Postkommunistischer Groove im charmanten Labyrinth: der Konzertclub OSTArtistin

Demnächst vielleicht ein Kasachstan-Boom?

Die russischen Besatzungssoldaten hätten sich anno 1945 sicher gefreut über einen „Kalaschnikow-Club“ in Wien, gleich neben dem Russendenkmal am Schwarzenbergplatz. Eher erstaunt hätten vermutlich die Einheimischen reagiert. Umso mehr, wenn sie gewusst hätten, dass ihresgleichen dort fünfzig Jahre später den für viele damals „ungezähmten“ Osten enthusiastisch huldigt und das Tanzbein zu Livemusik aus Moskau, Kiew oder Belgrad schwingt.Seit einiger Zeit gibt es in dieser Stadt einen Ort, der sich vor allem der Kultur aus den Ländern zwischen Wien und Wladiwostok annimmt. Regelmäßig werden dort Livekonzerte veranstaltet. „OST – bar deli klub“ nennt sich der Veranstaltungsort höchst inoffiziell, der sich durch keinerlei Schriftzug oder sonstige Zeichen von der Straße aus zu erkennen gibt. Nur Insider aus aller Menschen Länder finden regelmäßig in die Schwindgasse und ein durchaus anspruchsvolles Stammpublikum zwischen „22 und 66“ aus Ex-Jugoslawien, Russland, Polen, Bulgarien, Tschechien, Ungarn oder Österreich feiert, was die Bude hält.

Wien wird zu Westeuropa gezählt; Prag befindet sich angeblich in Osteuropa. Demzufolge liegt Wien westlicher als Prag. Oder doch nicht? Der Name, den Gründer und Betreiber Matthias Angerer seiner Location gegeben hat, steht aber natürlich für mehr als nur für eine Himmelsrichtung. „Ich bin viel in Osteuropa gereist und bin sehr angetan von den Menschen und ihrer Musik, ihrer Lebensart und Lebensfreude. Ich dachte, es wäre schade, wenn gerade in Wien, das ja historisch immer eine große Rolle gespielt hat zwischen Ost und West, nichts aus dem Osten angeboten wird. Metternichs Ausspruch, dass am Rennweg der Balkan beginnt, kannte ich schon lange. Dann dieser Blick auf das Russendenkmal … Da dachte ich, es wäre nahe liegend, hier so was aufzuziehen.“

Gigs statt Wein: Schuld ist die Bim

Dabei war alles ganz anders geplant. Ursprünglich wollte Angerer ein Weinlager aus dem völlig versifften Keller, der ehemaligen 80er-Jahre-Disco „Atrium“ machen. Der umtriebige Enddreißiger war im Zuge der Komplettrenovierung aber mehr und mehr angetan von den Räumen mit verwinkeltem Grundriss und charmantem Gewölbe. Dass dann noch ein unüberwindbares, technisches Problem dazu kam, sah Matthias als weiteren Wink des Schicksals: „Eigentlich war der D-Wagen schuld: Er lässt beim Vorbeifahren den Keller leicht vibrieren. Irgendwann erklärte mir ein Weinguru, dass das für langzeitige Weinlagerung unmöglich ist. So war die Idee des Weinkellers plötzlich gestorben. Außerdem kamen viele Anfragen für Konzerte, da dachte ich: Es soll einfach Clublokal bleiben.“

Auch die Geschichte des Neo-Gastronomen und Konzertveranstalters Angerer ist nicht gerade eine besonders charakteristische. Er studierte Produktion im American Film Institute in Los Angeles, kam durch einen Societyreporter-Job nach Wien zurück und landete so zunächst beim Journalismus. Er half beim Aufbau des ersten Wiener Privat-Fernsehsenders Wien 1 und von Europas erstem Internet-TV-Portal „Speed-Web“, bevor er beschloss, sich zu verändern und die Gastronomie-Prüfung machte. „Meine Idee war die eines mobilen Imbiss-Standes, wo man nicht Kebab oder Würstel bekommt, sondern ich wollte vegetarische und kreativere Imbisse verkaufen. Die Ur-Idee war die eines 9 Quadratmeter kleinen Industrie-Containers. Daraus wurde ein 900 Quadratmeter großer Konzertclub.“

Als typische EinwanderInnenstadt von Leuten aus verschiedensten Weltregionen ist Wien heute mehr denn je ein hervorragendes Pflaster für interkulturelle musikalische Fusionierungen. Das eine fünfköpfige Band nicht nur aus fünf völlig unterschiedlichen Ländern kommt, sondern vielleicht Musik aus zwanzig Regionen in ihre Musik fließen lässt, ist inzwischen selbstverständlich.

Der Sänger und Gitarrist Alp Bora, der vor sieben Jahren aus der Türkei zum Studium nach Wien kam und schließlich blieb, ist nur eines von etlichen Beispielen: „Ich hatte auch die Möglichkeit, nach Amsterdam zu gehen, aber ich habe Wien ausgewählt. Du weißt schon, die Stadt der Musik. Hier fühle ich mich musikalisch wohler als in Ankara. Es gibt strickte Richtungen in der Türkei. Wenn man was Alternatives machen will, hat man kaum Chance zu überleben. Im mitteleuropäischen Raum ist es anders. Das Publikum ist neugierig, lobend und dankbar.“

Nach der Techno-Langeweile sind wieder Grooves gefragt

Die andere Seite, das Interesse der Wiener Bevölkerung spielt also eine zweite wesentliche Rolle, warum sich im Wien der letzten Jahre eine so große Zahl an hervorragenden Bands formiert haben: VeranstalterInnen, aber auch SozialarbeiterInnen setzen sich für ein Öffentlichmachen bestimmter Musikformationen ein und geben jenen eine Plattform, die ansonsten vielleicht in einem Ghetto geblieben wären. Von ihnen und dem Publikum motiviert, können Bands ihre eigene Musik womöglich mit größerem Ehrgeiz und Energie entwickeln.

Angerer holt sich Informationen und Ideen von Reisen nach Sofia oder St. Petersburg. Er verlässt sich auch sehr auf ExpertInnen wie Richard Schuberth. Dieser ist sehr angetan vom „OST“, vermittelt gerne Musikschaffende und hat als künstlerischer Leiter des „Balkan-Fever“-Festivals heuer schon einige Konzerte hier veranstaltet. Ihm ist es wichtig, vor allem gute Musik zu bringen, die mehr kann, als die Massen zum Grölen zu bringen. „Der Club bedient die verschiedenen Bedürfnisse nach Ost- und Südosteuropa. Nachdem die Leute durch zu viel Techno und Einheitsbrei gelangweilt wurden, sehnen sie sich wieder nach der Verbindung von Groove und Melodie, die tanzbar und ekstatisch ist“, so Schuberth. Auch der Weltmusik-Fachmann Wolfgang Schlag ist verblüfft: „In Wien passiert es verdammt selten, dass das Publikum bis halb drei Uhr früh wie wild zu einem Live-Konzert tanzt.“

Angerer habe das früher auf vielen Konzerten westlicher Bands sehr vermisst. „Dort stehen die Leute cool herum und wippen höchstens ein bisserl mit. Da kann ich ja gleich zu Hause bleiben und eine CD hören.“ Die ukrainisch-russisch-internationale Band „Russkaja“ etwa bringt das Publikum regelmäßig schon beim zweiten Takt zum Toben, Tanzen und Kreischen. „Ich krieg nach wie vor eine Gänsehaut, wenn ich an den Gig von vor einem Monat denke. Das war eines der hinreißendsten und berührendsten Konzerterlebnisse, die ich überhaupt jemals hatte! Es war eine Ehre für uns, dass die serbische Gruppe Kal aus Belgrad bei uns war. Die Band tritt regelmäßig bei einem der weltgrößten Zigeunerfestivals auf, das alljährlich im August in Guca stattfindet. Aber auch Bulgara bzw. Karandila aus Bulgarien und Pop Ivan aus Ungarn waren fantastisch.“

Auch „10 Jahre Augustin“ wird im OST gefeiert

Dass Angerer die Förderung heimischer Bands wichtig ist, beweist er, indem er immer wieder Bands wie „Fatima Spar & die Freedem Fries“ oder die Ottakringer Roma-Boys „La Campanella“ einlädt. Musikalische Ausflüge, etwa nach Afrika oder in andere Kontinente, gibt es regelmäßig. In Zukunft will er auch andere Kunstrichtungen ins Programm bringen. Filme der russischen Avantgarde bis zum polnischen Underground sollen gezeigt werden, Ausstellungen stattfinden und ein richtiges Deli entstehen, wo man zu Mittag gemütlich essen kann. Die offizielle Eröffnung soll im September mit einem rauschenden, zweitägigen Freiluftfest am Schwarzenbergplatz stattfinden.

Auf die Frage, ob er nicht Angst vor einem Ende des Balkan-Hypes habe und das Publikum sich zur nächsten Welle wegbewege, entgegnet Matthias Angerer optimistisch: „Genauso, wie die Familie Stojka seit Generationen existiert und Musik macht, hat ihr Publikum sich gehalten, und das wird so bleiben. Vielleicht gibt es bald einen usbekischen oder einen kasachischen Boom. Ich hab da ja auch nur ganz peripher Ahnung. Primär geht es um das Musikerlebnis, das Lebensfreude vermittelt. Ich glaub einfach, dass das nachhaltig funktionieren und die Leute begeistern wird. Wir haben noch viel in petto und es gibt noch einiges zu entdecken.“

Dem Charme des labyrinthischen Klubs am Schwarzenbergplatz sind auch die Augustin-MacherInnen erlegen. Die Debatte, wo das 10-Jahres-Jubiläum des Augustin (1. Oktober 2005) gefeiert werden könnte, kam entsprechend rasch zu einem Ergebnis …

OST – bar deli klub

Schwarzenbergplatz 10/Schwindgasse 1

1040 Wien

www.ost-klub.at

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