Prämierte Denkmal-Texte (Teil 2)vorstadt

Wiens Denkmäler und ich
Aus einer ländlichen Gegend in Niederösterreich kommend, wurde mein Blick auf Gedenkstätten maßgeblich durch Kriegerdenkmäler geprägt, die in meinen heimatlichen Gefilden jedes noch so kleine Nest einzunehmen wussten. Adler und Soldaten auf Steinsockeln repräsentierten dadurch lange Zeit meine Vorstellung von Mahnmalen und lenkten den Blick auf die Vergangenheit. Heute markieren diese Kriegerdenkmäler, nach dem Kennenlernen der österreichischen (Nach-)Kriegsgeschichte und ihres allzu vergesslichen Umgangs mit der NS-Zeit, für mich eher das, woran nicht gedacht wird, nämlich den Vertriebenen und Opfern des Holocausts. An die Soldaten der beiden Weltkriege erinnernde Steintafeln machen für mich somit Leerstellen des kollektiven Gedenkens auf.
Durch Besuche der Bundeshauptstadt Wien wurde mein damals kümmerliches Repertoire von Denkmaleindrücken schon bald erweitert durch monumentale Reiterstandbilder und weitere Steinstatuen meist alter, oft bereits vor Hunderten von Jahren verstorbener Männer. Persönlichkeiten wie Prinz Eugen am Heldenplatz gesellen sich dabei in meiner Vorstellung neben Johann Wolfgang von Goethe, der am Ring gemütlich Friedrich Schiller gegenübersitzen darf, zu Joseph von Sonnenfels am Rathausplatz und werden durch Maria Theresia noch komplementiert. Während mir davon manche Schriftsteller durch ihre Texte noch immer ganz lebendig werden können, bleiben die anderen meist versteinert.
Die erste lebhafte Begegnung mit einem Denkmal fand ausgerechnet bei meiner ersten Wiener Regenbogenparade statt. Nämlich als der feiernde Zug von Menschen am Morzinplatz bei der Gedenkstätte für Opfer des Nationalsozialismus hielt und den während der NS-Zeit ermordeten Homosexuellen gedachte. Das Mahnmal aus Mauthausener Granit am Standort des ehemaligen Gestapo-Hauptquartiers wurde somit ein Ort aktiven Gedenkens. Im konkreten Moment stand es in krassem Kontrast zu der feiernden und freizügigen Stimmung der Regenbogenparade, machte aber gerade dadurch sichtbar, wofür die Rechte der LGBTIQ-Gemeinschaft erkämpft wurden.
Unscheinbarer gestaltete sich ein anderes Erlebnis mit einem Wiener Denkmal, das mir nicht im symbolträchtigen Zentrum der Stadt, sondern in der Peripherie der Vorstadt begegnete, in Ottakring. Wahrscheinlich unzählige Male daran vorbeilaufend, ohne es zu bemerken, erblickte ich schließlich eine Metalltafel neben der S-Bahnstation, als ich auf die Straßenbahn wartete. Am Fuß des S-Bahndammes stehend, ruft ihre etwas schwer zu entziffernde Inschrift zum lebendigen Gedenken an die Menschen auf, die in Österreich durch HIV bzw. Aids ums Leben kamen.
Während ich auf den ersten Blick unglaublich erfreut über die Gedenktafel war, die sich Menschen widmet, die nicht nur gegen eine tödliche Krankheit zu kämpfen hatten, sondern sich meist auch gegen hässliche Vorurteile und Ressentiments stemmen mussten, stellte sich schnell Ernüchterung ein. Die Tafel stand vor einem zerrupften, sich schief zur Seite neigenden Rosenbusch, der beinahe umzufallen schien und das rostbraune Schild kümmerlich erscheinen ließ. Die Wahl der eigentümlich gestalteten Schrift, die ein müheloses Entziffern erschwert, erschloss sich mir auch bei weiteren Besuchen nicht. Der wenig glamouröse Platz neben der S-Bahnstation tat dann noch sein Übriges, um Fragen aufzuwerfen. Was machte eine Gedenktafel für an Aids Verstorbene genau hier und warum kümmerte man sich nicht einmal ausreichend um die dazugehörigen Pflanzen? Während der Rosenstrauch mittlerweile etwas üppiger wurde und man auch ein paar Lavendelbüsche dazu pflanzte, scheint mir das Denkmal trotzdem nicht aufgewertet. Die braune Tafel ist noch immer unscheinbar, wirkt sogar antiquiert, lädt gerade nicht zu lebendigem Gedenken ein und der Ort entbehrt zwischen S-Bahn und Bim jeder kontemplativen und ästhetischen Qualität.
Die 2009 stattgefundene Enthüllung des Denkmals, bei der ein Baum gepflanzt und Rosen niedergelegt wurden, schien durch die Gestaltung der Aids Hilfe Wien wenigstens für ein lebendiges Erinnern genutzt worden zu sein. Neben einem Quilt wurden auch Tücher mit den Namen von an Aids Verstorbener aufgelegt.
Eine Veränderung der Gedenktafel, damit sie den Opfern von HIV und Aids und besonders den schwulen bzw. queeren Vertreter:innen mehr entspricht, fände ich jedoch angemessen. Für die Neugestaltung hätten vielleicht gerade Augustin-Leser:innen spannende Ideen.
Auf jeden Fall sollte die Stadt Wien den Rosenbusch und die Lavendelsträucher regelmäßig gießen lassen.
(Sebastian Popp)

Illustration: Der schwedische Künstler Patrick Nilsson illustrierte das Buch der Kunsthistorikerin und Augustin-Kolumnistin Tanja Schult mit dem Titel «Was denkt das Denkmal?» Eine Anthologie zur Denkmalkultur (Böhlau 2021), das sie gemeinsam mit Julia Lange herausgegeben hat.

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