Platz für Romatun & lassen

Illustration: © Much

Immo aktuell (Dezenber 2023)

Nach Protesten der FPÖ Tulln gegen eine reisende Roma-Gruppe beschloss der Niederösterreichische Landtag eine Verschärfung des Polizeistrafengesetzes. Diese sieht härtere Sanktionen gegen sogenanntes «wildes Campieren» vor.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Für das reisende Volk gelten offensichtlich wieder mal keine Regeln», mokierte sich Gemeinderat und Landtagsabgeordneter Andreas Bors (FPÖ) am 2. Juni 2023 in den Bezirksblättern, als eine Gruppe von Roma ein wenig früher als angekündigt am Parkplatz der Messe Tulln und damit auch an einem anderen Ort als vereinbart ihre Wohnwägen aufstellte. Kultur- und Schulstadtrat Peter Höckner (ÖVP) sah keinen Anlass für eine Verwaltungsstrafe: «Wir versuchen in Tulln, so wie immer, mit den Roma und Sinti einen Dialog zu führen, damit deren Aufenthalt für keine Seite unangenehme Folgen hat. Das gelingt nicht immer perfekt, aber meistens gut.»
Andreas Bors aber brachte einen Antrag im Niederösterreichischen Landtag ein, der in der Sitzung vom 21. September 2023 mit Stimmen der ÖVP, FPÖ und SPÖ beschlossen wurde: eine Novellierung des NÖ Polizeistrafengesetzes, die am 7. November 2023 in Kraft trat. Mit dieser Verschärfung ist es leichter möglich, Verwaltungsstrafen bis 7.300 Euro oder Ersatzfreiheitsstrafen von bis zu zwei Wochen auszusprechen. Eine Räumung von «mobilen Unterkünften» außerhalb von Campingplätzen mit Polizeigewalt ist nun ebenfalls gesetzlich gedeckt.

Historische Verantwortung

Auch in der Stadt St. Pölten ist dieselbe Roma-Gruppe seit etwa zehn Jahren jeden Sommer zu Gast. Bernhard Schaffhauser sieht es gelassen: «Wenn sich jemand wo hinstellt, wo er nicht darf, was soll man tun? Wir haben ihnen einen Platz zur Verfügung gestellt und Wasser bereitgestellt. Für die Entsorgung ihres Mülls haben sie bezahlt.» Als technischer Leiter der Abfallwirtschaft hat er für die temporäre ­Infrastruktur gesorgt. Natürlich käme die Gruppe mal früher, mal später und hielte sich nicht an jede Abmachung, aber im Grunde habe man eine gute Gesprächsbasis. So vereinbarte man etwa, dass die Gruppe nicht zum Termin des Frequency kommt, wenn die Landeshauptstadt im Festivalmodus ist und sich ihre Einwohner:innenzahl kurzzeitig verdoppelt.
Ihr vorübergehendes Quartier haben die Roma südlich der Stadt in der Nähe des Veranstaltungszentrums VAZ aufgeschlagen, wo Grünstreifen und eine Sportanlage einen Puffer zur nächsten Wohnsiedlung bilden. «Jede Besucherin und jeder Besucher, die bzw. der St. Pölten mit einem guten Eindruck verlässt, ist ein Gewinn», betont Pressesprecher Thomas Kainz. «Unser Bürgermeister Matthias Stadler ist sich hier auch unserer historischen Verantwortung bewusst.» Zur aktuellen Gesetzesänderung will sich die SPÖ-regierte Stadt nicht äußern. Der Pressesprecher verweist aber auf Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und die entsprechenden Gesetze auf Bundes-, Landes- und EU-Ebene. «Ein Dialog auf Augenhöhe ist wesentlich», lässt er wenig Zweifel daran, dass die Stadt St. Pölten nicht auf Zwangsmaßnahmen setzen wird.

Klischees brechen

Wenn es zu Konflikten kommt, liege das meist daran, dass der Dialog fehle und vollkommen ungeeignete Plätze zugewiesen würden, weiß Mirjam Karoly, langjährige Mitarbeiterin und mittlerweile Ehrenmitglied des Vorstands des Romano Centro. In ihrer aktiven Zeit hatte sie immer wieder zwischen Roma-Gruppen und der Stadt Wien vermittelt. Neben dem Artikel 8 der EMRK, der auch in die Österreichische Bundesverfassung aufgenommen wurde, verweist sie auf das Volksgruppengesetz von 1976, das seit 1993 auch für Roma gilt, und auf die Roma-Inklusionsstrategien der Europäischen Union von 2011 und 2020.
«Ich persönlich kenne viel mehr österreichische und deutsche Urlauber:innen, die campieren, als Roma. Dann ist es plötzlich nicht unzivilisiert, sondern abenteuerlich und naturverbunden», räumt Danijela Cicvaric mit einem Klischee auf. Die Sozial­arbeiterin ist seit 2020 Leiterin des Romano Centro. Tatsächlich gibt es kaum noch Roma, die permanent reisen. Hinter der angesprochenen Gruppe aus Frankreich vermutet Karoly Pfingstkirchler:innen, die sich in Ungarn zu einer religiösen Feier treffen. Aber selbst diese «Gents de Voyage» seien nur während der Schulferien unterwegs und hätten sonst fixe Stellplätze oder Häuser. Zur niederösterreichischen Landesgesetzgebung will sich Danijela Cicvaric nicht explizit äußern. Von ihr gibt es aber eine klare Ansage: «Natürlich müssen alle Regeln und Gesetze für ein gutes Zusammenleben beachtet werden. Sie müssen aber auch für alle gleich gelten. Wenn sich nur bestimmte Menschen an Orten nicht treffen dürfen, dann ist das reine Diskriminierung.» Das Romano Centro als eine der ältesten Roma-Organisationen in Österreich und der Augustin werden jedenfalls genau beobachten, wie das neue Gesetz in der Praxis Anwendung findet.