200.000 bis 300.000 Beschäftigte in Österreich identifizieren sich Schätzungen zufolge als lesbisch, schwul, bi-, trans- oder intersexuell (LSBTI). Wie geht es ihnen an ihrem Arbeitsplatz? Wie steht es ums Arbeitsklima, um Aufstiegschancen und Diskriminierung? Darüber spricht Daniel Schönherr, Co-Autor der Studie Arbeitssituation von LSBTI-Personen in Österreich (2017) im Interview.
TEXT: Ruth Weismann
FOTO: Jana Madzigon
Sie haben mehr als 1.200 Menschen aus der LSBTI-Gemeinschaft in Österreich zu ihren Arbeitsbedingungen befragt. Was waren zentrale Erkenntnisse?
Daniel Schönherr: Die Studie wurde von der Arbeiterkammer beim Institut Sora beauftragt, mit dem Fokus, wie es LSBTI-Menschen in der Arbeitswelt geht. Eines der ersten Ergebnisse: Es gibt keine Branchen, wo LSBTI-Menschen nicht vertreten wären. Das muss man betonen, weil es aus manchen Ecken heißt: «Die gibt es bei uns nicht.» Was sich zweitens gezeigt hat: LSBTI-Beschäftigte gehen mit ihrer sexuellen Orientierung oder Identität ganz unterschiedlich um. Manche machen keinen Hehl daraus, andere verheimlichen es lieber oder «lügen» auch über eine Beziehung. Wieder andere sagen, das gehe niemanden etwas an.
Fast jede fünfte der von ihnen befragten Personen ist am Arbeitsplatz nicht geoutet. Und nur 23 Prozent spricht in der Arbeit ganz offen über die eigene sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität. Was sind die Gründe dafür?
Die Gründe drehen sich vor allem um das Thema soziale Benachteiligung. Angst vor Tratsch, Angst vor Beleidigung, vor blöden Witzen, vor Anspielungen. Auch der Wunsch nicht aufzufallen, andere nicht nervös zu machen. Ein weiterer Grund ist die Privatsphäre. Und 35 Prozent befürchten auch berufliche Nachteile, zum Beispiel wenn es um Aufstiegsmöglichkeiten geht, Einkommen oder auch Angst um den Arbeitsplatz.
Sie schreiben in einem Blog-Eintrag, dass am Arbeitsplatz «Heterosexualität oftmals in den Vordergrund gerückt und als Norm gesetzt» wird. Wie äußert sich das im Detail?
Dass Arbeit und Privatleben bzw. Sexualität zwei separate Sphären sind, das hat noch nie gestimmt. Wir haben das die Asexualitätsfiktion genannt. Man legt ja die Identität nicht ab, sobald man das Büro betritt. Klassisches Beispiel: Gespräche, was man am Wochenende gemacht hat, wohin man in den Urlaub fährt und mit wem, über Dating-Erfahrungen, über die Partnerin, die in der Corona-Krise zuhause arbeiten muss und wie schwierig das ist … Es gibt viele private Themen, die man mit in die Arbeit bringt. Das Problem ist, dadurch, dass LSBTI-Personen zahlenmäßig weniger und marginalisierte Gruppen sind, ist es meistens Heterosexualität, die da ausgestellt wird. Und je öfter etwas ausgestellt wird, desto normaler wird es. Alles, was nicht dieser Norm entspricht, wird dann zumindest erklärungsbedürftig. Gerade diese Vorstellung davon, was normal ist und was nicht, steckt ja oft hinter den Diskriminierungen, die LSBTI-Menschen erleben.
Welche Folgen hat so eine Atmosphäre für die Betroffenen?
Gleich vorneweg: Es gibt viele positive Beispiele. Es gibt Menschen, die sagen, nachdem ich mich geoutet habe, haben meine Kolleg:innen und Vorgesetzten sehr positiv darauf reagiert. Es gibt große Unternehmen, wo dann auch LSBTI-Netzwerke eingerichtet wurden. Aber es gibt auch viele negative Erfahrungen. Diskriminierungserfahrungen sind nicht isoliert. 60 Prozent haben Diskriminierung erlebt, aber nie nur eine Form, sondern im Schnitt sechs unterschiedliche Arten. Das beginnt vielleicht mit blöden Witzen, geht über Anspielungen weiter dazu, dass man ausgeschlossen wird, bis hin zu: Man bekommt eine Beförderung nicht. Dann gibt es Diskriminierungen, die von der Unternehmensführung ausgehen, das sind die klassischen Benachteiligungen bei Beförderungen. Es gibt auch Erzählungen von Menschen, die sagen, sie hätten nach ihrem Outing weniger Arbeitsaufgaben erhalten, wurden ins Abseits gedrängt. Es kann auch sein, dass explizit Partner:innen von LSBTI-Personen nicht zu Firmenfeiern eingeladen werden.
Dann gibt es Mobbing, von Drohungen ist da die Rede und von Sticheleien und übergriffigen Privatfragen. Bis hin zu Psychoterror, sexuellen Übergriffen und körperlicher Gewalt. Das sind Härtefälle, die sind nicht mehr so weit verbreitet wie noch vor vielleicht 30 Jahren, weil das heutzutage schneller sanktioniert wird. Die Diskriminierung ist in den letzten Jahren, denke ich, subtiler geworden. Die häufigste Form ist die zwischenmenschliche soziale Herabwürdigung. Das sind diese Witze, das Auslachen, Gerüchte in die Welt setzen, üble Nachrede, Isolation und Ausgrenzung.
Betrifft das alle Beschäftigten, die sich der LSBTI-Community zuordnen, gleichermaßen?
Trans Menschen haben eine wesentlich höhere Arbeitslosigkeit im Vergleich zu homosexuellen Personen, und natürlich heterosexuellen. Es beginnt schon bei der Arbeitssuche. Und sie haben ein wesentlich höheres Risiko, in der Arbeit diskriminiert zu werden. Ein Thema für trans Personen ist, dass viele, die im Transitionsprozess sind, von sich aus häufiger den Job kündigen, weil sie sich der Diskriminierung nicht aussetzen wollen. Und mit neuem Namen dann einen neuen Job suchen.
Eine Beförderung nicht zu bekommen oder gar gekündigt zu werden – könnte da nicht der rechtliche Diskriminierungsschutz greifen?
Ja, natürlich. Aber es gibt eine große Dunkelziffer, die gar nicht gemeldet wird. Wir haben auch danach gefragt, wie Menschen auf Diskriminierungen reagiert haben. Jede:r zweite sagt, dass sie zunächst mal versuchen, diese Witze, Obszönitäten, Gerüchte und so weiter zu ignorieren. 28 Prozent sagen, dass sie nicht wüssten, wie sie sich wehren können. Und 17 Prozent sagen, sie stehen da drüber. Die häufigste Reaktion ist also die Nicht-Reaktion. Das hat einerseits mit Angst zu tun, andererseits mit Scham. Angst vor Arbeitsplatzverlust, Angst davor, noch mal schlechter behandelt zu werden.
Wie aber könnten Betroffene sich wehren?
Man kann sich an die Arbeiterkammer und an die Gleichbehandlungsanwaltschaft wenden. Beide werden nicht bei der ersten Meldung schon von sich aus aktiv, sondern deren zentrale Aufgabe ist die Beratung. Man schaut sich den Fall an, berät die Person, ob sie sich gerichtlich wehren kann. Von der Arbeiterkammer weiß ich, dass man auch mit dem:der Arbeitgeber:in Kontakt aufnimmt und schaut, wie kann man die Situation lösen. Ich kenne Fälle, wo erfolgreich gegen die Kündigung geklagt worden ist. Rechtlich hat man Diskriminierungsschutz in der Arbeitswelt, da sind sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität geschützte Merkmale seit 2004. Aber umfassender Diskriminierungsschutz auch beim Wohnen, bei Ärzt:innenbesuchen, in Lokalen und so weiter, das fehlt bis heute.
Wie steht es um intersektionale Diskriminierungsformen?
Natürlich steigt das Diskriminierungsrisiko, wenn zwei oder mehr Diskriminierungsmerkmale aufeinandertreffen. Dann ist es Rassismus und Homophobie etwa. Ganz oft geht es aber auch um Ressourcen. Es gibt Klassenunterschiede. Die, die nicht die Universitätsausbildung haben, die nicht das Einkommen haben, um sich vielleicht eine:n Anwält:in zu nehmen, werden wesentlich häufiger diskriminiert im Vergleich zu jenen, die sozioökonomisch einen höheren Status haben. Wenn man sich das historisch anschaut, die LSBTI-Bewegung, in den 1960er und 1970er Jahren war auch eine linke Bewegung. Man hat die eigenen Forderungen in Verbindung gesetzt mit einer Kapitalismuskritik und sich auch oft solidarisch gezeigt mit anderen Bewegungen.
Das Sora Institut führt derzeit eine Studie zur Gesundheit und Gesundheitsversorgung von LSBTI+ Personen in Österreich durch, teilnehmen kann man unter www.fragebogen.at/lgbtiq
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