«Politisch unerträglich»tun & lassen

In Wien und Salzburg «SoliSchlaf»-Aktionen für Obdachlosenrechte

Wien und Salzburg ziehen im österreichischen Vergleich die meisten internationalen Tourist_innen an. Die hohe Politik beider Städte weiß genau, was die Tourist_innen angeblich nicht sehen wollen: konkrete, lebendige, bettelnde, sichtbar «geschäftstörende» Armut. In beiden Städten luden Menschenrechtsaktivist_innen in der Nacht zum ersten Mai zum «Soli(daritäts)Schlafen» ein. Robert Sommer berichtet vom Widerstand gegen die «soziale Säuberung» der Städte.

Foto: Ulli Gladik

Tatorte der Armenvertreibung sind die hochpreisigen Hauptgeschäftszonen und die renommiertesten Gartenanlagen in den historischen Stadtkernen. Der Mirabellpark in Salzburg, der Stadtpark in Wien sollen zu cleanen Aushängeschildern werden, denn hier schleifen Fremdenführer_innen die ganze Welt durch. Am Pegasusbrunnen im Mirabellpark, wo «The Sound of Music» gedreht wurde, treffen sich hopsende Besucher_innen aus den USA auf der Suche nach Spuren der Kinder der Familie Trapp, die sie zum verkörperten Österreicher- und Tirolertum verklären; im Stadtpark werden Abteilungen der chinesischen Mittelklasse im Halbstundentakt zum Johann-Strauß-Denkmal gelotst. Die hustenden, aufgeriebenen, geknickten und frierenden Indikatoren der Armut dürfen nicht in das Blickfeld der touristischen Kameras geraten. Mirabellpark und Stadtpark sollen in Zukunft absolut obdachlosenfrei sein, wenn es nach den Vorstellungen von Heinz Schaden und Michael Häupl geht – zwei Bürgermeister einer Partei, die einst für soziale Gerechtigkeit kämpfte.

In beiden Städten wurden im April wohnungslose Menschen aus den Winternotschlafstellen entlassen. Die sogenannte Kältehilfe endete in Salzburg Mitte April, in Wien Ende April. Ab Mai ist für die Betroffen Open Air angesagt. Aber in beiden Städten gibt es «Kampierverordnungen», auf die sich die Polizei bei der Vertreibung von Open-Air-Obdachlosen berufen kann. Die Kampierverordnungen verbieten ein Übernachten in Schlafsäcken außerhalb der Campingplätze. Ein Zuwiderhandeln gegen die Verordnung kann in Salzburg mit bis zu 10.000, in Wien mit bis zu 700 Euro bestraft werden. In beiden Städten haben sich soziale Initiativen vernetzt, um mit der Aktion «SoliSchlafen» gegen die Schließung der Kältehilfe-Notbetten, für eine Abschaffung der Kampierverordnung und für das Grundrecht auf Wohnen zu protestieren.

In beiden Städten dezimierte strömender Regen die Zahl der mit Schlafsäcken und Lebensmittel eintreffenden Gegner_innen der Armenvertreibung. Im Stadtpark gab das goldene Strauß-Denkmal ein Bühnenbild für eine solidarische Party ab; Ukulele und Ziehharmonika machten das trübe Wetter vergessen. Die Konsequentesten unter den Aktivist_innen übernachteten im Park trotz der Feuchtigkeit. Das bescherte ihnen Respekt seitens der «Stadtparksandler_innen», die hier schon weitaus nässere Nächte überlebt hatten, zum Teil jahrelang. Sie waren am 1. April aus ihrem Stadtpark vertrieben worden und konnten vier Wochen in den Kältehilfe-Notbetten schlafen. Weil sie aus der Slowakei und aus Ungern stammen, bleibt ihnen die städtische Ganzjahr-Wohnungslosenhilfe versperrt. In Salzburg startete der Protest im Mirabellpark, wurde dann aber infolge des Regens unter eine Brücke verlegt.

Anständiger Aktivismus

«SoliSchlafen im Stadtpark» wurde von der BettelLobby Wien, der Straßenzeitung Augustin, dem Neunerhaus-Obmann Markus Reiter und der grünen Gemeinderätin Birgit Hebein initiiert. «SoliSchlafen im Mirabellpark» ging vor allem vom Roma-Verein «Phurdo» aus. «Phurdo» ist ein Wort aus der Romanes-Sprache und bedeutet «Brücke». Die Hälfte der Mirabellpark-Demonstrant_innen waren Roma. Die Salzburg-Ausgabe der «Kronen Zeitung», von notorischem Antiziganismus durchdrungen, hetzte gegen die 10.000-Euro-Subvention der Stadt für den Romaverein. Das Geld solle für anständige Zwecke und nicht für politischen Aktivismus verwendet werden.

Die verbissenste Kritik an der Wiener Solidaritätsaktion kam ausgerechnet von Herrn Hacker, Chef des Fonds Soziales Wien, der die Wohnungslosenhilfe in der Hauptstadt koordiniert. Wir lasen es in der Aktionsankündigung des «Standard»: «Um auf die Situation der Obdachlosen hinzuweisen, lädt die Obdachlosenzeitschrift Augustin zum ‹SoliSchlafen im Stadtpark›. Hacker ist von der Aktion wenig begeistert: ‹Die Probeübernachtungsaktion im Stadtpark ist politisch unerträglich›.»

Unerträglich war in dieser Nacht nur die Wetterlage, fanden dagegen die Schlafsack-Füllungen.

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