Präferenz fürs Proletarischetun & lassen

Gruber will die Kirche nicht den Konservativen überlassen

Und so kämpft er auch, zum Beispiel für den arbeitsfreien Sonntag, und das ohne Ruh. Der 67-jährige Betriebspfarrer aus Linz kann kaum all seine Engagements aufzählen, ohne dabei nicht das eine oder andere zu vergessen. Aber so viel weiß er: Seine Spiritualität findet er im Leben der Menschen – im Zuhören, nicht im Predigen.Sagt’s, fällt das eh nicht unter Kinderarbeit?“, lacht der Seelsorger, als er sich niedersetzt, um sich von SchülerInnen der HBLA Künstlerische Gestaltung in Linz die Schuhe putzen zu lassen. Tatsächlich sammeln die Jugendlichen mit dieser ungewöhnlichen Aktion Geld, um Kindern in Nicaragua eine Schulausbildung zu ermöglichen. Ihren Schuhputzkoffer haben sie vor dem „Urbi@Orbi“ aufgestellt, einem Seelsorgezentrum inmitten einer Linzer Einkaufspassage. Zwischen BIPA, Lavazza und diversen Modegeschäften ist hier neben anderen kirchlichen Informationen das aktuelle Pfarrblatt erhältlich, es gibt Raum und Zeit für Diskussionen, oder um sich einfach nur bei einer Tasse Kaffee vom Alltagsstress zu erholen. Zwei- bis fünfmal pro Woche müssen aber auch hier seelische Notfälle betreut werden. Mit einer bezahlten und 18 ehrenamtlichen Kräften ist das „Infocenter“ 56 Stunden in der Woche in doppelter Besetzung geöffnet.

Hans Gruber ist einer der Miterfinder dieser ungewöhnlichen Einrichtung der City-Pastorale. Dementsprechend freut er sich, wenn das Urbi@Orbi in den drei Jahren seines Bestehens seine BesucherInnenzahlen auf derzeit rund 30 Seelen pro Tag kontinuierlich steigern konnte. Wenn er dort zusammen mit seinen KollegInnen Dienst macht, wird einem sofort eine seiner ganz besonderen Qualitäten klar: Hans ist kein Prediger, sondern ein Zuhörer. „Gott interessiert sich nicht für Theologie, sondern für das Leben der Leute“, sagt der studierte Theologe und Soziologe. Er bezeichnet diese Erkenntnis als seine „Bekehrung“, die er vor allem in seinem ersten Job als so genannter „Wasserkaplan“ durchlebt hat, als er den Bauarbeitern zweier großer Donaukraftwerke am Beginn seiner priesterlichen Karriere 1966 zur Seite stand. Mit der ArbeiterInnenschaft fühlt er sich ganz besonders verbunden, war der Spätberufene ursprünglich selbst ja auch Wagen- und Hufschmied. Und im Leben dieser Leute findet er auch seine Spiritualität.

Die Probleme mit der Konzernzentrale

Gerne schwärmt der Betriebspfarrer von seiner Studienzeit, die vom Optimismus des Zweiten Vatikanischen Konzils geprägt war. In diesen Jahren fühlte er Rückenwind für seine Vorstellungen von Kirche und er zehrt heute noch davon, wo er sich in der Restauration wieder mit Gegenwind konfrontiert sieht. An seiner Richtung hat sich dadurch allerdings nichts geändert. Eine wichtige Erfahrung war für ihn auch ein halbes Jahr in Lateinamerika, 1987, als die Basisgemeinden und die Befreiungstheologie in voller Blüte standen. Er kehrte mit einer entscheidenden Erkenntnis nach Österreich zurück: „Die Kirche zu bekämpfen, ist sinnlos, dafür ist diese Organisation viel zu mächtig. Man kann nur mitarbeiten, und ich möchte diese wertvolle Gründung Jesu nicht den Konservativen überlassen. Auch und gerade in dieser Überzeugung übersieht der Pfarrer die Zahlen der Kirchenaustritte nicht. Es ist für ihn völlig nachvollziehbar, dass viele junge Katholiken beim ersten Einflattern eines Erlagscheins für den Kirchenbeitrag ihren Austritt erklären, wenn sie keine persönliche Bindung zu engagierten Kräften der Kirche haben. Wenn Menschen den Seelsorger auf ihre Probleme mit der römischen-katholischen Politik ansprechen, verwendet er unter ArbeiterInnen gerne das Bild von Filiale und Zentrale, um das Problem zu erklären: „Ich teile das Schicksal mit vielen Arbeitern, die in ihren Filialen schwarze Zahlen schreiben und die Konzernzentrale baut trotzdem Mist oder sperrt Betriebe zu, die hoch aktiv sind“, so Gruber.

Der Häfnpfarrer

Von 1968 bis 1982 war Hans Gruber auch amtlicher Gefängnisseelsorger am „Landl“ (Landesjustizanstalt Linz). Noch heute liest er dort samstags die Messe. Ein Jahr nach seinem Amtsantritt trat unter sozialistischer Regierung ein neues Gesetz für den Strafvollzug in Kraft. Galt bis dahin noch die Verordnung, dass das Reden mit Gefangenen mit Ausnahme von Anordnungen striktest verboten war, so war ab nun die Kommunikation mit den Häftlingen sogar geboten. Gruber, der selbst einmal aus einem Versehen heraus eine halbe Stunde im „Landl“ einsitzen musste, ist sich sicher, dass der Strafvollzug in den letzten Jahrzehnten wesentlich humaner geworden ist. Gleichzeitig ist er aber auch davon überzeugt, dass sich der Strafvollzug nicht ausschließlich durch beschlossene Gesetze verändert.

„Die Frage, welche Windrichtung in den leitenden Etagen vorherrscht, ist ausschlaggebend“, erklärt er. Wenn ein Justizminister ein Hardliner sei, dann fühlten sich auch die Hardliner in den Vollzugsanstalten bestätigt und im Aufwind. „Für die Strafanstalt gilt Ähnliches, wie ich es für die Institution Kirche erklärt habe“, lächelt Hans Gruber. Für ihn sind jene gravierenden Fehler, die sogar zum Tod von Häftlingen führen, nicht alleine mit einmaligen Schulungen der GefängniswärterInnen auszumerzen. Die Kultur der Menschlichkeit sei ein ständiger Lernprozess.

Der Multifunktionär

Hans Gruber ist dermaßen weitläufig engagiert, dass es ihm gar nicht leicht fällt, all seine Funktionen aufzuzählen, ohne nicht die eine oder andere zu vergessen. Er ist etwa Vorsitzender der Betriebsseelsorge Österreich, geistlicher Assistent der Katholischen Arbeiterbewegung Österreichs, arbeitet in der Betriebseelsorge Linz Mitte mit, engagiert sich in der City-Seelsorge, leitet das Betriebsseminar in der Kapuzinerstraße, war bis 1982 amtlicher Gefängnisseelsorger und neben seinen jährlich geschätzten 25 Taufen, 15 Hochzeiten und 15 Begräbnissen ist er auch noch Präsident des Freundschafts-Comités Argentina-Austria. Diesen Verein hat er gegründet, als viele engagierte KollegInnen vor der argentinischen Militärjunta in den 80er-Jahren nach Europa flüchteten. Bei ihrer Rückkehr wollte er die ehemaligen Flüchtlinge auch beim Aufbau ihres Landes unterstützen. Nachdem Argentinien nicht die Probleme eines klassischen so genannten „Entwicklungslandes“ hatte, war eine solidarisch-freundschaftliche Hilfe angesagt, um dem land nach dieser grausamen Militärzeit wieder auf die Beine zu helfen. „Dass es heute der argentinischen Wirtschaft noch schlechter geht als zu dieser Zeit, war damals nicht abzusehen“, meint Gruber nachdenklich. Und so geht natürlich auch hier sein Engagement weiter.

Die verkehrten Bekehrten

Hans ist in der glücklichen Lage, sich im Gegensatz zu einem Ortspfarrer, seine Schafe ein wenig aussuchen zu können. So bleiben Briefe und Besuche mit Beschimpfungen gegen seine Person meist eine Ausnahme. Wenn er aber wieder einmal mit dem Argument konfrontiert wird, dass Jesus ja auch bei den Reichen eingekehrt ist, dann zitiert er gerne sein Vorbild, den ehemaligen VOEST-Kaplan: „Wenn Jesus zu den Reichen ging, dann wurden sie bekehrt. Wenn heute Pfarrer zu den Reichen gehen, dann kehren meistens nur sie selbst bekehrt zurück.“

Auf die Frage, welchen Osterwunsch er denn an den Linzer Bischof hätte, kam eine erstaunende Antwort: Der Bischof hat sich selbst als ehemaliger Griechisch- und Lateinlehrer im Vatikan vorgestellt und um Hilfe gebeten, hier in Linz Fuß fassen zu können. Etwas Besseres als einen lernenden Bischof könne er sich nicht wünschen. Bei der Frage nach Osterwünschen an den Vatikan fallen ihm da schon mehrere Dinge ein, unter anderem will er Frauen in leitenden Positionen, zumindest Diakoninnen, und wünscht sich insgesamt einen weltoffeneren Papst und einen Vatikan, der sich dem Leben zuwendet und nicht in seiner Bürokratie erstickt. An die derzeitige Regierung hat er nur eine Bitte: „Mein dringendster Wunsch wäre ein Regierungswechsel, weil ich nicht glaube, dass diese Regierungskoalition Ziele verfolgt, die mir wertvoll sind.“

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