Über den Traum, als Freie Journalistin überleben zu können
Der Augustin zahlt für veröffentlichte Texte Honorare, die sicherlich nicht der journalistischen Leistung entsprechen. Die meisten erwarten das auch nicht von einer Straßenzeitung, die noch dazu ohne jede Presseförderung produziert wird und nicht nur auf Novomatic- und FPÖ-Werbung verzichtet, sodass die Inserateneinnahmen mehr als bescheiden sind. Womit wir moralisch punkten können, ist das egalitäre Prinzip unserer Gagen-Philosophie: der erste, unbeholfene Schreibversuch eines Langzeithäftlings erhält denselben Lohn wie der Essay eines Promi-Autors, einer Promi-Autorin. Von den großen Medien, die Millionen an Presseförderung erhalten, hinter denen Konzerne stehen und deren Druckkosten (etwa im Fall des Gratisrevolverblatts «Heute») allein durch Inserate der Stadt Wien beinahe gedeckt sind, muss mensch mehr als Sklavenlöhne erwarten. Zur tatsächlichen Lage des schreibenden Subproletariats ein Kommentar von Barbara Kaufmann, «freie» Ö1-Mitarbeiterin.
Qualitätsjournalismus ist kein Töpferkurs. Und Recherche kein Hobby. Trotzdem werden hochqualifizierte Nachwuchsjournalist_innen bezahlt, als gingen sie ihrer Freizeitbeschäftigung nach. Dabei geht es um nicht weniger als die Zukunft des unabhängigen Journalismus.
Guter Journalismus lebt von seiner Glaubwürdigkeit, und Glaubwürdigkeit entsteht durch Haltung. Man kann sich nicht konsequent ökologischen Themen widmen, über Ressourcenmissbrauch und Umweltkriminalität berichten und zu Hause seinen Müll nicht trennen. Man kann aber auch nicht als Journalist_in zu Hause Müllinseln aufstellen und im Berufsleben PR-Texte für die Plastikindustrie kritiklos übernehmen. Es gibt, jetzt muss Adorno her, kein richtiges Leben im falschen.
In diesem findet man sich jedoch manchmal wieder, wenn man als Freie Journalistin mit Missständen konfrontiert wird, die dem eigenen Leben entspringen könnten. Wenn man an einfühlsamen Sozialreportagen über das neue Prekariat unter Jungakademiker_innen schreibt und mitten in der Interview-Transkription eine Erkenntnis hat, die jener von Thomas Glavinic in seinem wunderbaren gleichnamigen Roman ähnelt: Das bin ja ich!
Das Thema der Reportage sind nicht etwa Menschen, zu denen man zwar ein anteilnehmendes, jedoch professionell distanziertes Verhältnis pflegt. Nein, das ist das eigene Leben. Man selbst arbeitet übermüdet an einem Kommentar über Übermüdung am Arbeitsplatz. Oder an einer Sendung über die Insolvenz von Selbstständigen, verursacht durch Sozialversicherungsnachzahlungen. Im vollen Bewusstsein nicht zu wissen, wie man die eigene SVA-Rechnung begleichen soll.
Qualitätsjournalismus hat seinen Preis. Einen hohen für die Konsument_innen, schließlich bürgt das Etikett für ausgezeichneten Inhalt. Und einen noch höheren für seine Produzent_innen. Existenzängste, Burn-out, Selbstzweifel sind längst keine Fremdwörter mehr für akkurat jene, die u. a. über diese Nebeneffekte schlecht entlohnter Arbeit medial berichten. Der Unterschied zwischen den schlecht bezahlten Jungakademiker_innen und den schlecht bezahlten Freien Journalist_innen liegt nur darin, dass Letzteren gerne vermittelt wird, sie seien selbst schuld an ihrer Not. Die scheinbar totale Selbstverwirklichung, die dieser Job mit sich bringt, kostet eben.
Da besänftigen einen Menschen, die einem ob ihrer Profession bei Gehaltsverhandlungen helfen sollten damit, dass es in anderen Branchen auch nicht besser aussähe und man dafür wenigstens eine tolle Arbeit hätte. Da kriegt man als Freie Ö1-Mitarbeiterin schon mal die Frage gestellt, warum einen die viele Arbeit so zu schaffen machen würde? Ob man denn nicht «geil» darauf sei, sich selbst so oft wie möglich im Radio zu hören? Da wird einem geraten, nicht so viel Aufwand zu betreiben, und zwar von jenen, die dann den manifesten Preis für diesen Aufwand stolz in einem Public-Value-Bericht veröffentlichen.
Natürlich gibt es ein «Selbst» in Selbstausbeutung. Es ist die freie Entscheidung jedes Einzelnen, für welches Medium man tätig sein will und wie man Journalismus für sich persönlich definiert. Es wäre nur die Aufgabe von Chefredakteur_innen, Verlagschef_innen, Journalistengewerkschaft und auch der Geschäftsführung des größten Medienunternehmens des Landes, diese Entscheidung überhaupt zu ermöglichen. Die schlecht entlohnten jüngeren Kolleg_innen brauchen keine Hilfe und kein Händchen halten, sondern tatkräftige Unterstützung. Denn die Debatte um die prekären Beschäftigungsverhältnisse im Qualitätsjournalismus ist gleichzeitig die Debatte um die Zukunft des unabhängigen Journalismus.
Wenn man weiterhin für eine kritische Sozialreportage oder eine akribisch recherchierte politische Enthüllungsgeschichte weniger verdient als für eine gesponserte Spalte über neue Damenhandtaschen in einem Modemagazin, gewinnen die Taschen zwangsläufig an Reiz. Bowlingtaschen sollen ja gerade im Trend liegen, liest man. Geräumig genug für große Hoffnungen und große Träume. Zum Beispiel jenen, als Freie Journalistin für ein Qualitätsmedium überleben zu können.