Anwaltsbüro mit Keyboard und freier Sicht auf`s Porgy
Rechtsanwalt und Musiker sein. Geht das? Und dabei auch Mensch sein und bleiben. Geht das? Die Welt und das Leben nicht als einen trockenen Behälter von Paragraphen und Gesetzen sehen und sich trotzdem voll zurechtfinden in der Welt der Justiz? Sich nicht in der berauschenden Welt des Jazz verlieren und auch in der Jazz-Welt ganz bei sich bleiben. Geht das? Ja, es geht. Dr. Klaus-Peter Schrammel ist der lebendige Beweis dafür. Er vermag sich ernsthaft bis spielerisch mit den Paragraphen auseinander zu setzen. Und kann sich in der berauschenden Welt des Jazz zwischen der Gesetzmäßigkeit der Noten und der Möglichkeit der Improvisation zurechtfinden. Ohne sich dabei zu verlieren.
Verlieren ist für ihn sowieso ein Fremdwort. Er schleppt zwei berstend dicke Ordner voll mit Zeitungsausschnitten gewonnener Prozesse herbei. Aber auch Berichte von seinen Auftritten als Jazzer bei Konzerten im In- und Ausland, wo er die Herzen der ZuhörerInnen spielerisch gewann. So war Peter Schrammel zusammen mit seiner Frau Christine Jones, eine begnadete Jazzsängerin, zu Festivals im Weißen Haus, in Kuba, Kapstadt und Hongkong eingeladen. Sogar mit seinem großen Vorbild, Mister Keyboard Herbie Hancock, spielte er zusammen.
Christine Jones begann als Sängerin beim legendären Fatty George. Doch bald stank ihr die hierzulande übliche Trennung der Musik in E und U. Musikalische Nischen gab es noch keine. Randgruppen waren chancenlos in den beginnenden 60er-Jahren. Nur ja keine Zwischentöne. Also verließ sie das engstirnige Österreich und trampte mit ihrer Gitarre nach Barcelona, London, Paris und Berlin. Machte sich bald einen Namen. Count Basie gab ihr eine schriftliche Empfehlung mit auf ihren weiteren Weg. Auftritte mit Jazz- und Bluesgrößen wie Duke Ellington, Eugene Cicero, Leo Wright, Memphis Slim folgten.
Die Kunstkanzlei
Das Wien der 80er-Jahre. Wien ist nicht mehr ganz so miefig. Deshalb und aus privaten Gründen kommt Christine Jones zurück nach Wien. Verliebt sich in einen Rechtsanwalt, der Jazzmusiker ist. Beiden ist das Über- und Ineinandergreifen verschiedener Kunst- und Lebensformen eine Herzensangelegenheit. Sie erweitern die Rechtsanwaltskanzlei zu einer Kunstkanzlei. So wie vor Jahrzehnten in den Kunstsalons, treffen sich in ihrer Kunstkanzlei Menschen und KünstlerInnen, die ebenfalls die Kunst in das Leben und das Leben in die Kunst integrieren wollen.
In dieser Kunstkanzlei in der Riemergasse besuche ich Dr. Schrammel. Wir hatten dieses Treffen im Juli beim 3. Schrammelklangfestival in Litschau vereinbart. Peter Schrammel ist der Urenkel von Johann Schrammel, der mit seinem Bruder Josef 1879 das erste Schrammelquartett und damit die weltberühmte Schrammelmusik begründete.
Ein Raum der Kunstkanzlei ist das Büro des Rechtsanwalts Schrammel. Außer dem üblichen Schreibtisch, den Aktenablagen, den Besucherstühlen steht noch ein großes Keyboard beim Fenster. Und im Raum swingt und klingt die Musik des Hausherrn nach, die immer wieder, in Arbeitspausen, darauf gespielt wird. Auch die Lage der Kanzlei ist stimmig. Schräg gegenüber das 1906 von Moritz Kramsall erbaute, mit dem geometrischen Metallnietendekor an Otto-Wagner-Bauten erinnernde Gerichtsgebäude. Genau gegenüber das beste Jazzlokal dieser Stadt, das «Porgy», wo Schrammel oft anzutreffen ist. Wenn Schrammel auf seinem Keyboard spielt und dabei aus dem Fenster schaut, liegt der Eingang zum Porgy genau in seinem Blickfeld.
Von Bregenz nach Wien und Indien
Jetzt aber sitzen wir uns an seinem großen Schreibtisch gegenüber und Peter Schrammel erzählt aus seinem Leben. Kindheit und Jugendjahre in Bregenz. Schon damals war es sein Wunsch, Jazzmusiker zu werden. Es gab Interessanteres und Wichtigeres als die Schule. Sein Vater, Cello und Gitarre unterrichtender Musikprofessor und Wiederentdecker des Original-Schrammel-Quartetts, lehrte ihn Cello spielen. Schrammel zog es allerdings zum Klavier. Art Tatum und Errol Garner hatten es ihm angetan. 14-jährig wechselte er, ohne seinen Vater zu informieren, von der AHS zur Handelsschule, denn dort war der Lernaufwand geringer. Knapp vor Schulschluss erfuhr sein Vater davon. Die Folgen waren: Ferien gestrichen! Sofort musste der Bub einen Job suchen und zu Hause Kostgeld abliefern. «Jetzt musst einmal was Ordentliches lernen, Peter», ordnete auch die Mutter an. Nix mit Musikkarriere. Stattdessen Büroangestellter. Sogar ein tüchtiger, heißt es. Eine steile Karriere und gute Verdienstchancen bahnten sich an. «Doch das kann es nicht sein», dachte Peter. Und Bregenz ist ihm viel zu klein. Also auf ins große Wien. In Rekordzeit holte er die Matura beim Roland nach. Jetzt wollte er und konnte daher schnell und effizient lernen. Und welches «ordentliche» Studium ist am schnellsten zu absolvieren? Natürlich Jus. Herr Schrammel wurde Doktor der Rechte, auch wieder in Rekordzeit. Und nebenbei im Musikkonservatorium die Jazzausbildung. Hier kristallisierte sich freilich heraus: Um in der ersten Liga der Keyboarder mitspielen zu können, muss man täglich viele Stunden üben und spielen. Dafür fehlte aber die Zeit. Und das Geld. Also rein ins Gerichtsjahr! Dieses bringt Geld zum Überleben und die Erkenntnis, keinesfalls Richter werden zu wollen. Herr Schrammel wird Konzipient in einer Kanzlei mit uninteressiertem Rechtsanwalt und uninteressanten Akten. Nur Verkehrsunfälle. Kanzleiwechsel. Siehe da: anderer Chef, andere Akten. Könnte vielleicht doch was werden mit dem Beruf eines Rechtsanwalts. Aber ganz sicher war sich Schrammel nicht.
Aus dieser Situation der Unsicherheit floh Peter Schrammel nach Indien. Eine ganz normale Reaktion in den Jahren nach 1968. Lange Haare. Alter VW-Bus. Türkei. Iran. Afghanistan. Pakistan. Indien. Kennenlernen ganz anderer Kulturen und Religionen. Besonders Afghanistan hatte es ihm angetan. Nach mehr als einem halben Jahr «Horizonterweiterung» und voll mit Ideen zur Belebung des kulturellen Lebens kam Schrammel nach Wien zurück. Herbe Enttäuschungen mit Politikern, die Schrammel und seine Vorschläge anhörten, ihn aber auf später vertrösteten. Und die seine Ideen ein Jahr später als die eigenen Ideen umsetzten.
Jazz nicht standesgemäß
Dann lieber doch selbstständiger Rechtsanwalt. Und Jazz spielen, so oft Zeit dafür bleibt. Die Rechtsanwaltskammer bekrittelt das. Sie sei nicht standesgemäß, diese Jazzerei. Schrammel erkennt, dass Musiker nicht nur gute Mitspieler brauchen, sondern auch einen engagierten, erstklassigen Rechtsanwalt, der so denkt und fühlt wie sie. Für Verträge. Für Urheberrechtsstreitigkeiten. Aber auch für private Troubles. Bald sprach es sich herum: «Der Schrammel ist unser Mann.» Und nach der Rechtsberatung oder nach dem Prozess konnten die Musiker mit Schrammel in ihrer gemeinsamen Sprache, dem Jazz, kommunizieren. Weil er so gut und erfolgreich war, wurde Schrammel bald der Rechtsanwalt für aussichtslose oder unmögliche Rechtsfälle jeglicher Art. Nicht nur für Künstler.
Nur zwei ganz konträre Beispiele: Dr. Schrammel erreichte 1994, dass die zweijährige Hui Hui nicht nach China abgeschoben wird. Österreich hatte die Aufenthaltsbewilligung verweigert. Ein in den Medien Börsen-Bulle und Börsen-Guru genannter Wertpapierhändler wurde 1995 wegen Untreue zu drei Jahren Haft und einer Schadensgutmachung von 11 Millionen Schilling verurteilt. Hoffnungsvoll wandte sich der Wertpapierhändler an Dr. Schrammel, der Wiederaufnahme und Freispruch erreichte. Und noch etwas ganz kurioses: Drahdiwaberl-Stefan-Weber wurde 2003 vom Landesamt für Verfassungsschutz & Terrorismusbekämpfung (!) wegen unbefugten Führens von genehmigungspflichtigen Schusswaffen angeklagt und musste ausgerechnet am 11.09. (!) vor Gericht erscheinen. Weil er im Rabenhoftheater mit zwei Pistolen «bewaffnet» auf der Bühne stand. Die Polizei beschlagnahmte die nur mit Platzpatronen geladenen Waffen. Trotz vorgezeigtem Waffenschein. Weil ja die Verfassung geschützt und der Terrorismus bekämpft werden muss! Dr. Schrammel erreichte Freispruch. Wie gut, dass Peter Schrammel sich in der Welt der Paragrafen und der der Kunst auskennt und zurechtfindet
Die Gegensprechanlage schnarrt. Der Maler Christian Ludwig Attersee kommt. Also dann. Spätestens beim 4. Schrammelklangfestival in Litschau sehen wir uns wieder, Peter Schrammel. Oder schon vorher bei einer Schrammel-Session im Ostklub. Abgemacht!
Info:
Info Kunstkanzlei, CDs, Christine Jones
www.yedermann.net
Info Rechtsanwalt:
www.g-recht.at
Infos einer non-profit-organisation
über und für Musiker:
www.musikergilde.at
Schrammelklangfestival:
www.schrammelklang.at
Schrammel-Jamsessions:
ab 8.10. jeden ersten Donnerstag/Monat
im Ost-Klub
www.ost-klub.at
Jazziges:
www.porgy.at
www.jazzinaustria.at