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Wiens Queer Film Festival ist 20: Identities 2013

Jedes zweite Jahr können sich an Genderfragen, der Vielgestaltigkeit von (geschlechtlichen) Identitäten und an Grundthemen gesellschaftlichen Lebens/wandels Interessierte Informationen, Anregungen und Unterhaltung via Kino aneignen. Identities, Österreichs einziges Queer Film Festival und zweitgrößte Filmveranstaltung der Stadt, geht zum zehnten Mal über die Bühne.«An wen sich ein Queer Film Festival richtet? Die Antwort lautet natürlich: an ALLE.»

Barbara Reumüller, Festival-Gründerin und -Leiterin

Der Location Filmcasino sind die Identities treu geblieben. Die erste Ausgabe des Festivals, das sich damals «trans-X. Eine filmische Identity Tour» nannte, fand ebendort im Jahr 1994 statt. Zwei Jahre später wurden «Identities» als Programmschiene im Rahmen der Viennale aus der Taufe gehoben, und seit 2003 existiert das mittlerweile zweitgrößte Filmevent Wiens als eigenständige Veranstaltung. In der Zeit zwischen den Festivals, und die ist aufgrund des Zweijahres-Rhythmus ja recht lang, erleichtern kleinere Veranstaltungen wie die Queer Film Nights das Warten auf das Filmfest und schüren auch schon die Vorfreude darauf.

In zwei Jahrzehnten verändern sich gesellschaftliche Gegebenheiten, verschieben sich Problematiken, wächst wenigstens eine neue Generation heran und sind Protagonist_innen und Aktionist_innen älter geworden, einige weilen nicht mehr unter den Lebenden, so ändern sich auch Fragestellungen. Gesetzliche und soziale Anerkennung, Tabuisierung und Ausgrenzung sind nach wie vor große Themen, doch der Schwerpunkt der filmischen Auseinandersetzung liegt heuer auf der Vermittlung eines «state of the art», dem So-Sein in einer queeren Identität. Viele Arbeiten setzen sich gewissermaßen mit den «Mühen der Ebene» auseinander: Dem Alltag, dem Leben in Beziehungen, dem Älterwerden.

Programmüberblick

Über 90 lange und kurze Spiel- und Dokumentarfilme sowie Trickfilme umfasst das Programm. Ein großer Anteil der Arbeiten kommt aus den USA, auch aus Deutschland und Israel stammen jede Menge queere Filme. Skandinavien, Spanien und Lateinamerika sind stark vertreten, äußerst spannend auch die Produktionen aus Asien, z. B. aus dem Iran oder Indien. Österreich ist mit dem Kurzfilmprogramm «RAUM.BEZIEHUNGEN – Performative Experimentalfilme», dem Porträt des Regisseurs und Schauspielers «Kern» sowie der deutsch-österreichischen Ko-Produktion «Fremde Haut» recht schwach vertreten, was nicht an lokalpatriotischer Bescheidenheit liegt, sondern am leider geringen Angebot an Queerfilmen heimischer Provenienz.

Fast jedes Filmfestival vergibt Auszeichnungen. So auch Identities: Es verleiht je einen Preis für einen Lang- und einen Kurzfilm sowie einen Publikumspreis. Das Publikum betätigt sich aber nicht nur als Jury, sondern ist aufgefordert, mit den zahlreichen anwesenden Filmschaffenden in Kontakt zu treten und/oder im Anschluss an den Kinoabend bei ausgewählten DJ-Sets abzutanzen oder zu chillen.

Kinder und Eltern sind willkommen, sich die Animationsfilme des Familienprogramms anzusehen, es geht thematisch um Toleranz und Anderssein. «Stitches – Israeli Shorts», «Lamúria – Brasilianische Kurzfilme», «Allez – Girls Shorts» oder «Pulsiones – Gay Relationships» sind nur ein paar der sehenswerten Kurzfilmprogramme. Eine kleine Hommage widmet das Festival der engagierten Schauspielerin Meryl Streep, sie ist im Umweltskandal-Thriller «Silkwod», in der Virginia Woolf-Verfilmung «The Hours» und als strenge Schulleiterin, die einen Missbrauchsfall aufklären will, in «Doubt» zu sehen.

Filmbeispiele

Ein weiterer Fokus widmet sich «Jugend, Erwachsenwerden», in dieser Programmreihe wird auch der Spielfilm «Pariah» vorgeführt, in dem die Regisseurin Dee Rees auch eigene Erlebnisse verarbeitet. Die schüchterne 17-jährige Highschool-Schülerin Alike fühlt sich wohl in Männerklamotten, mit einer Freundin zieht sie heimlich durch New Yorker Lesbian Clubs, sie sucht eine tiefe Beziehung und ist innerlich verunsichert. Ihren bürgerlichen, wohlsituierten Eltern versucht sie ihr immer offensichtlicheres Anderssein zu verheimlichen – ein schwerwiegender Konflikt scheint unvermeidlich. Am Ende wird sie ein eigenständiges Leben beginnen, ausgesöhnt mit ihren Eltern. Anderswo sind die Konventionen noch schwer zu brechen: Eggie Dian ist lesbisch und lebt in Jakarta, als Jugendliche wiesen ihr die Eltern die Tür, nachdem sie von der sexuellen Orientierung ihrer Tochter erfuhren. Sie ist eine der Protagonistinnen in «Anak-Anak Srikandi» (Kinder der Srikandi). Das ist der Titel des Films und der Name eines Kollektivs queerer Personen in Indonesien, die Performance, Theater, Intervention als Mittel der Auseinandersetzung mit lesbischem, bisexuellem und transidentischem Leben einsetzen. Srikandi ist übrigens eine mythologische Figur des Hinduismus, eine Art Amazone, die Frauen liebt.

Die Variationen des Mann- und/oder Frau-Seins sind mannigfaltig, manchmal genügt es nicht einfach die Kleidung zu wechseln um ein_e andere_r zu sein. Mit einem Blumenstock in der Hand sucht Corinne van Tongerloo, eine ältere Dame, ein ganz bestimmtes Grab auf einem Friedhof, schließlich findet sie den Grabstein mit der Inschrift Dr. Georges Burou und nimmt symbolisch Abschied von dem Mann, dem sie ihre «zweite Geburt» verdankt. Der Gynäkologe Dr. Burou hatte in den 1950ern eine bis heute grundlegende Technik der Mann-zu-Frau-Vagina-Operation entwickelt, und Corinne war eine von mehreren hunderten, männlich geborenen Personen, die sich in Dr. Burous Klinik einer Geschlechtsumwandlung unterzogen. Michiel van Erp porträtiert in seinem Dokumentarfilm «I Am a Woman Now» fünf der ehemaligen Klientinnen Burous. Es sind Damen um die siebzig, die auf ihr Leben vor und nach der entscheidenden Operation zurückblicken und die van Erp auch in ihrem heutigen Alltag begleitet. Während April Ashley in jeder Situation stets Diva bleibt, lebt Jeanne Lessenich ein beschauliches Leben in der Provinz. Doch ob glamourös oder nicht, keine bedauert ihre Entscheidung.

Unfreiwillig ist Albert Nobbs, die Hauptperson des diesjährigen Eröffnungsfilms, in der Rolle des anderen Geschlechts gefangen. Nobbs arbeitet als Butler in einem feinem Hotel. Geschickt, diskret, aufmerksam ist er der ideale Diener, doch Nobbs lebt in steter Angst vor der Aufdeckung seiner wahren Identität als Frau. Nobbs zog als Jugendliche Männerkluft an, um einen Job zu finden und vor sexuellen Übergriffen sicher zu sein. Der Film, der auf eine Shortstory aus dem 19. Jahrhundert beruht, ist ein langgehegtes Herzensprojekt von Glenn Close, die die Hauptrolle verkörpert, am Drehbuch mitarbeitete und den Streifen koproduzierte. «Fremde Haut» (D/Ö 2005) thematisiert den unfreiwilligen Geschlechtertausch im 21. Jahrhundert. In einer Notsituation nimmt die iranische Asylsuchende Fariba (Jasmin Tabatabai) eine männliche Identität an, sie spart ihr karges Schwarzarbeitergehalt, um sich gefälschte Papiere mit einem weiblichen Namen besorgen zu können.

Identities

Queer Film Festival

6.-16. Juni 2013

Eröffnungsgala am 6. 6. um 20:30 Uhr im Gartenbau Kino

Weitere Spielorte: Filmcasino, Top Kino

www.identities.at