Prämierte Denkmal-Textevorstadt

Die Gewinner:innen des von der Kunsthistorikerin Tanja Schult initiierten und mit dem Augustin durchgeführten Denkmal-Schreibwettbewerbs zum Thema Wien und seine Denkmäler sind ermittelt. Zwei der drei prämierten Beiträge können Sie hier unten lesen. Den dritten Beitrag finden Sie unter: https://augustin.or.at/praemierte-denkmal-texte-2/

Die Jury – bestehend aus der Künstlerin Rosa Andraschek, dem Schriftsteller Richard Schuberth und der Kunsthistorikerin Tanja Schult – begründet ihre Entscheidung wie folgt:

Fritz Zeilinger: A Denkmoi, des mi wirkli pockt
Verfasst in Wiener Mundart, ist kurz, aber kraftvoll. Wer des Wienerischen mächtig ist, wird mitgerissen. Wir fielen platt für diese Verweigerung institutionell vorgeschriebener Gedenkkultur. Das Gedicht ist ein humanistisches Plädoyer für das Gedenken an Unfallopfer, die in den Herzen konkreter Menschen sowie des vorbeiflanierenden ­Autors weiterlebt. Text siehe unten.

Eileen Heerdegen: Denkmal : Zweimal : Johannes
Ein anrührender, unaufgeregter Text, in dem die Autorin mehrere Themen verwebt: das Gutenberg-Denkmal, die Geschichte ihres Vaters, eines Buchsetzers und der Andeutung einer nicht unproblematischen Vater-Tochter-Beziehung, die sich aber dank der Begegnung am Denkmal zu bessern scheint – ein Verweis auf das Potenzial dieser oft als unsichtbar abgetanen Erinnerungszeichen. Text siehe unten.

Sebastian Popp: Wiener Denkmäler und ich
Der Text ist ruhig, stimmig und dicht. Kein literarischer Text im engeren Sinn, eher ein Kurzessay, der aber eine subjektive Perspektive mit einer umfassenden Kritik historisierender Denkmalkultur verbindet und auf ein verwahrlostes Denkmal in der Wiener Peripherie für HIV-Opfer aufmerksam macht. Text: https://augustin.or.at/praemierte-denkmal-texte-2/

Die Jury dankt allen, die sich am Schreibwettbewerb beteiligt haben! Die Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen. Es war erfrischend zu sehen, dass alle Beteiligten kritisch reflektierten, was heutzutage als Denkmal verstanden wird. Ganz selbstverständlich wurden Graffiti oder Kunst am Bau miteinbezogen und es wurde diskutiert, ob es in Wien nicht eher zu viele als zu wenige Denkmäler gibt und ob dem ­einen oder anderen die Ehrung durch ein Denkmal wirklich gebührt. Auch haben wir viel gelernt – u. a. dass es in Wien nicht ­einen, sondern gleich zwei Hitlerbalkone gab – der bekannte, gefeite an der Hofburg, und einen zweiten am Rathaus. Wir haben herzhaft gelacht über ein fies-fantasievolles Stück surrealer Literatur, das sich auf einem Friedhof abspielte und uns erfreut am verspielten Abarbeiten am Begriff Denkmal. Nachhängen tut uns noch immer ein von der Rasanz einer U-Bahnfahrt angepeitschter Trip, in dem der städtische Umraum mit seinen omnipräsenten Wortfetzen die Psychose der:s Reisenden verstärkt. Die Irrfahrt endet tödlich. Kein Denkmal kann den Verlust eines Menschen ersetzen.

Foto: Dezember 2006, der Vater der Autorin vor dem Gutenberg-Denkmal am Lugeck in der Innenstadt

 

A Denkmoi, des mi wirkli pockt
Da Mozart, da Strauss, di Sissi – schee, oba pockn mi ned
Di Maria Theresia, da Kaiser, da Beethoven – groß, oba na, pockn mi ned
Di klan, söba gmochtn Denkmoi – waun ana die letzte Kurvn ned daridn hod
und aun dera Stö jetzt a klans Schüdl steht mit sein Nom, an Datum, an Foto
und zwa obrende Keazn
und waun i do no amoi vuabeikum und seine Hawara haum wida wos dazuagstöd – des pockt mi!
(Fritz Zeilinger)

 

Denkmal : Zweimal : Johannes
Ein alter Mann mit dunkelblau-weiß geringelter Pudelhaube steht vor dem Denkmal am Lugeck. Das Foto ist nicht besonders gelungen, das Licht ist schlecht und ein orangefarbener Lieferwagen der Ottakringer Brauerei stört die Szenerie. Die zwei ­Männer auf dem Bild heißen beide Johannes, der große oben ist ­Johannes Gutenberg, der kleine unten mit der ­Pudelhaube ist Johannes Heerdegen, mein Vater. Er war an diesem trüben Wintertag zum ersten Mal in Wien, und dass er vor dem mächtigen Monument so klein wirkt, lag nicht ­allein an den Dimensionen der Statue. Es war der 19. Dezember 2006, drei Tage nach seinem 80. Geburtstag. Ich hatte ihn eingeladen, eine Woche mit mir zu verbringen, in der Hoffnung, wir könnten uns nach Jahren und Jahrzehnten der Missverständnisse, der unausgesprochenen Kränkungen und Verletzungen wieder näherkommen. Die Angst vor diesem Näherkommen hatte ihn schrumpfen lassen. Der eigentlich so aufgeschlossene und neugierige Mann war einen halben Tag lang fast teilnahmslos an den Sehenswürdigkeiten der Stadt vorbeigeschlichen, der erklärte Freund sämtlicher Arten von Kuchen war selbst beim Hofzuckerbäcker Demel mut- und appetitlos. Am Lugeck aber, vor dem großen Gutenberg, begann er, zu sich zurückzufinden und bestand auf einem gemeinsamen Foto mit seinem Vornamensvetter.
Ich sehe meinen 12-jährigen Vater auf einer Leiter in der Schnupphas’schen Buchhandlung sitzen. Ich rieche den Bücher­staub und die Schwaden aus Zigarrenrauch und dem Dunst von Kaffee-Ersatz, die aus dem kleinen Büro des Inhabers ziehen. Ich sehe die Bücherstapel, die der junge ­Johannes eigentlich hätte abstauben und einsortieren sollen, und ich fühle die Begeisterung, die ihn beim Lesen gepackt hat. Die Abenteuer des Huckleberry Finn – wer kann denn ein solches Buch einfach nur ins Regal stellen?
1938 gab es in einem Arbeiterhaushalt, wie dem meiner Großeltern, kaum eigene Bücher, und sicher nicht genug für ein Kind, das den düsteren Zeiten in fremde Welten entfliehen möchte. Aber wäre der große Johannes, der Gutenberg, nicht gewesen, hätte es nicht einmal die Schnupphas’sche Buchhandlung gegeben. Na gut, bis zum Jahre 1938 hätte es sicher jemanden gegeben, der endlich den Buchdruck erfindet, aber es war nun mal um 1450 ein Johannes ­Gensfleisch, der auch Gutenberg genannt wurde. Seine Leistung besteht im Wesentlichen in der Erfindung der Druckerpresse und besserer Druckfarben sowie der Verwendung einzelner ­Lettern, die durch ein spezielles Handgießverfahren feiner und leicht reproduzierbar waren. Dieser «Bleisatz» überdauerte mehr als 500 Jahre und wurde erst in den 1980er-Jahren zunächst durch elektronische Satzgeräte und kurz darauf schon durch den Gebrauch von «Personal Computern» (PCs) revolutioniert. Doch zunächst war Gutenberg der Revolutionär. Waren im Mittelalter Handschriften als Einzelexemplare nur einer sehr kleinen Elite vorbehalten gewesen, waren neben der berühmten Gutenberg-Bibel nun eine Vielzahl von Druckerzeugnissen immer mehr Menschen zugänglich – eine Grundlage der Alphabetisierung und Bildung.
Die Heerdegens im thüringischen Altenburg waren einfache Arbeiter, als überzeugte Sozialdemokraten waren sie sich des Privilegs bewusst, Bildung durch Bücher erfahren zu können. So habe auch ich in den 1970er-Jahren, als der kleine Johannes längst groß, Vater und in Hamburg war, meine aufregendsten Lese-Erlebnisse dank der quartalsweise gelieferten Bände der Büchergilde Gutenberg gehabt. Eine damals gewerkschaftseigene Organisation, die für ­einen Mitgliedsbeitrag günstige Lizenzausgaben lieferte. Zum Geburtstag gab es auch schon mal Hanni und Nanni, aber das Geld war knapp, die nächste Bücherhalle weit entfernt, und so musste ich mich (nachträglich gesehen glücklicherweise) schon mit 12, 13 Jahren durch die Erwachsenen­literatur lesen.
Doch es waren nicht nur die Bücher, die meinen Vater und Gutenberg verbanden. Der junge Johannes war ein guter Schüler und ein sehr begabter Zeichner, aber für ein Kind aus seinen Kreisen war keine höhere Schule und schon gar kein Kunststudium vorgesehen. So etwas Verrücktes hätte er sich nicht einmal vorzustellen gewagt. Alle Familien­mitglieder mussten früh Geld verdienen. Die Töchter ­gingen «in Stellung», wie auch schon ihre Mutter mit 14 Jahren als Dienstmädchen hatte arbeiten müssen, und ­Johannes wollte wie der Vater Bierbrauer werden. Da ­hatte man zwar immer eiskalte Hände, aber der Lehrlingslohn war überdurchschnittlich und es gab täglich vier Liter Bier als «Haustrunk» obendrauf. Doch zum Glück gab es da den ­Onkel Emil, dem der kleine Johannes sehr am Herzen lag, und der sich zwecks Berufsberatung für den begabten ­Jungen an den weitläufig verwandten Onkel Theo wandte. Und der wiederum war ein ganz besonderer Guten­berg-Jünger: Onkel Theo war ein sogenannter Schweizerdegen, er hatte je einen Lehrabschluss als Buchdrucker und als Schriftsetzer und ebnete meinem Vater den Weg ins grafische Gewerbe.
Mein Vater bekam eine Lehrstelle als Schrift-Lithograph, überlebte den Weltkrieg als 17-jähriger Soldat und machte seine erste Schiffsreise nicht auf dem Mississippi des Mark Twain, sondern auf einer Fähre in ein englisches Kriegsgefangenencamp. Er kam anschließend nach Hamburg, ­wurde ein gefragter Grafiker und konnte irgendwann tatsächlich seiner Tochter sehr nahekommen. Den Anfang machte er 2006 vor dem Wiener Gutenberg-Denkmal am Lugeck.
(Eileen Heerdegen)