen, zu zerstören. Du kannst so gut wie jeden Job über Plattformen laufen lassen. Nachhilfe zum Beispiel läuft auf einmal über eine Plattform. Reinigungskräfte werden zunehmend über Plattformen vermittelt. Oder die Pflege: Unser ehemaliger Bundeskanzler ist auf einmal in eine Pflegeplattform eingestiegen. Es werden Milliardenbeträge verpulvert, um die Übermacht zu gewinnen, um zu lobbyieren und um das als toll, neu und fancy darzustellen. Aber im Endeffekt ist es eine Verarsche an der arbeitenden Bevölkerung. Und dem gehört ein Riegel vorgeschoben.
Weiterführende Links:
Riders Collective: www.riderscollective.at
Foto: Riders Collective