Die Abenteuer des Herrn Hüseyin
Nach langer Zeit fährt Hüseyin mit seiner Freundin in das kurdische Gebiet der Türkei. Es ist für ihn aufregend, seine Freundin den Eltern und Geschwistern vorzustellen. Er hatte vor, der Freundin seine Heimat zu zeigen.
Illu: Andi Kleinhansl
In den ersten Tagen blieben sie in der Stadt. Sie lernte die vielen Geschwister, Cousinen, Neffen, Nichten und sonstige Verwandten kennen. Hüseyin muss die ganze Zeit als Dolmetscher fungieren. Am zweiten Tag fahren sie ins Dorf. Im unteren Stock des Hauses wohnen sie. Im Dorf kann die Freundin Hüseyins sich mit keinem Menschen unterhalten. Obwohl sie außer Deutsch mehrere Fremdsprachen kann. Einzig mit dem 11-jährigen Sohn einer Verwandten, der aus Frankreich im Dorf ist, wechselt sie ein paar Sätze in Französisch. Und das war´s. Hüseyin geht mit ihr bis zu dem Fluss, in dem er als Kind schwamm. In der Mittagszeit tunken sie die Füße in das kalte Wasser. Lange können sie die Füße nicht ins Wasser halten, weil es sehr kalt ist. Er führt sie danach zu der Quelle gegenüber dem Dorf. Unterhalb der Quelle überqueren sie den Fluss. In dem Moment sehen sie sehr viele Steinrebhühner mit ihren neu ausgeschlüpften Kücken. Das erfreut den Hüseyin sehr, auf einmal so viele Steinrebhühner anzutreffen. In Portugal, Griechenland, Italien, auf Sizilien und in Rumänien hielt er oft Ausschau nach diesen Vögeln, die zu seinen Lieblingstieren zählen. Aber in all den Ländern traf er nie auf diese Vogelart. Nach ein paar Tagen fahren sie wieder in die Stadt zu den Eltern Hüseyins. Am Abend sind sie bei seiner Schwester. Das Essen schmeckt den beiden aus Österreich gut. Sie schauen sich die Nachrichten an.
Plötzlich wird auf TRT, dem staatlichen Sender der Türkei, der Putschtext vorgelesen. Aber es ist nicht wie bei den früheren Putschen, dass der Oberste des Militärs den Text vorliest, sondern eine Moderatorin des staatlichen Fernsehens. Sie sind schockiert! Hüseyin und seine Freundin versuchen die österreichische Botschaft telefonisch zu erreichen. Nichts zu erreichen. Die Notnummer des Außenministeriums für Auslandsösterreicher versuchen sie zu erreichen. Nichts zu machen. Sie suchen online einen Flug, um schnell aus der Stadt in Richtung Europa auszureisen. Nach Deutschland wollen sie. Andauernd online die Flüge verfolgen. Sie entscheiden sich für den einzigen Flug, den es zurzeit in dieser Stadt gibt, nach Hannover. Sie reservieren den Flug. Alles ist gepackt. Ans Schlafen denken sie gar nicht. Hüseyin schaut sich weiter die Nachrichten in dem türkischen Sender an. Im Fernsehen wird ein privater Sender von Putschisten live übernommen. Der Präsident spricht über Facetime. In den Augen des Präsidenten Erdoğan sieht man Angst. Auf der anderen Seite der Bundeskanzler, fast am Weinen. Die Freundin Hüseyins versucht online über internationale Medien Informationen zu holen. Interessanterweise funktioniert das Internet immer noch.
Der Präsident, der immer auf der Straße demonstrierende Menschen als Verräter des Vaterlandes bezeichnet hatte, bittet Menschen der Türkei auf die Straße demonstrieren zu gehen. Sogar Muezzine der Stadt Elâzığ gehen in der Nacht auf die Minarette und rufen Muslime auf die Straße, zum Demonstrieren auf. Plötzlich bekommen die Religiösen einige wichtige Aufgabe in diesem Staat. Was die AKP nicht wahrhaben wollte, dass sie eine religiöse Partei ist, hat sich mit diesen Aktionen bewahrheitet. In den vielen Privatsendern werden Live-Bilder in die Wohnzimmer der Menschen gebracht. Vielleicht ist es das erste Mal, dass man einen Putschversuch online und live miterlebt. Nach einer Stunde Putsch kommen die ersten Statements des Präsidenten. Immer wieder ist die Rede von Säuberungsaktionen. Die Sprache Nazi-Deutschlands. Diese Äußerungen machen der Freundin Hüseyins noch mehr Angst. Der Flug nach Hannover wird gecancelt. Obwohl online beim Reservieren und Einzahlen alles in Ordnung war. In den großen Flughäfen der Türkei ist Chaos ausgebrochen. Sie wollen möglichst schnell das Land verlassen. Ihr regulärer Flug wurde gestrichen, ohne sie zu informieren. Über Telefonate versuchen sie die Fluggesellschaft zu erreichen. Keine Chance. Sie fahren zum Flughafen in Elâzığ. Einen Tag später mit zweimal umsteigen erreichen sie Wien. Bilder von Generälen und einfachen Soldaten, verwundet, mit Blut übergossen. Grundwehrdiener, denen die Kehle von Demonstranten mit «Allahu ekber»-Rufen durchgeschnitten wird. Mahnwachen mit türkischen und Scharia-Fahnen. Am nächsten Tag, also nach dem 15. Juli, werden von insgesamt 8000 Richter_innen 2700 gleich entlassen.
Herr Hüseyin ist froh, mit seiner Freundin wieder in Wien zu sein.